Kiel/Hamburg. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther im großen Abendblatt-Interview. Plädoyer für Frauenquote in der Bundes-CDU.
Die Zahl der geimpften Menschen steigt, die Corona-Inzidenz sinkt. Aber hält die Entwicklung auch nach der Rückkehr der Sommerurlauber an? Daniel Günther ist optimistisch: „Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass im Herbst die Zahlen nicht wieder so ansteigen werden wie im vergangenen Jahr“, sagte der schleswig-holsteinsche Ministerpräsident.
Im Interview des Hamburger Abendblatts mit dem CDU-Politiker ging es zudem um eine Frauenquote in seiner Partei und die zentralen Themen im Bundestagswahlkampf.
Hamburger Abendblatt:Schleswig-Holstein ist ganz gut durch die Pandemie gekommen. Wie viel Prozent davon sind dem Glück der geografischen Lage zuzuschreiben, wie viel Prozent dem Geschick der Regierung?
Daniel Günther: Viele Faktoren haben die Entwicklung begünstigt; geografische gehören dazu. Ein Land zwischen den Meeren, viel Wind, eine etwas dünnere Besiedelung und ein Nachbarland wie Dänemark haben geholfen. Dass wir sehr verständliche und klar kommunizierte Regeln in Schleswig-Holstein hatten und eine hohe Bereitschaft der Bevölkerung, sich auch daran zu halten, hat auf jeden Fall auch geholfen. Alle diese Faktoren zusammengenommen, führten zu der relativ guten Corona-Lage, die wir die meiste Zeit in Schleswig-Holstein hatten.
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Wären Sie als Ministerpräsident nicht auf verlorenem Posten gewesen, wenn die Schleswig-Holsteiner überwiegend mit Ablehnung auf die Beschränkungen reagiert hätten?
Günther: Politik hat immer damit zu tun, die Menschen zu überzeugen. Anordnungen allein funktionieren nicht. Man muss Regeln erlassen, die verständlich sind. Wir haben viel kommuniziert und ganz viel erklärt. Die Resonanz darauf war viel Verständnis in der Bevölkerung. Aber klar ist auch: Wenn uns das nicht gelungen wäre, hätten wir die Pandemie nicht so erfolgreich bekämpfen können. Kommunikation ist Teil des politischen Handwerks, die muss man beherrschen.
Gab es Momente, wo Sie gedacht haben, jetzt könnte die Stimmung kippen?
Günther: Nach Verhandlungen mit der Bundeskanzlerin und den anderen Bundesländern war die Resonanz der Bevölkerung oft so, dass wir die Beschlüsse und Ziele neu erklären mussten. Zum Beispiel nach der beschlossenen Osterruhe, deren Regeln keiner mehr verstanden hat. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass die Stimmung gekippt sein könnte. Auch, weil Regeln immer wieder verändert wurden.
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Warum hat Schleswig-Holstein geringere Inzidenz als Hamburg?
Bei der Kommunikation auch auf Regierungsseite ist einiges schiefgelaufen. Sie haben lange den Eindruck erweckt, in Schleswig-Holstein werde es keine Ausgangssperren geben, aber am Ende gab es sie dann doch.
Günther: Wir haben die Ausgangssperre nicht aus ideologischen Gründen abgelehnt, sondern sie immer als das letzte Mittel betrachtet. Wir haben sie ja auch in Flensburg angewandt, als die Inzidenz dort sehr hoch war und sich die britische Mutante durchgesetzt hatte. Aber wir waren sehr skeptisch bei der Bundesnotbremse, die schon bei einer Inzidenz von 100 eine Ausgangssperre vorsah. Das hätten wir in Schleswig-Holstein definitiv so nicht gemacht.
Wäre es eine Lehre aus der Pandemie, dass man als Politiker öfter mal ganz ehrlich sagt: Ich weiß auch nicht, wie sich das entwickeln wird?
Günther: Das habe ich ja gemacht. Ich habe sehr häufig und bis heute immer wieder klar gesagt, dass wir in solchen Situationen nie ganz feste Prognosen abgeben können. In der Pandemie mussten Politik und Wissenschaft immer dazulernen. Aktuell haben wir die Regeln weiter gelockert. Wir sagen den Menschen: Macht euch einen entspannten Sommer. Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass, auch wegen der guten Impfquote, im Herbst die Zahlen nicht wieder so ansteigen werden wie im vergangenen Jahr. Aber ich werde mich nicht hinstellen und Versprechen abgeben, die ich dann eventuell nicht halten kann.
Hamburg hat trotz deutlich strengerer Corona-Regeln eine höhere Inzidenz als Schleswig-Holstein, aktuell sogar die höchste in ganz Deutschland. Hat Hamburg etwas falsch gemacht?
Günther: Wenn wir über niedrigere oder höhere Inzidenzen sprechen, tun wir das auf einem aktuell sehr niedrigen Niveau. Auch in Hamburg ist die Situation deutlich verbessert, auch durch sehr, sehr strenge Maßnahmen, die viel länger greifen mussten als in Schleswig-Holstein. Die Lage ist zur Zeit vergleichbar, nur auf niedrigem Niveau sind die Hamburger Zahlen leicht höher.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Corona: Günther über Delta-Variante
Für wie gefährlich halten Sie die Delta-Variante?
Günther: Wir nehmen sie ernst, beobachten sie intensiv. Der prozentuale Anteil steigt bundesweit und auch bei uns. Die Ansteckungsgefahr ist höher. Klar ist aber auch: Wenn wir Regeln und Abstand einhalten und wenn wir impfen, ist das der Weg, auch diese Mutation kleinzukriegen und die Pandemie trotzdem gut zu durchstehen. Vorsicht ist wichtig, aber man darf die Lage auch nicht dramatisieren. Dazu besteht kein Grund.
In Schleswig-Holstein wird der Astrazeneca-Impfstoff offenbar nicht mehr so gern genommen. Dennoch erwarten Sie im Juli rund 100.000 weitere Dosen. Glauben Sie, dass nach den 8000 Dosen vor ein paar Wochen weitere Astrazeneca-Dosen an Hamburg abgetreten werden können?
Günther: Wichtig ist, dass wir jeden Impfstoff nutzen. Deshalb haben wir die von Dänemark uns zur Verfügung gestellten Dosen auch gern genommen. Aber die zeitliche Nutzbarkeit des Impfstoffs ist halt begrenzt. Deshalb haben wir Impfstoff abgegeben. Wir würden das definitiv wieder so machen, wenn wir Dosen nicht verimpft bekommen. Ich bin selbst mit Astrazeneca geimpft. Das ist ein qualitativ hochwertiger Impfstoff. Um die Impfquote zu erhöhen, ist es wichtig, sich impfen zu lassen. Das kann man auch mit Astrazeneca tun. Ich hoffe, viele Menschen machen davon Gebrauch.
Sie haben als Landesvorsitzender der CDU unlängst recht scharf formuliert, dass Sie mehr weibliche Landtagskandidaten wollen. Die Frauen müssten die Hälfte der Macht bekommen, haben Sie gesagt. Was machen Sie, wenn die CDU-Kreisverbände dennoch weiterhin vorwiegend Männer aufstellen?
Günther: Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, muss sie für Frauen genauso wählbar sein wie für Männer. Und sie muss abbilden, dass Macht gleich verteilt ist. Das ist kein Verhandlungsangebot von mir, sondern ich will als Parteivorsitzender durchsetzen, dass die Landesliste auf jedem zweiten Platz eine Frau aufweisen wird. Daran wird sich nichts ändern, egal, wie viele Frauen in den Wahlkreisen aufgestellt werden.
Diese Corona-Impfstoffe sind in Deutschland zugelassen
- Biontech/Pfizer: Der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen das Coronavirus wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Der mRNA-Impfstoff, der unter dem Namen Comirnaty vertrieben wird, entwickelt den vollen Impfschutz nach zwei Dosen und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sinkt bei Geimpften um den genannten Wert. Ebenfalls von Biontech stammt der erste für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassene Impfstoff in Deutschland.
- Astrazeneca: Der Vektorimpfstoff des britischen Pharmaunternehmens wird unter dem Namen Vaxzevria vertrieben. Aufgrund von seltenen schweren Nebenwirkungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), den Impfstoff nur für Patienten zu verwenden, die älter als 60 Jahre sind. Offiziell zugelassen ist der Impfstoff aber für Menschen ab 18 Jahren. Vaxzevria weist laut BMG nach zwei Impfdosen eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen auf.
- Moderna: Der von dem US-Unternehmen entwickelte mRNA-Impfstoff mit dem Vertriebsnamen Spikevax ist für alle ab 12 Jahren zugelassen, die Stiko empfiehlt aufgrund eines erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen aber, ihn auf die Altersgruppe der über 30-Jährigen zu beschränken. Der Moderna-Impfstoff hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen, wenn der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen erreicht worden ist.
- Johnson&Johnson: Das US-Unternehmen hat einen Vektorimpfstoff entwickelt, der bereits nach einer Impfdosis Schutz vor dem Coronavirus entwickelt. Er wird unter dem Namen Covid-19 Vaccine Janssen vertrieben. Das Präparat hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 70 Prozent bezogen auf schwere Erkrankungen – zudem ist die Zahl der Impfdurchbrüche im Vergleich zu den anderen Impfstoffen erhöht, daher empfiehlt die Stiko für mit Johnson&Johnson Geimpfte schon nach vier Wochen eine zusätzliche Impfdosis mit Comirnaty oder Spikevax, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
- Novavax: Das US-Unternehmen hat den Impfstoff Nuvaxovid entwickelt. der mitunter zu den sogenannten Totimpfstoffen gezählt wird. Er enthält das Spike-Protein des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Dabei handelt es sich aber genau genommen nicht um abgetötete Virusbestandteile, die direkt aus dem Coronavirus gewonnen werden. Das Protein wird stattdessen künstlich hergestellt. Das menschliche Immunsystem bildet nach der Impfung Antikörper gegen das Protein. Der Impfstoff wird vermutlich ab Ende Februar in Deutschland eingesetzt und soll laut BMG in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Erkrankung schützen.
- Weitere Impfstoffe sind in der Entwicklung: Weltweit befinden sich diverse Vakzine in verschiedenen Phasen der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit das umstrittene russische Präparat Sputnik V sowie die Impfstoffe der Hersteller Sinovac, Sanofi und Valneva. Der deutsche Hersteller CureVac hat seinen Impfstoff vorerst aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen.
Sieht das der CDU-Chef Armin Laschet auch so?
Günther: Wir haben zum Thema Quote und Beteiligung von Frauen dieselbe Einstellung. Ich gehe davon aus, dass die CDU als Bundespartei in nicht allzu ferner Zukunft eine Satzungsregelung zu diesem Thema haben wird. Schleswig-Holstein geht jetzt schon voran. Das ist ein gutes Zeichen.
CDU-Wahlprogramm mutlos, Herr Günther?
Was halten Sie von CDU-Landesvorsitzenden, die nichts von der Quote halten, sondern stattdessen ein Verbot der Gendersprache fordern?
Günther: Jeder setzt seine eigenen Schwerpunkte. Die CDU ist gut beraten, sich gesellschaftspolitisch modern aufzustellen. Ich bin beim Thema Gendersprache relativ gelassen. Ich fremdele damit und benutze sie nicht, ich halte auch nicht viel davon, sie zur Pflicht zu machen. Aber ich halte auch nicht viel davon, zu verbieten, dass man sie nutzt. Ich habe schon viele Dokumente und Vorlagen bekommen, die gegendert waren und konnte sie trotzdem lesen. Die Sprache wird dadurch aber nicht unbedingt schöner.
Das Wahlprogramm der CDU ist als etwas mutlos empfunden worden. Auf welche Themen sollte Ihre Partei im Bundestagswahlkampf setzen?
Günther: Das Thema Modernisierungsjahrzehnt, das Armin Laschet angekündigt hat, beschreibt die Themen sehr gut. Wir wollen gut aus der Pandemie kommen, unseren Wohlstand erhalten und dem Land weitere Dynamik geben. Was nicht gut läuft, ist die Geschwindigkeit in vielen Bereichen. Zum Beispiel bei der Planung wichtiger Infrastrukturprojekte. Wir haben zu viel Bürokratie und Hürden, auch durch bundesgesetzliche Regelungen. Das müssen wir in den Mittelpunkt stellen und dabei auch deutlich machen, dass wir den Klimawandel nur aufhalten können, wenn wir schneller werden. Ein weiteres Thema ist sicher die Digitalisierung.
Erwarten Sie aus dem Bundestagswahlergebnis im September Rückenwind für die Landtagswahl im kommenden Mai?
Günther: Ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl ist mit Sicherheit gut für die CDU in Schleswig-Holstein. Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen, dass die CDU im Land zwischen den Meeren bei der Bundestagswahl möglichst gut abschneidet. Unser Ziel ist, alle Wahlkreise zu gewinnen.