Norderstedt. Neue Serie: Wohnungsbau zwischen Klima- und Naturschutz, Bürger- und Investoreninteressen. Teil 2: Politik und Stadtverwaltung.

„Wir werden zu einzelnen Baugebieten nicht Stellung nehmen, da es sich, etwa bei ,Sieben Eichen’, um Vorplanungen handelt und nicht um abgeschlossene Prozesse. Für uns ist der Blick auf die gesamte Stadt entscheidend“, sagt Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder. Anwohner der Neubauprojekte am Schleswiger Hagen/Haslohfurth und am Glashütter Damm („Sieben Eichen“) haben die Pläne von Investoren und Verwaltung im ersten Teil unseres Reports am Dienstag kritisiert: Mit vier und fünf Geschossen sei die Bebauung überdimensioniert, ein schlüssiges Verkehrskonzept fehle.

Bürger sollen bei Stadtentwicklung mitreden können

Baudezernent Christoph Magazowski setzt auf den direkten Dialog mit den Bürgern und möchte nicht über die Medien mit ihnen kommunizieren. „Bei der Bürgerbeteiligung sind wir ganz weit vorn und bieten da viel mehr an, als wir müssten“, sagt Roeder. So sei dem offiziellen Bauleitverfahren ein intensiver Austausch mit Workshops und Runden Tischen vorgeschaltet. Die Anlieger am Schleswiger Hagen und Glashütter Damm könnten weiterhin mitreden.

Und hätten die Chance auf Mitsprache reichlich genutzt: An einer Videokonferenz hätten sich rund 400 Anlieger des Glashütter Damms beteiligt, eine hohe Anzahl, wie Roeder feststellt: „Da gab es durchaus auch viel Zuspruch für die Pläne.“ Das zeige, dass es den einen Bürgerwillen nicht gebe. Laut seien die Kritiker, die Zufriedenen blieben ruhig.

Stadtentwicklung heißt, Kompromisse zu finden

Der Kompromiss sei in der Stadtentwicklung ein entscheidendes Stichwort: „Wir müssen einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bedürfnissen finden wie zum Beispiel zwischen der Notwendigkeit, Wohnungen zu bauen, um dem Druck des Wohnungsmarktes zu begegnen, und den Bauflächen, die endlich sind“, sagt Baudezernent Magazowski. Größere Projekte wie „Sieben Eichen“ oder „Grüne Heyde“ in Harksheide werde es in Norderstedt nicht mehr geben.

Wo aber sollen die Neubürger unterkommen, die nach Norderstedt ziehen? Laut Statistikamt Nord wird die Stadt auf rund 90.000 Einwohner im Jahr 2035 wachsen. Das bedeutet: Rund 6500 neue Wohnungen müssen gebaut werden. Bei endlichen Flächen heißt das, in die Höhe bauen, keine Hochhäuser, aber eben Wohnblocks mit vier Geschossen.

Bekenntnis zur Vielfalt der Wohnformen

Christoph Magazowski, Baudezernent der Stadt Norderstedt
Christoph Magazowski, Baudezernent der Stadt Norderstedt © Michael Schick | Michael Schick

„Nur mit Einfamilien- oder Doppelhäusern werden wir den Bedarf nicht decken können“, sagt Magazowski. Dennoch würden auch künftig Einfamilien-, Reihen- und Doppelhäuser in Norderstedt gebaut, meist wie am Schleswiger Hagen und Glashütter Damm, kombiniert mit Geschosswohnungen.

Das Bekenntnis zur Vielfalt der Wohnformen ist der Verwaltungsspitze wichtig, schließlich hatte die Diskussion um den Verzicht auf Einzelhäuser gleich um die Ecke in Langenhorn bundesweit Fahrt aufgenommen. Längst nicht mehr alle jungen Leute wollten eine eigene Immobilie.

„Es gibt zunehmend Menschen, die sich für ein Leben entscheiden, das die Ressourcen schont und die sich bewusst für eine kleine Wohnung statt für ein Haus entscheiden“, sagt Roeder. Die städtische Umfrage zur Zukunft des Wohnens haben ein großes Interesse an Kleinstwohnungen ergeben. Laut einer Analyse des Instituts für Wohnen und Stadtentwicklung (ALP) fehlt vor allem kleiner und günstiger Wohnraum in der Stadt.

Stadtentwicklung als fortwährender Prozess

Klar ist für Roeder wie Magazowski: Flächen jenseits der Siedlungsachsen Niendorfer Straße/Friedrichsgaber Weg im Westen und der Schleswig-Holstein-Straße im Osten sind tabu. Sie seien wichtige Natur- und Erholungsbereiche wie auch die Grünzüge, die Norderstedt durchziehen: Auch sie bleiben unbebaut, die Stadt solle möglichst grün bleiben. „Wir sind die einzige Stadt in Schleswig-Holstein, die von außen nach innen wächst“, sagt die Oberbürgermeisterin.

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So werden und wurden die in die Jahre gekommenen Wohnungen am Alten Kirchenweg durch Neubauten ersetzt – ein Prozess, der sich fortsetzen werde. Reserven gebe es vor allem an den Magistralen wie der Ulzburger Straße, Segeberger Chaussee/Ohechaussee, wo noch zahlreiche kleinere ältere Häuser stehen, die langfristig Geschosswohnungen Platz machen sollen. „Aus eins mach vier“ sei ein Trend, der sich im gesamten Stadtgebiet zeige, so würden alte Einzelhäuser auf großen Grundstücken wie in der „Strandkorbsiedlung“ in Harkshörn durch Reihenhäuser oder Häuser mit mehreren Wohnungen ersetzt.

„Wir haben bei der Stadtentwicklung nicht nur den Flächenbedarf im Blick, sondern weitere wesentliche Aspekte wie den Verkehr, Kitas, Schulen, die Nahversorgung und eine gute soziale Durchmischung in den Quartieren“, sagt Roeder. Ein Ende der städtebaulichen Entwicklung sehen weder Roeder noch Magazowski: „Stadt ist niemals ‚fertig‘, Stadtentwicklung ist ein fortwährender Veränderungsprozess“, s0 Magazowski.

Mehr Zusammenarbeit mit Hamburg beim Wohnungsbau

Norderstedt bekomme die Auswirkungen des Hamburger Wohnungsmarktes mit seinen hohen Kauf- und Mietpreisen zu spüren und sei nach wie vor ein begehrter Wohnort, sagt Nicolai Steinhau-Kühl. „Es ist absolut wichtig, enger mit unseren Nachbarn zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu finden, denn die Nähe zu Hamburg bringt der Region viele Vorteile, aber eben auch eine große Nachfrage an Wohnraum.“

Als Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr kann Steinhau-Kühl auch über die politische Entscheidungsfindung bei der Erstellung von Bebauungsplänen sprechen. „Niemand hat ein Recht darauf, dass alles so bleibt, wie es immer war. Es gibt sehr unterschiedliche Interessen, nicht nur die der sehr lauten Stimmen.“ Die Bedürfnisse würden abgewogen, am Ende stehe immer ein Kompromiss.

Beispiel Schleswiger Hagen: Die Fläche sei schon lange für den Wohnungsbau vorgesehen. „Da die noch bebaubaren Flächen rar sind, müssen wir sehr sorgsam mit ihnen umgehen. Das bedeutet, dass wir als Politik einen Kompromiss zwischen dem akuten Wohnungsmangel, den Anwohnern und dem Klima- und Naturschutz finden müssen“, sagt Steinhau-Kühl.

Lieber dichter bauen, als noch mehr Flächen zu versiegeln

Es sei nachhaltiger, Flächen dichter zu bebauen als noch mehr Flächen bebauen zu müssen. Für das Baugebiet spreche die direkte AKN-Anbindung. Der westliche Wohnungsriegel mit drei Geschossen plus Staffelgeschoss wirke als Lärmschutz für die östlichen Bereiche, und auf Grund seiner Höhe werde eine Tiefgarage gebaut, was einer weiteren Flächenversiegelung im Gebiet entgegenwirke. Nach Osten hin würden die Gebäude flacher, um die Bauhöhen des alten Baugebietes aufzunehmen.

Auch beim Baugebiet „Sieben Eichen“ habe sich ein Kompromiss „mit sehr starken Einflüssen der Bürger“ ergeben. Aber: Das neue Wohngebiet könne nicht über den Kreuzweg an die Schleswig-Holstein-Straße angebunden werden. Der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr ist dagegen.

Steinhau-Kühl: „Die Bedingungen, die Einfluss auf unsere Stadt haben, verändern sich ständig und führen immer zu neuen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Die Entwicklung einer Stadt ist nie zu Ende.“