Vor der Naher Kirche im Kreis Segeberg treffen sich seit Wochen Impfgegner. Pastor Wulff zieht entschlossen Konsequenzen.
- Grabgesteck mit Botschaften lag plötzlich vor der Kirchentür
- Pastor Ekkehard Wulf passt die Impfgegner eine Woche später ab
- "Ich habe keinen aus dem Dorf erkannt", sagt der Pastor
- Viele Städte im Kreis wollen sich den Impfgegnern jetzt entgegenstellen
Es ist kurz vor 18 Uhr am Montag, als zwei Frauen auf die Naher Auferstehungskirche zugehen. In den Händen halten sie einen Kranz. Offenbar in der Absicht, diesen abzulegen. Doch sie machen irritiert kehrt. Die Gruppe von Menschen vor dem Kircheneingang gehört nicht zu ihnen. Es sind Pastor Ekkehard Wulf, weitere Mitglieder der Kirchengemeinde und andere Bürger, die nicht mehr stumm akzeptieren wollen, was sich hier seit einigen Wochen abspielt.
Nahe ist einer der Schauplätze der meist am Montagabend stattfindenden unangemeldeten Versammlungen von Impfgegnern und Menschen, die Corona-Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzes ablehnen – beschönigend „Spaziergänge“ genannt.
Corona-Spaziergänge: Grabgesteck überschritt Grenze
Vor einer Woche hatte Wulf am Dienstagmorgen ein Grabgesteck vor der Tür gefunden, dazu mehrere Zettel. Einer verwies auf die im Grundgesetz festgeschrieben Religionsfreiheit, ein anderer nannte die Jahreslosung der Kirche: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“
Der Pastor, bei dessen Gottesdiensten die 3G-Bedingungen gelten, war empört. „Mit dem Grabgesteck ist für mich eine Grenze überschritten worden. Auch die Zettel dabei spielten eine Rolle. Die Botschaft war: Passt auf, dass euch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht genommen wird.“
Nicht alle Corona-Spaziergänger aus Nahe
Sieben Tage später möchte Wulf das Gesteck zurückgeben. Er geht mit einem Friedenslicht auf die Menschen zu, die sich auf dem Parkplatz zwischen Kirche und Dörphus treffen, von dort dann durch das Dorf gehen. Viele mit Lichterketten behängt. Und offenbar viele nicht aus Nahe – zumindest kommen die meisten mit dem Auto.
„Ich habe keinen aus dem Dorf erkannt“, sagt Ekkehard Wulf. „Und ich kenne die Naher ziemlich gut.“ Der Dialog gestaltet sich mühselig. Es sind die üblichen Argumente – die Tod bringende, genmanipulierende Impfung, der Verlust aller Freiheiten für Ungeimpfte, die gefälschten Infektionszahlen, die gesteuerten Medien. Eine differenzierte Debatte ist kaum möglich. Ein Mann hat sogar seitenweise ausgedruckte englischsprachige „Studien“ dabei, die er verteilen möchte.
„Spaziergänger“: Kein Problem mit Rechtsextremen
Wulf diskutiert mit einer Frau aus Oering. „Ich bin hellhörig geworden, als in Kaltenkirchen ein Grabgesteck mit der Verharmlosung des Holocausts abgelegt wurde. So etwas verbitte ich mir. Ich erwarte, dass sich Demonstrantinnen und Demonstranten von solchen Leuten aber sowas von scharf distanzieren.“
Ihre Antwort ist kühl. Sie bezieht sich auf Hamburg, wo nachweislich auch einschlägig bekannte Rechtsextreme sichtbar mitmarschieren. „Das ist mir persönlich völlig egal. Ich habe da noch keinen einzigen Rechtsextremen gesehen. Wenn da zufällig einer mitläuft, dann ist es mir doch ehrlich gesagt egal.“ Man könne es nicht verhindern.
„Es geht doch nicht darum, dass man die gut findet. Aber da laufen alle möglichen Menschen mit.“ Sie sagt, eine Demonstration solle nicht stigmatisiert werden, weil da jemand mit einer rechtsextremen Gesinnung mitlaufe. „Rechtsextreme setzen sich jetzt für Grundrechte ein?“, entgegnet eine andere Frau entgeistert.
Ungeimpfter Sanitäter sorgt sich um Meinungsfreiheit
Knapp antworten andere Teilnehmer auf Nachfragen, warum und wofür sie denn in Nahe unterwegs seien. „Ich bin Diabetiker, muss jeden Tag meine 12.000 Schritte machen. Wir tun nichts Böses“, sagt ein Mann aus dem Kreis Segeberg. Die alten Medien werde es irgendwann nicht mehr geben, ergänzt er. Er bevorzuge „RT.de“, die Internetseite eines vom russischen Staat finanzierten Senders.
Ein anderer Mann kommt aus Wakendorf II. „Ich bin zufällig hier“, sagt er verschmitzt. Er sei Betriebssanitäter. Ungeimpft gegen Covid-19. Aber die Masern-Impfung habe er erhalten. Nur den jetzigen Wirkstoffen vertraue er nicht, diese seien zu neu. Zudem sorge er sich um die Meinungsfreiheit.
Grabgesteck landet in der Biotonne
Pastor Wulf vermisst, dass die Menschen reflektieren. „Es war klar, dass wir unterschiedlicher Meinung sind und das auch bleiben würden. Da habe ich nichts anderes erwartet. Aber wir haben Gesicht gezeigt, haben Haltung bewahrt. Das ist mir wichtig in diesen Zeiten. Ich sage: Wehret den Anfängen.“
Das Friedenslicht wollte niemand haben, auch das Grabgesteck nicht – dieses landete in der Biotonne. Einen neuen Kranz fand er nicht vor. Die Kirchengemeinde will weiterhin an den Montagen Präsenz zeigen.
Solidaritäts-Kundgebung und Menschenkette in zwei Orten
70 Personen zählte die Polizei derweil bei dem „Spaziergang“, kreisweit waren es zusammen mit Bad Bramstedt (200), Bad Segeberg, Norderstedt (je 120), Henstedt-Ulzburg (110) und Ellerau (32) über 600. Auch in anderen Städten und Gemeinden werden in dieser Woche Menschen auf die Straße gehen, um sich den als „Spaziergängen“ getarnten Treffen entgegenzustellen.
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In Kaltenkirchen hat für Mittwoch ein „Bündnis für Demokratie und Zivilcourage“ ab 18.30 Uhr vor dem Rathaus zu einer Kundgebung „gegen Verschwörungsmythen und rechtes Gedankengut“ aufgerufen. In den letzten Wochen hatte hier die AfD die Rundgänge angeführt.
Und am Freitag möchte das Bündnis für Demokratie und Vielfalt in Henstedt-Ulzburg ab 19 Uhr mit einer Menschenkette unter dem Motto „Zusammenhalten statt spalten“ entlang der Hamburger Straße ein Zeichen setzen.