Kreis Segeberg. Corona-Leugner und Wutausbrüche: Was sich die Mitarbeiter des Infektionsschutzes am Telefon anhören müssen.

Es gibt Momente während dieser Telefonate, da versteht Malte Göttsch die Welt nicht mehr. „Da schreit mich ein Mann am anderen Ende der Leitung an, dass er und seine Frau nur eine Grippe haben. Um zu sprechen, muss er zwischendurch Pause machen und Luft holen, weil er so kraftlos ist. Die Frau liegt schon im Krankenhaus – und beide sind immer noch harte Corona-Leugner. Da setzt bei mir das Verständnis dann aus.“

Corona: Infektionsschutz steht an vorderster Front

Göttsch ist Sachbearbeiter und stellvertretender Leiter des Fachdienstes Infektionsschutz beim Kreis Segeberg. Und einer von derzeit 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Team der Abteilung, die versucht, die vierte Welle der Corona-Pandemie zu brechen, indem Göttsch & Co sieben Tage die Woche Bürgerservice am Telefon bieten, Quarantäne anordnen und überwachen und Kontakte der Infizierten nachverfolgen.

Und weil Malte Göttsch eine feste und klare Ansprache hat, eine sonore Stimme und vielleicht auch, weil er in seinem zweiten Leben als Fußballschiedsrichter bis in die 3. Liga Erfahrungen im Durchsetzen von Regeln gesammelt hat, ist er der Mann für die harten Fälle im Kreis Segeberg: die Corona-Leugner und Quarantäne-Verweigerer – oder einfach jene Bürgerinnen und Bürger, die in der Pandemie jede Fassung und leider auch jeden Anstand verloren haben. „Die Kolleginnen und Kollegen stellen mir die Fälle durch, die mal eine ordentliche Ansage brauchen“, sagt Göttsch.

Das werden derzeit immer mehr. Weil die Pandemie nach Wochen der Beinahe-Normalität wieder kräftig an Fahrt aufgenommen hat und die Nerven der Leute blank liegen.

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Corona: Immer mehr Fälle, immer mehr Ungeduld

Gestartet war das Team des Infektionsschutzes zu Beginn der Pandemie mit 15 Leuten, zu Hochzeiten im vergangenen Jahr bestand das Nachverfolgungs-Team bereits aus bis zu 100 Leuten aus der Kreisverwaltung und der Bundeswehr. „Jetzt sind wir schon wieder 50 Frauen und Männer aus etlichen Fachabteilungen – und die Bundeswehr wird demnächst auch wieder Thema sein.“

Denn es wird für das Team zusehends schwerer, das Arbeitspensum zu meistern. „Heute ist Dienstag. Und wir bearbeiten gerade die Fälle von letztem Donnerstag“, sagt Göttsch. „Die Haufen mit den neuen Fällen werden immer höher.“ Für die Menschen, die in Quarantäne müssen, die positiv PCR-getestet wurden oder Kontaktpersonen Infizierter sind, bedeutet das – warten. Sie bekommen eine SMS auf ihr Handy, füllen ein Formular mit allen Kontaktdaten aus, müssen einen PCR-Test machen und sich danach im Haus oder der Wohnung absondern. Bis der Anruf des Infektionsschutzes kommt, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Doch so lange warten viele eben nicht. „Manchmal geht die SMS raus und kurz darauf ist der oder die Betroffene schon am Telefon“, sagt Göttsch. Was wiederum die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daran hindert, ihre Fälle nach Priorität abzuarbeiten.

Corona: Anrufer sind verzweifel, aggressiv, unverschämt

Was aber viel schlimmer ist: Etwa 20 Prozent der Anrufer sind eben nicht verständnisvoll und einsichtig. Sie sind verzweifelt, aus unterschiedlichsten Gründen, sie werden aggressiv und nicht selten unverschämt. „Da sitzen hier Kolleginnen, die fangen an zu weinen, weil sie gerade minutenlang unflätigst beschimpft wurden.“ Göttsch übernimmt diese eskalierten Fälle. „Ich habe ja als Schiri schon viel auf den Fußballplätzen erlebt. Aber was hier in den letzten Wochen und Monaten abgegangen ist, das hat mich echt umgehauen.“

Etwa ein Mann – zweimal geimpft, allerdings mit klaren Corona-Symptomen – der sofort aus der angeordneten Quarantäne entlassen werden möchte. „Der schrie nur noch am Telefon, musste zwischendurch tief Luft holen und schrie weiter“, sagt Göttsch. „Da sagte ich in Gedanken zu mir selbst: Kumpel, was ist eigentlich dein Auftrag hier?“

Sachlichkeit und Ruhe seien zunehmend illusorisch in der Auseinandersetzung mit den Menschen. „Wir sind doch alle wund, was die Pandemie angeht. Und ich verstehe jeden Menschen, der gefrustet ist“, sagt Göttsch. „Aber viele laden hier bei uns ihre persönlichen Probleme ab. Doch wir machen das hier doch nicht alles zum Selbstzweck.“ Sondern um die Allgemeinheit vor einer potenziell tödlichen Ansteckung zu schützen.

Corona: Manche schwingen sogar mit der Nazi-Keule

Die Zeiten in der Pandemie, als man bei den Bürgerinnen und Bürgern Geduld, Nachsicht und Verständnis wie selbstverständlich voraussetzen konnte, sind vorbei. Jetzt sprechen manche angesichts angeordneter Quarantäne vom „Einsperren“ und der „Gängelung“. Andere schwingen die Nazi-Keule („Wie zu Hitlers Zeiten!!“). Garniert wird das alles mit den gängigen Schimpfworten, die man in dieser Drastik nur noch aus der Gosse oder dem Straßenverkehr kennt.

„Richtig hart ist es für uns, wenn persönliche Verunglimpfungen dazukommen. Wenn Leute, die in Quarantäne müssen, sagen: ,Sie sind jetzt schuld, wenn ich mich aufhänge! Ich bin Selbstständiger und ruiniert!‘“

Verständlich wäre es, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Infektionsschutz nach stundenlangem Telefonieren und ständigen Beschimpfungen die Nase voll von ihrem Einsatz hätten. „Doch die Stimmung bei uns im Team ist wirklich gut. Wir bieten uns gegenseitig Hilfe an, etwa bei der Planung der Wochenend- und Feiertagsdienste. Es herrscht eine tolle Gemeinschaft“, sagt Göttsch. Im Amt gebe es laufend frisches Obst, Getränke, und der Tarifvertrag werde nach allen Regeln ausgeschöpft. „Und wenn alle sehen, dass sich auch die Führungskräfte reinhängen und für neue Kolleginnen und Kollegen sorgen, die mithelfen, dann stimmt der Teamgeist“, sagt Malte Göttsch.