Norderstedt. Wohnungsbau in Norderstedt zwischen Klima- und Naturschutz, Bürger- und Investoreninteressen. Teil1: Der Protest.
Vier Geschosse mitten hinein ins Idyll? 1200 Neubürger, aber wohin mit dem Verkehr? Ist die Zeit der Einfamilienhäuser vorbei? Verhindert der Beschluss der Politik, dass bei Neubauten 50 Prozent geförderte Wohnungen sein müssen, den Wohnungsbau?
Und wie weit und wo soll Norderstedt überhaupt noch wachsen, wie grün bleiben? 90.000 Einwohner prognostizieren die Fachleute für das Jahr 2035. Baugebiete sind geplant, aber: Widerstand regt sich. Anwohner nutzen die Chance, sich zu beteiligen, kritisieren, machen Vorschläge – und fühlen sich nicht ernst genommen: „Die machen ja doch, was sie wollen.“
Interessengemeinschaft will Wohngebiet verhindern
Das Beispiel Interessengemeinschaft Haslohfurth: Die Anwohner würden Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder gerne an einen ihrer Leitsprüche erinnern: „Bauen nicht um jeden Preis.“ Und in Norderstedt sei der Preis hoch – zu hoch. Die IG Haslohfurth will am Schleswiger Hagen ein Projekt verhindern, das aus ihrer Sicht so gar nicht in die Landschaft passt: Etwa 100 Wohnungen will ein Investor bauen, mitten hinein ins Idyll, mit bis zu vier Geschossen und 13 Metern Höhe.
Dahin, wo die Natur intakt ist: „Rehe, Frösche Fasane, seltene Fledermausarten sind hier zu Hause“, sagt Helmut Knofe, Sprecher der IG. Der Flächennutzungsplan weise das Areal als Naturschutzfläche aus. „Spaziergänger, Familien und Kinder aus den angrenzenden Wohngebieten und aus Henstedt-Ulzburg schätzen den Siedlungscharakter und die Erholung in der lebendigen, artenreichen Feldmark. Jetzt aber droht die dauerhafte Zerstörung dieser wertvollen Fläche“, sagt Knofe.
Einer Fläche, der im Flächennutzungsplan 2020 „Entwicklungspotenzial als Fläche des Naturschutzes“ zugeschrieben werde. Immer mehr Ökoflächen würden in Norderstedt versiegelt, sagt Knofe und nennt den Ausbau des nahen Umspannwerks vor einigen Jahren, als Kreuzkröten und Moorfrösche ihre Heimat verlassen mussten und umgesiedelt wurden.
Schleswiger Hagen liegt in der Einflugschneise
Nach den jetzigen Plänen würden deutlich mehr als 200 Neubürger an den Schleswiger Hagen ziehen und über die kleine Straße zu ihren Häusern und Wohnungen fahren – eine Straße, die den Verkehr nicht bewältigen kann, wie die Bürgerinitiative sagt. Und: Dafür müsste der Schleswiger Hagen ausgebaut werden, einen Großteil der Kosten müssten die Anlieger bezahlen. Schon jetzt gehe zu den Hauptverkehrszeiten so gut wie gar nichts mehr in dem stark befahrenen Bereich, knapp südlich der Kreuzung von Ulzburger und Kohtla-Järve-Straße.
„Ich stehe morgens manchmal 20 Minuten, um auf die Ulzburger Straße zu kommen“, sagt Björn Pinnau. Doch nicht nur der Verkehr auf der Straße belaste, auch über den Dächern ihrer Siedlung sei es laut, beklagt die BI. Der Schleswiger Hagen liegt in der Einflugschneise. „Die Maschinen starten dicht über unsere Köpfe hinweg, pausenlos von morgens bis abends, eine extreme Lärmbelastung“, sagt Arjen Meerbeek.
Er nennt ein weiteres Gegenargument: Laut Netzbetreiber 50Hertz müsse zwischen den Strommasten und Wohngebäuden ein Mindestabstand von 150 Metern bestehen. Dann aber sei ein Teil der Wohnungen nicht realisierbar. Die Stadt sage, 50 Meter reichten.
„Wem soll man da glauben, und welche Risiken gibt es, wenn die Distanz zu gering ist?“, fragt Knofe. Sie seien nicht grundsätzlich gegen den Neubau in Haslohfurth, aber: Die Bebauung müsse sich ins bestehende Quartier einpassen, Einfamilien-, Doppel und Reihenhäuser können sich die Anwohnerinnen und Anwohner vorstellen.
Widerstand gegen das Wohngebiet „Sieben Eichen“
Auch am Glashütter Damm begehren die Bürgerinnen und Bürger auf gegen eines der größten geplanten Wohngebiete in Norderstedt. Zwischen Kreuzweg und Jägerlauf sollen bis zu 500 Wohneinheiten gebaut werden – das sogenannte Projekt „Sieben Eichen“.
Auch hier wehrt sich eine Bürgerinitiative gegen die Dimensionen: „Entgegen den ursprünglichen Zusagen der Verwaltung wurden uns Pläne mit bis zu fünf Geschossen vorgestellt“, sagt Christian Goertz von der Initiative.
Er ist auch als bürgerliches Mitglied der Fraktion der Freien Wähler aktiv in der Kommunalpolitik. Doch noch mehr als die Höhe der Wohnhäuser stört die Anlieger der zusätzliche Verkehr. „Den kann der Glashütter Damm unmöglich bewältigen. Der ist doch schon jetzt zu den Hauptverkehrszeiten verstopft“, sagt Hartmut Molzahn.
Linienbusse am Glashütter Damm keine Option
Laut einem Gutachten seien Umbauten an den „Flaschenhälsen“, den Kreuzungen mit der Poppenbütteler Straße, und der Einmündung in die Segeberger Chaussee, nötig. Zwar betont die Politik, wie wichtig der Umstieg vom Auto auf Bahn, Bus und Rad sei.
Aber normale Linienbusse können auf dem Glashütter Damm wegen mangelnder Straßenbreite nicht fahren. Kleinbusse oder autonom fahrende Busse könnten eine Lösung sein. Doch das ist teuer oder noch nicht realisierbar: „Bis autonome Busse hier fahren, werden noch Jahre vergehen. Außerdem sind die Fahrzeuge so langsam unterwegs, dass sie völlig unattraktiv sind“, sagt Goertz.
Auch für das Fahrrad sei das Terrain schwierig. „Die Wege sind überwiegend eng und können auch nicht auf die heute vorgeschriebene Breite erweitert werden“, sagt Goertz. Der Vorschlag, die Radler auf die Straße zu schicken sei realitätsfremd. „Soll ich meine Kinder bei dem starken Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn fahren lassen? Das ist viel zu gefährlich“, sagt Molzahn. Die Bürgerinitiative sammelte 350 Protestunterschriften und fordert, den Kreuzweg auszubauen und den Verkehr in Richtung der Schleswig-Holstein-Straße abzuwickeln.
Lesen Sie morgen: Das sagen Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und die Politik zum Wohnungsbau und zum Protest dagegen.