Kiel. Es begann 2010 mit Polizei-Konflikten. Nun wurde der Innenminister geschasst. Doch das Ende ist weiter offen.
Es barschelt wieder in Schleswig-Holstein. So ist das nun mal: Sobald sich im Land zwischen den Meeren ein paar Streitereien zu einer Affäre auswachsen, ist der Vergleich zum monströsen Barschel-Skandal nicht mehr fern.
Dabei geht es jetzt nicht um einen Ministerpräsidenten, der ein schmutziges Spiel spielt, um im Amt zu bleiben. Es geht im Kern um eine Landespolizei, die offenbar nicht in der Lage ist, interne Probleme adäquat zu lösen. Und um einen Innenminister, der bei dem Versuch scheitert, diese Polizei zur Ordnung zu rufen.
Grote-Rücktritt: Rocker-Affäre begann 2010
Am Ende bleiben zurück: ein zum Rücktritt gezwungener Minister namens Hans-Joachim Grote (CDU), ein beschädigter Ministerpräsident namens Daniel Günther (CDU), eine irrlichternde Staatsanwaltschaft Kiel – und ein außer Kontrolle geratener Polizeiapparat. Mit anderen Worten: großer Schaden bei kleinem Anlass.
Der Beginn der Affäre datiert aus dem Jahr 2010. Schleswig-Holstein will das Rocker-Unwesen in den Griff kriegen. Der damalige Innenminister Klaus Schlie (CDU) macht ordentlich Druck. Eine im Landeskriminalamt (LKA) installierte Soko „Rocker“ versucht, Erfolge zu liefern. Aber es kriselt im Team. Der Soko-Leiter gilt als unerfahren im Bereich der organisierten Kriminalität. Manche Ermittler lassen ihn das spüren.
Soko: Streit bei der Aktenführung löst Affäre aus
In den Teams der Landespolizei duzen sich eigentlich alle, nicht aber bei der Soko: Einer der Ermittler siezt seinen umstrittenen Chef. Man kann sich ganz offenbar nicht leiden. Und das hat Folgen. In der Soko gibt es Streit um die Aktenführung. Gehört der Hinweis eines Informanten der Polizei in die Akten oder nicht? Ist der Informantenschutz höher einzustufen als das Prinzip der ordnungsgemäßen Aktenführung?
An dieser mittlerweile geklärten Frage (ja, der Hinweis hätte in die Akten gemusst) entzündet sich eine erst polizeiinterne, dann auch öffentlich geführte Auseinandersetzung, die über zehn Jahre hinweg immer neue Eskalationsstufen nimmt. Und niemand schafft es, das zu stoppen.
Höhs lässt Polizisten versetzen
Zwei LKA-Ermittler bestehen damals darauf, dass der Hinweis aktenkundig wird. Der eine ist der, der seinen Chef nicht duzt. Die Chefs – auch der, der nicht gesiezt werden will – sind anderer Meinung. Zu ihnen gehört Ralf Höhs, damals Leitender Kriminaldirektor im LKA.
Ergebnis: Der Hinweis kommt nicht in die Akten. Daraufhin legt einer der Ermittler die Sachbearbeitung in dem Fall nieder, dem anderen wird sie entzogen. Höhs reagiert knallhart: Beide Polizisten werden versetzt. Er lässt bei einem der beiden sogar prüfen, ob er noch dienstfähig ist. Man kann das durchaus erbarmungslos nennen. Und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
Klima der Angst bei der Polizei
Die geschassten Polizisten schlagen zurück. Volles Programm: Strafanzeige, Dienstaufsichtsbeschwerde, Schadenersatzklage, Einschaltung des Mobbing-Ausschusses der Polizei. Der Ausschuss legt nach langem Schweigen einen Bericht vor, in dem von einem Klima der Angst in der Polizei berichtet wird.
Das Innenministerium geht auf Konfrontationskurs und entzieht dem Ausschuss den Fall. Auch die Dienstaufsichtsbeschwerde wird eingestellt. Gnadenlose Rechthaberei dominiert. 2013 wird Ralf Höhs zum ersten Polizisten im Lande ernannt – zum Chef der Landespolizei.
Konfrontationskurs der Polizeichefs wird verschärft
In der Polizei gärt es. Der neue Polizeichef und dessen Vorgesetzter Jörg Muhlack, Chef der Polizeiabteilung im Innenministerium, haben offenbar nicht die Fähigkeit, auf die Kritiker dieser Personalie zuzugehen. Im Gegenteil: Der Konfrontationskurs wird verschärft.
Bei der Landespolizei habe es damals eine „Günstlingswirtschaft“ gegeben, wird später ein Leitender Polizeidirektor sagen. Die Führungsspitze habe das Personal in „Schwarze, Graue und Weiße“ eingeteilt. Die „Schwarzen“ habe man kaltstellen wollen, die „Grauen“ seien irrelevant, die „Weißen“ die Guten gewesen.
Rocker-Affäre wird zu Grotes Aufgabe
Im Mai 2017 bekommt Patrick Breyer, damals Landtagsabgeordneter der Piratenpartei, die Unterlagen zu dem Fall zugespielt – und geht damit an die Öffentlichkeit. Es sei „ein Notruf“ gewesen, sagt er heute. Seine „Quellen“, deren Identität er verschweigt, hätten alle internen Wege ausgeschöpft, um die Situation innerhalb der Polizei zu verbessern. Aber geschehen sei nichts.
Die Rocker-Affäre wird nun öffentlich – und damit zur wichtigsten Aufgabe des neuen Innenministers Hans-Joachim Grote. Nach dem überraschenden Wahlsieg des CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther macht der nicht etwa seinen Parteifreund und Ex-Minister Klaus Schlie zum Chef des Innenressorts, sondern den Norderstedter Bürgermeister Grote.
Eine klare Entscheidung gegen das Partei-Establishment. Grote gilt als findiges Stadtoberhaupt, spielt in der Landespartei aber keine große Rolle – und hat dort wenig Rückhalt.
Grote löst Höhs und Muhlack ab
Der neue Minister sieht wenig Sinn darin, sich mit jahrealten Ereignissen herumzuschlagen, die ohnehin nicht mehr zu ändern sind. Er will die Polizei so umbauen, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen können. Höhs und Muhlack, so sein Eindruck, wollen das nicht. Im November löst er sie ab.
Doch in der Polizei gärt es. Viele Polizisten haben Höhs ihre Karriere zu verdanken. Wieso wird er jetzt abserviert? Auch der Mann, der nicht duzen wollte, ist noch im Spiel, lässt sich weiterhin anwaltlich beraten und vertreten. In den Medien häufen sich die Durchstechereien. Immer öfter geraten Interna an die Öffentlichkeit.
Besonders gut sind die „Kieler Nachrichten“ (KN) dabei – mit ihrem Polizeireporter. Aber auch dort sieht man sich bald von Feinden umzingelt. Im Juli 2017 berichtet das Blatt über einen Peilsender, der im linken Kotflügel des Chefredakteurswagens gefunden worden sei. „Journalisten abgehört und überwacht?“ lautet die Schlagzeile. Bei weiteren Untersuchungen ist der Sender dann verschwunden. „Da gab es Verfolgungswahn auf allen Seiten“, sagt ein Landespolitiker heute.
"Geheime" Kapitel schaffen es in die Zeitung
Im Juli 2018 legt Minister Grote einen von ihm in Auftrag gegebenen Bericht vor. Damit will er die Rocker-Affäre beenden. Tenor des Berichts: kein Skandal, aber Missstände. Der Text wird nur teilweise veröffentlicht. Die als geheim eingestuften Kapitel sind dennoch wenig später in den „Kieler Nachrichten“ zu lesen.
Bei der Polizei, aber auch in Teilen des Innenministeriums wird die Berichterstattung der KN als einseitig empfunden. Die Verärgerung reicht bis hin zur Kündigung privater Abos. Bald gibt es auch ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt. Wer füttert das Blatt?
Razzien waren teilweise illegal
2019 fällt der Verdacht auf Thomas Nommensen, den stellvertretenden Landeschef der Polizeigewerkschaft DPolG. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. DPolG-Räume in Kiel werden durchsucht – was teilweise illegal war, wie ein Richter später feststellen wird.
Ohnehin hat die Kieler Anklagebehörde in den vergangenen Jahren viel Kritik auf sich gezogen. Die große Razzia im Jahr 2014 gegen Wara Wende, die Bildungsministerin der damals SPD-geführten Landesregierung? Wende verlor ihren Job, der Verdacht reichte. Aber das Verfahren gegen sie wurde zwei Jahre später sang- und klanglos eingestellt.
Drei Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die Landesdatenschützerin Marit Hansen. Ergebnis: Verfahren eingestellt. In einem anderen Fall im eigenen Haus war man weitaus weniger engagiert: In Kiel steht gerade – deutschlandweit einmalig - eine Staatsanwältin vor Gericht, die über Jahre hinweg mit illegalen Notverkäufen von beschlagnahmten Tieren einen enormen Schaden angerichtet hat.
Whats-App-Verkehr mit einem KN-Redakteur
Aus dem umfangreichen Whats-App-Verkehr mit einem KN-Redakteur, den die Staatsanwaltschaft bei Nommensen findet, speist sich nun die jüngste Volte der Affäre.
Dieser Whats-App-Verkehr besteht, so sagen es diejenigen, die Einblick nehmen konnten, aus Stammtischgerede und Gerüchten. Man habe Grote in der Hand, wird dort juxend behauptet. Moslems werden als „Muselmanen“ bezeichnet. „Das ist Gesabbel von 14-Jährigen“, sagt einer, der die Kommunikation kennt.
Ein manipuliertes Handyfoto führt zu Diskussionen
Die Kieler Staatsanwaltschaft sieht das mal wieder anders. Im April verfasst sie zwei geheime Berichte, die auf dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten landen. Daniel Günther stellt Grote zur Rede. Unter anderem soll es dabei um ein Foto gegangen sein. Es stammt aus einem Whats-App-Verkehr zwischen dem KN-Redakteur und Grote und zeigt einen LKA-Mitarbeiter, Herrn Schmidt (Name von der Redaktion geändert), der ein Handyfoto von dem KN-Mann zu machen scheint.
Sicher ist das allerdings nicht, denn es ist nicht zu erkennen, was oder wen er fotografieren könnte. Dennoch sendet der Redakteur das Foto an Grote und schreibt dazu: Vielleicht habe es als „Hoffnung“ gedient, „dass wir bei den KN die Sache zum Vorgang machen“ könnten und Herr Schmidt anschließend die Chance hätte, öffentlich zu sagen: „Da sei nichts auf dem Handy“ – und überhaupt würde der KN-Redakteur „unter Verfolgungswahn leiden …“
Günther fühlt sich von Grote betrogen
Im Chat zwischen demselben Redakteur und Nommensen taucht das Foto dann erneut auf, allerdings mit dem Schriftzug „Arschloch“ versehen. Grote sagt, er habe damit nichts zu tun. Aber Günther glaubt ihm nicht, fühlt sich offenbar schon allein wegen des vertraulichen Whats-App-Kontakts zu dem Journalisten belogen.
Vertrauliche Kontakte zu Journalisten sind allerdings keine Seltenheit in der Politik. Auch Günther führt gelegentlich Hintergrundgespräche. Dennoch: Grote, der sich auf Anfrage zu alldem nun nicht mehr äußern will, tritt am 28. April zurück. Es bleibt ein getarnter Rauswurf, dem es an einer überzeugenden Erklärung fehlt.
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Stand Grote auf der Abschussliste?
Grotes Nachfolger wird die Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack, Tochter des alten CDU-Kämpen Henning Schwarz, Minister im Kabinett von Uwe Barschel. Sütterlin-Waacks Nachfolger wird Claus Christian Claussen, Sohn des alten CDU-Kämpen Karl Eduard Claussen, ebenfalls Minister unter Uwe Barschel.
Grote, der Mann aus der Norderstedter Provinz, weicht dem Partei-Establishment. Die „Jamaika“-Koalition in Kiel – sie wirkt gerade gar nicht bunt und frisch. Im Gegenteil: Der Weg führt zurück ins Grau der Barschel-Jahre. Patrick Breyer, der Piraten-Mann mit den Kontakten, sagt: „Grote stand auf der Abschussliste.“ Und: „Die Quellen sind jetzt demotiviert.“