Flensburg. Eine Ausgangssperre soll nun die Ausbreitung der Mutation im Norden verhindern. Wer trägt Schuld an der ungehinderten Verbreitung?

Nun gibt es sie erstmals auch in Schleswig-Holstein – eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr. Ab morgen gilt sie in Flensburg, zudem sind alle Kontaktmöglichkeiten außerhalb des eigenen Haushalts gestrichen. Reisen, ja selbst Fahrten ins Umland sollen vermieden werden. Diese Maßnahmen sollen helfen, die hohe Corona-Inzidenz in der Stadt (185,2) zu senken.

Ob das gelingt, ist umstritten. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte vor noch nicht einmal einem Monat beteuert, dass es im nördlichsten Bundesland keine Ausgangssperren geben werde. Sie seien bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von damals 90 in Schleswig-Holstein „kein probates Mittel“, hatte er gesagt.

Bürgermeisterin hat Eindringen der Mutante lange tatenlos zugesehen

Er habe „nicht den Eindruck, dass zu den Uhrzeiten, in denen in anderen Bundesländern solche Ausgangssperren verhängt sind, besonders viele Menschen auf den Straßen sind“. Am Mittwoch lag die Inzidenz in Schleswig-Holstein bei 52,4. In dieser Situation die erste Ausgangssperre im nördlichsten Bundesland zu verhängen, ist also zumindest erklärungsbedürftig.

Die überraschende Entscheidung hat einen lokalpolitischen und einen landespolitischen Aspekt. Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) hat dem Eindringen der englischen Mutante B.1.1.7 lange tatenlos zugesehen. Sie gilt als infektiöser und ist vermutlich für den Anstieg der Inzidenz in Flensburg verantwortlich.

Hat Flensburgs Bürgermeisterin der Verbreitung der Mutation zu lange tatenlos zugeschaut? (Archivbild)
Hat Flensburgs Bürgermeisterin der Verbreitung der Mutation zu lange tatenlos zugeschaut? (Archivbild) © picture alliance / AP Images | Unbekannt

Mutation verbreitete sich in Flensburg rasend

Am 24. Januar wurde ein erster Fall dieser Mutante nachgewiesen. Dann ging es schnell hoch. Schon am 28. Januar teilte Lange lapidar via Facebook mit: „Wir wissen nun auch, dass in 30 Fällen eine bestätigte Mutation vorliegt, 70 Mutationsverdachtsfälle liegen darüber hinaus vor.“ Ein besorgniserregender Anstieg, dem man mit eindämmenden Maßnahmen möglicherweise noch hätte begegnen können.

In Flensburg geschah nichts, nicht einmal eine Pressemitteilung wurde versendet. Bald wurde auch das Robert-Koch-Institut auf den Mutantenschwerpunkt Flensburg aufmerksam. Aus einer Ad-hoc-Erhebung des Instituts ging am 5. Februar hervor, dass die weitaus meisten deutschen Fälle der Mutante in Schleswig-Holstein gezählt wurden. Eine dazugehörige Deutschland-Karte zeigte einen tiefblauen Fleck für den Ort mit der stärksten Mutantenverbreitung. Er lag ganz oben auf der Karte: Flensburg.

Flensburg reagierte zu langsam auf sich ausbreitende Mutation

Doch dort geschah weiterhin nichts. Erst am 12. Februar wurden zusätzliche Maßnahmen ins Werk gesetzt. Da lag die Zahl der Mutantenfälle schon bei 233, die Inzidenz bei 126,4. Es galt nun eine Maskenpflicht auf Spielplätzen, nur ein Haushaltsmitglied durfte einkaufen. Geholfen hat es nicht viel. Am vergangenen Mittwoch wurden schon 290 Mutantenfälle gezählt, die Inzidenz stieg auf 185,2.

Oberbürgermeisterin Simone Lange wurde offenbar klar, dass es so nicht weitergehen kann. Informationen zufolge war sie es, die beim Ministerpräsidenten Daniel Günther vorstellig wurde und eine Ausgangssperre ins Spiel brachte, die ursprünglich wohl noch deutlich über den jetzt festgelegten Zeitraum von 21 bis 5 Uhr hinausreichen sollte.

„Wir dürfen und wollen die positive Entwicklung in Schleswig-Holstein nicht gefährden“

Es war eine Bitte, die die „Jamaika“-Koalition in einer denkbar unpassenden Situation traf. Der Ministerpräsident hatte gerade auf Druck des kleineren Regierungspartners FDP Lockerungen angekündigt. In weiten Landesteilen sollen am kommenden Montag Kita-Kinder und Grundschüler wieder die volle Betreuung bekommen. Am 1. März sollen Friseure, Gartencenter, Blumenläden, Zoos und Nagelstudios öffnen. Auch Individualsport in Hallen und auf den Außengeländen wird wieder erlaubt.

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Sozialminister Heiner Garg (FDP) machte deshalb auch keinen Hehl daraus, worum es der Landesregierung bei der Flensburger Ausgangssperre geht. „Wir dürfen und wollen die positive Entwicklung in Schleswig-Holstein nicht gefährden“, sagte er. „Da Ziel muss sein, die Öffnungsschritte, die wir uns vorgenommen haben, auch umzusetzen“. Und er mahnte: „Es ist meine Erwartung, dass in Flensburg die Regeln eingehalten werden.“ Er habe gehört, dass dort Firmen tatsächlich noch Betriebsversammlungen in Präsenz abgehalten hätten.