Henstedt-Ulzburg. Sofortprogramm zur digitalen Ausstattung im Antragsverfahren ausgebremst. Woran es hapert, was den Schulen fehlt.

Dass sich Schulbildung heute nicht mehr allein mit Frontalunterricht und Kreidetafeln vermitteln lässt, steht außer Frage. Die Allgegenwärtigkeit digitaler Medien, ihre Bedeutung auf dem modernen Arbeitsmarkt und ihre interaktiven Nutzungsmöglichkeiten machen sie zu einem beinahe notwendigen Hilfsmittel im Unterricht. Nicht nur die Schüler, auch die Lehrkräfte benötigen dazu digitale Endgeräte. Bisweilen mangelt es jedoch an Lehrerlaptops- und -tablets.

Digitalisierung trotz Geld vom Bund eher schleppend

Eine repräsentative Befragung von Lehrkräften weiterführender Schulen durch das Marktforschungsinstitut Kantar hat kürzlich ergeben, dass in Deutschland nur rund sechs von zehn Schulen mit Wlan im Klassenraum dienen können. Zufrieden mit der IT-Ausstattung ihrer Schulen waren lediglich circa 56 Prozent der befragten Lehrkräfte. Viele wünschten sich zudem Unterstützung im Umgang mit der Technik.

Weil sie um die Zustände weiß, hat die Bundesregierung im Sommer vergangenen Jahres 17 Millionen Euro für die Sofortausstattung der Lehrkräfte in Schleswig-Holstein mit Endgeräten lockergemacht. Weitere 1,7 Millionen Euro zahlt das Land. Seitdem haben die rund 800 hiesigen Schulen mehr als 27.000 Geräte für Lehrkräfte bestellt. Das teilt Beate Hinse, Pressesprecherin des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf Anfrage mit.

Wie viele Laptops und Tablets davon Segeberger Schulen bestellt haben, weiß Moritz Füller aus dem Bildungsmanagement des Landkreises nicht. Weder im Kreis, noch beim Land oder den Kommunen sei dies zu erfragen. Denn jeder Schulleiter könne Bedarfslisten einsenden, mit denen er Exemplare der je zwei angebotenen Tablets oder Laptops beantragen kann - und die sind nicht rückverfolgbar. „Was wir wissen, ist, dass viele Schulen ab Sommer 2021 Geräte beantragt haben. Meines Wissens ist aber noch keines der Geräte im Landkreis angekommen“, so Füller.

Digitalisierung: Anschaffung von Geräten „langwieriger Prozess“

Jan Kahle, Schulleiter des Alstergymnasiums, mit seinen IT-Experten: Schüler Ron Spannagel und Lehrer Ivo Stichel (v.l.).
Jan Kahle, Schulleiter des Alstergymnasiums, mit seinen IT-Experten: Schüler Ron Spannagel und Lehrer Ivo Stichel (v.l.). © Würz | Anika Würz

Mit solch enormen Wartezeiten musste sich auch Jan Kahle, Schulleiter des Alstergymnasium in Henstedt-Ulzburg, bereits herumschlagen: „Seit 2019 haben wir versucht, alle Lehrkräfte mit Endgeräten auszustatten. Nach zwei Jahren, im Januar 2021, kamen die Laptops. Das war ein wahnsinnig langwieriger Prozess!“ In der Zwischenzeit hätte das Gros der Lehrkräfte am Alstergymnasium die eigenen Geräte mit Schul-Wlan und Beamern verbunden, um den Unterricht digital zu gestalten.

„Das Antragsverfahren kann hochgradig frustrierend und sehr zeitaufwendig sein“, bestätigt auch Füller. Die kürzliche Einführung des sogenannten Fast-Track-Verfahrens soll jedoch Abhilfe schaffen. Zu den vormaligen bürokratischen Hürden zählten nämlich detaillierte technisch-pädagogische Einsatzkonzepte, die für jedes der gewünschten Geräte vorgelegt werden mussten. Im Fast-Track-Verfahren reicht eine Begründung für mehrere Geräte.

Digitalisierung: Es braucht mehr als nur Endgeräte

Auch der Digitalpakt, ein Förderprogramm für den Aufbau der digitalen Infrastruktur an Schulen, wirkt bislang nur wenig erfolgreich. Er wird seit seiner Einführung 2019 nicht vollumfänglich genutzt - und das, obwohl der Digitalisierungsbedarf der Schulen mit der Pandemie gestiegen sein dürfte. Das Förderprogramm umfasst 6,5 Milliarden Euro und läuft noch bis 2024. Doch die Gelder kommen nur schleppend an, auch in Schleswig-Holstein. Bis September rief das Land mit fünf Millionen Euro erst circa drei Prozent seiner Mittel ab, wie das Handelsblatt berichtete.

„Dabei erwarten die Schüler digitalen Unterricht. Die leben ja mit und in digitalen Welten und gehen damit ganz selbstverständlich um“, erklärt Schulleiter Kahle. Damit die Digitalisierung in Schulen gelingt, sei neben den Endgeräten aber ein weiterer Faktor entscheidend. Die Lehrkräfte müssten sich auf den Kenntnisstand ihrer Schüler - der „Digital Natives“ - zubewegen: „Und das ist keine Frage des Alters, das ist eine Frage des Wollens“, betont er.

Schule Henstedt-Ulzburg: Digitales Lernen schon Alltag

Am Wollen mangelt es im Alstergymnasium nicht. Es mag als Vorzeigebeispiel dafür gelten, wie die Digitalisierung einer Schule gelingen kann. Anteil daran haben einerseits die Dienst-Notebooks der mehr als 80 Lehrkräfte, die die Gemeinde bezuschusst hat. Andererseits wäre die Schule ohne das Engagement Ivo Stichels, Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik, vermutlich nicht so hervorragend ausgestattet.

Dank ihm konnte die Digitalisierung im Alstergymnasium schon lange vor der Coronapandemie Einzug halten. Bereits 2018, im Pilotprojekt „Laptop-Klasse”, hat Stichel Schüler unterrichtet, die ihre Hefte gegen Notebooks getauscht haben. Heute gehören moderne Medien im Alstergymnasium einfach dazu - in der Online- wie Präsenzlehre. Doch wie können sie den Schulalltag überhaupt unterstützen? Stichel gibt Beispiele: „Wir haben Wlan in der Schule, dadurch können die Kollegen auf alle Informationen zugreifen, die sie haben wollen, zum Beispiel digitale Schulbücher oder digitale Messsysteme für den Physikunterricht.” Mit letzteren könnten kabellos Messwerte erfasst und projiziert werden, etwa die Intensität der Strahlung in einer Röntgenröhre. Sie lassen sich sogar mit den Smartphones der Lernenden verbinden.

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Digitales Klassenbuch für weniger Arbeitsaufwand

Einen Coup landete der onlineaffine Lehrer auch mit dem App-basierten, digitalen Klassenbuch. Im Herbst 2019 - als die Pandemie noch nicht absehbar war - entwickelte er es gemeinsam mit Schülern. „Die Idee dafür hatte ich, weil Klassenbücher ein bürokratischer Akt sind, der unfassbar viel Zeit frisst. Beispiel Fehlzeiten: Am Ende des Jahres müssen Lehrer für jeden Schüler einzeln die Tage nachzählen”, erklärt der 37-Jährige. Spätestens als das Coronavirus den Schulalltag im Griff und Lernende wie Lehrende ins Homeschooling verbannt hatte, zeigte sich die Genialität der Idee. „In der Krise hatten wir dank des digitalen Klassenbuchs gleich alles, was wir brauchten. Dort kann man zum Beispiel Hausaufgaben eintragen. Außerdem haben wir noch ein Konferenzmodul für Videokonferenzen ergänzt”, sagt er.

Dass sich das Alstergymnasium während der Schulschließungen wacker geschlagen hat, bestätigt Schüler Ron Spannagel, im Übrigen Mitentwickler des digitalen Klassenbuchs: „Im Lockdown lief alles unproblematisch. Vor allem, weil die Lehrer ihre Laptops ausgiebig nutzen. Da gab es während meiner Schulzeit einen immensen Fortschritt.“ Spannagel ist 17 Jahre alt und möchte nach seinem Abitur in diesem Schuljahr Informatik studieren. Die „Entwickler-AG“ unter der Leitung von Ivo Stichel und seiner Frau, ebenfalls Lehrerin für Informatik, Mathematik und Physik, hat dazu sicherlich ihren Teil beigetragen.