Kiel. Verkehrsministerium dünnt abends, nachts und am Wochenende Verbindungen aus. Kritik von Opposition, DGB und Kirche. Was passiert 2025?
Der Ärger ist groß. Und er wird mehr. Die Kritik am Zugverkehr in Schleswig-Holstein (also an den Bahnbetreibern) und an der Verkehrspolitik (also an der schwarz-grünen Landesregierung) nimmt an Schärfe eher zu. Es geht um unpünktliche und dreckige Bahnen, um Züge, die ausfallen, Takte, die ausgedünnt, und Verbindungen, die abbestellt werden. Im Mittelpunkt der Kritik neben der DB-Regio: CDU-Wirtschaftsminister Claus Madsen. So unterstellt FDP-Verkehrsexperte Bernd Buchholz Madsen und der Landesregierung „Hilfslosigkeit und verkehrspolitisches Scheitern“. Protest erhebt sich aber nicht nur von der Opposition, auch der DGB und die Diakonie kritisieren die Einsparungen bei der Bahn. Worum geht es?
Abgefahren. Mit diesem Wort lässt sich der Zustand der Bahn im Norden beschreiben: Das Netz marode, die Gleise veraltet, Brücken nur eingeschränkt belastbar, viel befahrene Strecken wie die von Hamburg nach Sylt sind noch nicht einmal elektrifiziert. Es fehlt an Personal und ausreichend Zügen. So musste die Bahn zuletzt die Strecke von Husum nach St. Peter-Ording vorübergehend stilllegen – nur, um ausreichend Züge zur viel besuchten Kieler Woche fahren lassen zu können.
Schleswig-Holstein spart bei der Bahn – trotz versprochenen Verbesserungen
Trotz des Wissens um die Defizite hat Schwarz-Grün den Menschen bei der Regierungsbildung vor zwei Jahren Besserung versprochen. Statt 66 Millionen Euro im Jahr 2022 investierte das Land denn auch zuletzt 275 Millionen Euro in den ÖPNV, um die im Koalitionsvertrag versprochenen „Angebotsverbesserungen“ bei Bus und Bahn hinzubekommen. „Dabei sollen insbesondere Taktverdichtungen … vorangebracht werden“, heißt es im schwarz-grünen Vertrag.
Nur: Statt die Takte zu verdichten, sieht sich Landesverkehrsminister Claus Madsen jetzt gezwungen, sie landesweit abends, nachts und an den Wochenenden auszudünnen. Statt Neu- gibt es Abbestellungen. So werden beispielsweise die Fahrpläne der S3 im Kreis Pinneberg oder zweier AKN-Linien ausgedünnt, aus Zehnminutentakten werden teilweise 20-Minuten-Takte, auf der Strecke nach Niebüll werden zusätzlich eingerichtete Sprinterzüge am Wochenende wieder reduziert, die Sylt-Verbindung wird dezimiert. Menschen an 18 Streckenabschnitten landesweit sind betroffen. SPD-Verkehrspolitiker Niclas Dürbrook nennt das „einen schweren Schlag für alle, die auf zuverlässige und regelmäßige Zugverbindungen angewiesen sind“.
Madsen will die Härten „großflächig verteilen“
Madsens Ministerium hat die Leitlinie ausgegeben, Pendler die Kürzungen so wenig wie möglich merken zu lassen und „Lasten und Härten möglichst breit und großflächig zu verteilen“. Der Verkehrsminister spricht von einer „schmerzhaften Konsequenz“, mit der man auf die Krise im Landeshaushalt und auf fehlende Bundesmittel reagiere.
Zwar habe der Bund seine „Regionalisierungsmittel“ für die Länder nicht gekürzt, aber er habe sie halt auch nicht wie versprochen erhöht, kritisiert Madsen die Ampel-Koalition. Der Bund überweist dieses Jahr 372 Millionen Euro an Kiel. Darunter sind 50 Millionen als sein Anteil am Deutschlandticket. 50 bis 60 Millionen Euro mehr aus Berlin wären aber nötig, um den ÖPNV ohne Streichungen durchzufinanzieren – pro Jahr, so der Kieler Minister.
Einsparungen von sechs Millionen Euro erhofft
Von den 18 aktuellen Streichungen verspricht sich Madsen Einsparungen von sechs Millionen Euro. Der Rest des Defizits wird aus einem Sondervermögen von einer Viertelmilliarde Euro („MOIN.SH) finanziert.
Das Problem: Schleswig-Holstein lebt über seine Verhältnisse, die Steuereinnahmen sind viel zu gering für die Ausgaben, die sich Schwarz-Grün leistet. Nur mit 1,65 Milliarden Euro neuen Schulden über Notkredite und Einsparungen von 100 Millionen Euro ist es überhaupt gelungen, einen Haushalt aufzustellen. Dabei sind die 100 Millionen gerade einmal ein Vorgeschmack auf die kommenden Jahre. Für 2025 klafft noch ein Loch von 600 Millionen Euro. Wie viel Geld sich das Land den Nahverkehr dann kosten lässt, ist offen. Viele Kommunen und Kreise treibt angesichts der Spar-Aussichten die Sorge vor weiteren Streckenausdünnungen und -streichungen um.
DGB und FDP kritisieren Madsens Verkehrspolitik
Statt Strecken auszubauen und damit den Menschen eine verlässliche Alternative zum Auto anzubieten, dünne Schleswig-Holstein den Nahverkehr aus, kritisiert DGB-Chefin Laura Pooth. „Der Wirtschaftsminister sollte auf die Realität vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gucken, die auf Bahnen in Randzeiten angewiesen sind, weil sie in Schicht arbeiten.“ Betroffen von Kürzungen in den Randzeiten seien neben Menschen in der Gastronomie beispielsweise Reinigungskräfte. Die kämen bei Kürzungen oft nicht mehr zur Arbeit. „Das ist ein Signal, das wir nicht gebrauchen können“, sagt Pooth. Madsen solle fehlende Bundeszuschüsse nicht „bejammern“, sondern Vorschläge vorlegen, wo die Mittel herkommen sollen, fordert die Gewerkschafterin.
Sonst eher selten einer Meinung, ist die FDP in ihrer Kritik an Madsens Verkehrspolitik ähnlich scharf wie der DGB. „Die Zugstreichungen gehen gar nicht. Bisher haben meistens nur die Bahnunternehmen Züge im Land gestrichen, jetzt zieht Minister Claus Madsen mit großen Engagement nach.“ So kommentiert Ex-Verkehrsminister Bernd Buchholz die Streichungen seines Nachfolgers. Der FDP-Politiker kritisiert eine Verkehrspolitik mit vielen leeren Versprechungen bei fehlender Prioritätensetzung. Die Ausdünnungen im Fahrplan widersprächen auch der Mobilitätsgarantie der Landesregierung, wonach die Bahnen verlässlich und regelmäßig von früh bis spät an jedem Ort Schleswig-Holsteins fahren sollten.
Haushaltslage: Auch bei den Bussen wird gespart
Doch nicht nur der Zugverkehr ist vom Sparzwang betroffen. Das Land will auch die Zuschüsse für die Busunternehmen einfrieren – trotz steigender Kosten. So hofft Madsen, 1,5 Millionen Euro einzusparen. Das hält nicht nur Bernd Buchholz für falsch, auch die Diakonie warnt. Hier zu streichen würde vor allem Familien und ältere Menschen in ländlichen Regionen treffen. „Eine Ursache von Armut ist schon heute der Mangel an Mobilität. Menschen, die sich kein Auto leisten können, sind auf funktionierende Busverbindungen angewiesen, um zur Arbeit zu fahren, einen Arzt aufzusuchen oder zum Supermarkt zu kommen. Sollte der öffentliche Nahverkehr weiter eingeschränkt werden, wird sich ihre Situation verschärfen“, warnt Landespastor Heiko Naß.
Schleswig-Holstein streicht nicht nur Verbindungen oder dünnt sie aus, Schwarz-Grün investiert auch fast eine Milliarde Euro: Das Land hat 42 Akkuzüge beim französischen Hersteller Alstom bestellt. Die will Madsen an Bahnunternehmen ohne eigene Flotte vermieten, um so den Wettbewerb auf der Schiene ankurbeln. Damit reagiert das Land auch auf den „permanenten Ärger mit der Bahn. Entweder sind die Schienen kaputt oder die Züge sind kaputt. Schleswig-Holstein zahlt jedes Jahr 150 Millionen Euro Entgelt für ein museumsreifes Schienennetz.“ So schimpfte Madsen im Winter im Abendblatt über die DB Regio und ihr Netz zwischen Hamburg in Kiel beziehungsweise Flensburg.
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Weil so viele Regiozüge ausfallen oder unpünktlich unterwegs sind, überweist das Land der Bahn bis zu 500.000 Euro weniger als vereinbart – pro Monat. Hinzu kommen noch einmal 50.000 Euro Malus pro Monat bei schlechter Reinigung. So sind allein für Januar, Februar, März und Mai mehr als zwei Millionen Euro zusammengekommen, die Schleswig-Holstein einbehalten hat. Lediglich im April wurde alles, was vereinbart ist, auch ausgezahlt, da „DB Regio nachweisen konnte, die Mindestanforderungen erfüllt“ zu haben.