Kiel. SPD, FDP und SSW greifen Aminata Touré im schleswig-holsteinischen Landtag scharf an. Wurden Akten im „Fall Samadzade“ unterdrückt?
Sie wussten, dass sie scheitern würden – und haben es trotzdem versucht: SPD, SSW und FDP, also die Oppositionsparteien im schleswig-holsteinischen Landtag, haben in dieser Woche einen Missbilligungsantrag gegen Sozialministerin Aminata Touré ins Parlament eingebracht. Nach 14 Sitzungen des Innen- und Rechtsausschusses und dem Studium von 3000 Seiten vertraulicher Akten ist die Opposition überzeugt, dass die grüne Sozialministerin gleich „mehrfach gegen die Aktenordnung der Landesverwaltung verstoßen hat“. Das sei keine Petitesse, sondern möglicherweise sogar eine Straftat, sagte FDP-Innenexperte Bernd Buchholz im Landtag.
Tourés Handeln rund um die Entlassung ihrer Staatssekretärin Marjam Samadzade sei weder transparent dokumentiert, noch vollständig nachvollziehbar. Deshalb müsse der Landtag ihr Verhalten offiziell missbilligen, lautete die Forderung von SPD, FDP und SSW. CDU und Grüne lehnten den Antrag mit ihrer breiten Mehrheit wie erwartet ab. Sie kritisieren eine „unglaubwürdige Selbstinszenierung“ der Opposition. Damit dürfte die politische Aufarbeitung des Falls endgültig ein Ende gefunden haben.
Missbilligung für grüne Ministerin? Opposition scheitert
Was ist geschehen: Als die schwarz-grüne Landesregierung im Sommer 2022 an den Start geht, entscheidet sich die neue Sozialministerin für eine Juristin als ihre Staatssekretärin: Marjam Samadzade. 1973 als Tochter afghanischer Flüchtlinge geboren, arbeitet sie zu dem Zeitpunkt erst einige Monate als Richterin an einem Hamburger Amtsgericht. Zuvor war sie rund acht Jahre in gleicher Funktion in Ratzeburg tätig. Schon nach gerade einmal einem Jahr ist das Verhältnis an der Spitze des Sozialministeriums im Sommer 2023 offenbar so zerrüttet, dass Touré die Trennung von ihrer Staatssekretärin verkündet: Samadzade kehre nach der Sommerpause zurück in den Richter-Beruf.
Wenig später heißt es auf einmal, statt nach den Ferien sei erst Ende 2023 Schluss für Samadzade als Mitglied der Landesregierung. Dann passiert nach außen erst einmal nichts. Nach allem, was bekannt ist, geht es aber in Chats zwischen den beiden Spitzenfrauen im Sozialministerium sehr wohl um die Trennung und ihre Modalitäten. Nur: Die Nachrichten auf Tourés Diensthandy sind längst gelöscht und nicht mehr nachvollziehbar.
Der Instagram-Post nach dem Überfall der Hamas auf Israel
Anfang 2024 sagt Touré der Deutschen Presse-Agentur zu ihrer umstrittenen Chatpraxis und der aktivierten automatischen Löschfunktion: „Das mag für einige Menschen merkwürdig klingen und vielleicht sogar fast paranoid, aber das ist für mich einfach eine Sicherheitsmaßnahme: Ich bin eine junge schwarze Politikerin, die Landespolitik macht und die trotzdem über die Grenzen hinaus viel Zustimmung, aber auch viel Hass erfährt. Ich bin mit vielem sehr vorsichtig.“
Weiter geht der „Fall Samadzade“ dann wenige Tage nach dem Überfall der Hamas mit Hunderten toten oder verschleppten Israelis. Jetzt überschlagen sich die Ereignisse in Kiel. Am 17. Oktober verbreitet Samadzade über die Plattform Instagram einen Post der Journalistin Alice Hasters, in dem die israelische Regierung für ihre Reaktion auf den Überfall scharf kritisiert und verurteilt wird. Spätestens jetzt reicht es Ministerpräsident Daniel Günther und seinem Staatskanzleichef Dirk Schrödter. Sie treiben die Trennung zügig voran. Für den SPD-Innenexperten Niclas Dürbrook nimmt die Staatskanzlei damit Touré die „Leitung ihres eigenen Hauses aus der Hand“.
Hat Samadzade von sich aus gekündigt – oder wurde sie entlassen?
Für die Staatskanzlei dürfte Samadzades Instagram-Post ein willkommener Anlass sein, die streitbare Staatssekretärin zügig loszuwerden. Das ist ihr gutes Recht. Aber die Frage lautet: Hat Samadzade von sich aus gekündigt – oder wurde sie entlassen? Im zweiten Fall würde ihr ein Übergangsgeld zustehen. Nachprüfbar sind aus Sicht der Opposition die Vereinbarungen nicht. Touré habe es gleich mehrfach versäumt, Chat-Protokolle zu speichern und zu den Akten zu geben, Gespräche und Vereinbarungen mit Samadzade zu dokumentieren und eine Anfrage der FDP vollständig, unverzüglich und mit aktuellen Fakten zu beantworten.
Die Dokumentationspflicht mache Verwaltungs- und Personalentscheidungen nachvollziehbar, nachprüfbar und transparent. Sie zu ignorieren, könne strafrechtlich als „Urkundenunterdrückung“ gewertet werden, sagt FDP-Innenexperte Buchholz im Landtag. „Auch wenn das nicht mit Absicht passiert sein sollte: Das ist keine Kleinigkeit“, greift er auch die Fraktionen von CDU und Grünen an, die sich schützend vor Aminata Touré stellen.
Vorwurf: Aminata Touré tritt gegen Ex-Staatssekretärin nach
Kurz nach der Entlassung strengt die grüne Ministerin zudem eine Überprüfung an, ob Samadzade auch dienstrechtlich zu belangen sei. Die Prüfung verläuft im Sande. Die Ex-Staatssekretärin kritisiert diese Initiative Tourés später im NDR als „politisch motiviert“. Es erwecke den Eindruck, als trete die Ministerin nach. Ihre Entlassung sei politisch in Ordnung, aber juristisch seien Fehler gemacht worden, die sie überprüfen lasse, so Samadzade im Sommer. Die Juristin erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre ehemalige Chefin. In einer der 14 Ausschusssitzungen sagt sie aus, die Ministerin habe ihr mit einer Schlammschlacht in der Presse gedroht.
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Aminata Touré rechtfertigt ihr Verhalten am Mittwoch im Landtag mit der „Fürsorgepflicht“ ihrer Staatssekretärin gegenüber. Das sei ihr „vordringliches Anliegen“ gewesen. Gleichwohl gebe sie zu, dass sie die Kleine Anfrage der FDP zu den Umständen der Trennung von Samadzade aus „heutiger Sicht anders und präziser“ beantworten würde.
Der Missbilligungsantrag ist gescheitert. Aminata Touré und mit ihr CDU und Grüne hoffen, das Thema jetzt abhaken zu können. Und Marjam Smadzade arbeitet inzwischen wieder als Richterin in Schleswig-Holstein.