Kiel. Treffen mit Anke Erdmann (Grüne) und Ulf Kämpfer (SPD) vor der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein. Ein Schlagabtausch.

Streit in der Familie kann auch lustig sein. Spannend. Überraschend. Klug. Inspirierend. Wie neulich abends in einer kleinen Weinbar in Kiel. Das Motto dort: Ein Paar – zwei Parteien. Das Besondere: Es ist nicht irgendein Paar, dass sich zum politischen Schlagabtausch trifft. Das Paar ist ein Paar, verheiratet, Mutter und Vater eines Jugendlichen. Nur dass sie, Anke Erdmann, die Landesvorsitzende der schleswig-holsteinischen Grünen ist und er, Ulf Kämpfer, der stellvertretende SPD-Landeschef und Kieler Oberbürgermeister.

Dabei: So viel wurde gar nicht gestritten, auch wenn beide gut zwei Wochen vor den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein mitten im Wahlkampf stecken. Rot-Grün harmoniert und funktioniert hier bereits. Bei den beiden Parteien könnte es ein knappes Rennen um Platz zwei werden.

Kommunalwahl – die Personen:

Anke Erdmann, im Hauptberuf Trauerrednerin, 50 Jahre, diplomierte Volkswirtin, Bildungsexpertin, ehemalige Staatssekretärin im Kieler Umweltministerin. Nach drei Jahren Pause ist sie seit September 2022 zurück auf der politischen Bühne und Parteichefin der Grünen.

Ulf Kämpfer, eigentlich Richter von Beruf, auch 50 Jahre alt, seit neun Jahren Kieler OB (zweimal mit jeweils mehr als 60 Prozent der Stimmen gewählt), wie seine Frau ebenfalls ehemaliger Umweltstaatssekretär, seit 27 Jahren in der SPD und Hoffnungsträger der zuletzt gebeutelten schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten.

Dazu kommen: Johann, Sohn, 17 Jahre, auch bei den Grünen. Schon steht’s zu Hause 2:1 für die Grünen. Und dessen Patenonkel: Robert Habeck. Spielstand: 3:1. Die Grünen liegen vorn. Wie auch in der jüngsten NDR-Umfrage zum Ausgang der Kommunalwahl. Die sieht die CDU mit weitem Abstand auf Platz eins (38 Prozent). Auf zwei landen die Grünen (17), auf drei die SPD (15). Das ist dieselbe Rangfolge wie schon bei der Landtagswahl vor einem Jahr.

Der Ort – Heimspiel für Grün-Rot

In der d.o.-Weinbar hatten sie schon Sozialministerin Aminata Touré zum Talk für dieselbe Reihe „Wein trifft Politik“. Dann gibt es noch die Reihe „Wissenschaft trinkt Wein“, es gibt Livemusik und Kunstausstellungen. Jetzt also Erdmann und Kämpfer vor 40 Leuten. Viele sind – wie die beiden Redner – aus Überzeugung mit dem Rad gekommen. Heimspiel für Grün-Rot hier.

Runde 1. Oder: Woher sie kommen, warum sie hier sind

Es sei halt schön, ihren Mann auch mal im Hellen (Beginn ist um 19 Uhr) zu treffen, um über Politik zu sprechen, und nicht, wie sonst so oft, erst spät am Abend, lacht Frau Erdmann. Hier wird viel gelacht an diesem Abend. Wie grün der Ulf denn sei, will der Gastgeber wissen. Ziemlich, nur halt in der falschen Partei, meint sie. Ihre Freunde und Nachbarn seien schon geschockt gewesen, als sie erfuhren, dass der Mann sich in der SPD engagiere. „Aber für einen Sozialdemokraten ist er angenehm grün.“ Wieder ein Lacher.

Sie komme, erzählt er, aus einem klassischen SPD-Haushalt. Mehrfamilienhaus, kleine Verhältnisse, nicht arm, aber wie viele in den 70er- und 80er-Jahren, die es nicht einfach hatten und sich hochkämpfen mussten, aufstiegsorientiert. „Eigentlich hättest du auch in der SPD bleiben können“, sagt er und lobt das „typisch sozialdemokratische und ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl“ seiner Frau.

Runde 2. Oder: Der politische Haushalt

Eigentlich gehe es bei ihnen zu Hause immer nur um Politik. Tag für Tag. Und manchmal auch nachts. Weniger um Parteipolitik, mehr um die großen Fragen. Und die ranken sich halt ganz stark um die Themen, die so viele Menschen aktuell beschäftigen und alle betreffen. Um Klimafragen, die Energiewende, das Pariser Abkommen, um jedes Zehntel Grad weniger an Erderwärmung, für das es sich zu kämpfen lohne, um Gerechtigkeit, um gesellschaftlichen Zusammenhalt.

„Streiten tun wir uns ab und an in unseren Diskussionen, aber eigentlich sind wir unsere kritischsten Berater“, erzählt der Kieler Verwaltungschef. „Andere finden Tennis toll. Oder Fußball. Aber wir machen mit Leidenschaft Politik“, sagt die grüne Spitzenfrau. An diesem Morgen hätten beide schon um 5 Uhr wach im Bett gelegen. Statt sich nochmals umzudrehen, hätten sie angefangen, über Klimastudien zu diskutieren. „Weil es uns umtreibt“ und „weil wir die Welt als gestaltbar erleben“, heißt es.

Und wenn es im Hause Erdmann/Kämpfer dann doch mal nicht ums große Ganze geht, sondern um Kieler Parteienpolitik, dann spricht man über vieles offen – aber nicht über alles. Er schätze, dass er so um die 90 Prozent dessen erfahre, was seine Frau umtreibe. „Und umgekehrt“, sagt der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende. Man sei in erster Linie Partner, aber halt auch Konkurrent. Und wenn man sich Parteiinterna anvertraue, sei klar: „Das bleibt unter uns.“

Runde 3. Was Spaß macht und was nicht

Als Oberbürgermeister von Kiel könne er viel mehr gestalten als gedacht – und als es die Gemeindeordnung vorsehe. Wichtig im Leben sei, dass man erfüllt sei und selbstwirksam, dass man Dinge positiv verändern könne. „Und da kann ich mir nichts Tolleres vorstellen als diesen Job.“ Der Nachteil daran sei, dass er überall in Kiel erkannt werde, eigentlich immer im Dienst sei.

Und dann, erzählt Kämpfer, gebe es extrem belastende Ereignisse wie den Messermord in der Regionalbahn von Kiel nach Hamburg im Januar. In der Aufarbeitung der behördlichen Fehler in NRW, Hamburg, aber auch in Kiel ging es letztendlich auch um die Frage, ob die beiden Teenager noch leben könnten, „wenn man etwas anders gemacht hätte“, so Kämpfer.

Die zeitliche Beanspruchung durch Politik sei schon enorm. Die Familie habe sich nie so oft gesehen wie coronabedingt die vergangenen drei Jahre, „Die Beanspruchung ist unglaublich, und die Verantwortung, die man übernimmt, ist nicht immer schön“, sagt sie und erinnert an die milliardenschwere Rettung der damals maroden HSH Nordbank. „Als Politiker bist du nicht fertig. Das ist irgendwie cool, es wird nie langweilig. Aber es ist auch eine ganz schöne Bürde.“

Runde 4. Der blöde Schritt zurück

Als ihr Mann vor gut zehn Jahren Staatssekretär im Kieler Umweltministerium – unter dem Landesminister Robert Habeck – wurde, ist Anke Erdmann zurückgetreten aus dem grünen Fraktionsvorstand. Diese Zeit und den Schritt zurück nennt Erdmann „wirklich blöd. Ich habe die Waschmaschine beladen, und Ulf, der Sozialdemokrat, saß auf einmal in den grün-strategischen Runden, in denen ich vorher saß.“

Runde 5: Trauerreden auf SPD und FDP

Nein, antwortet sie, eine Trauerrede auf die SPD habe sie noch nicht vorbereitet, das wäre auch völlig vermessen. „Das zeigt doch die jüngste Bundestagswahl. Keiner hat einen Cent auf Olaf Scholz gewettet – außer Olaf Scholz.“ Und der sei jetzt Bundeskanzler, sagt die freiberufliche Trauerrednerin. „Er hatte verstanden, was es bedeutet, wenn Angela Merkel aufhört. Diese Lücke hat er besetzt und das strategisch gut gemacht.“

Aber es gebe eine Partei, auf die sie so gern eine Trauerrede halten würde: Schleswig-Holstein sei das einzige Landesparlament ohne AfD-Abgeordnete. „Das finde ich super.“

Und dann gibt es ja auch noch die FDP, mit der sich die Grünen in der Bundesregierung so sehr zoffen, dass sie dem „lieben Robert“ schon mal Solidaritätsbekundungen zur Aufmunterung schickt. Auf diese FDP, überrascht Frau Erdmann, würde sie nur ungern eine Trauerrede halten. Die Partei werde noch gebraucht.

Die FDP binde Menschen, die im demokratischen Prozess eine Heimat bräuchten. „Die Partei fliegt im Moment aus den Landesparlamenten oder Landesregierungen raus. Angstgetrieben schlägt sie deshalb Krawall, um nicht unterzugehen.“

Runde 6: Der Kieler OB mit dem falschen Parteibuch

Ulf Kämpfer sei ein richtig guter Kieler OB, trotz falschen Parteibuchs, sagt die politische Gegnerin und Ehefrau. Dank seiner verbindenden Art habe er es beispielsweise geschafft, einen einstimmigen Beschluss zur Einführung einer Stadtbahn in Kiel hinzubekommen. Das sei eine großartige Leistung.

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In drei Jahren endet Kämpfers zweite Amtszeit als Kieler OB. Ob er dann nochmals kandidiert, ist offen. Ideen hätte er für mindestens sechs weitere Jahre, hatte er die Tage mal gesagt. Eine Wiederwahl würden dann insgesamt 18 Jahre als Oberbürgermeister bedeuten. „Und das ist schon eine ziemlich lange Zeit, um als Oberbürgermeister die Frische zu bewahren – und für die Stadt, diesen Oberbürgermeister zu ertragen“, hatte er gesagt.

Beim jüngsten SPD-Landesparteitag war Kämpfer als Stellvertreter von Serpil Midyatli in die engere Parteiführung gewählt worden. Das wurde im Land als denkbarer erster Schritt hin zu einer möglichen Spitzenkandidatur zur Landtagswahl gewertet.

„Bevor Anke und ich auf kommunaler Ebene, zum Beispiel bei der nächsten Wahl zum Kieler OB, direkt konkurrieren, konkurrieren wir eher auf Landesebene“, gab Kämpfer den Gerüchten um einen Wechsel in die Spitze der SPD-Landespolitik in der Weinbar neue Nahrung.