Unzählige Kanäle, Sümpfe, Wollgraswiesen und die malerische Künstlerkolonie - das urige Land nördlich von Bremen lässt sich am besten mit dem Dielenboot oder dem Moorexpress erkunden.

Hamburg. O schaurig ist's übers Moor zu gehen, wenn es wimmelt vom Heiderauche, sich wie Phantome die Dünste drehn - und die Rauke häkelt am Strauche. Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, wenn aus der Spalte es zischt und singt."

Recht gruselig, wie Annette von Droste-Hülshoff ihr Rendezvous mit dem Teufelsmoor beschreibt - bei aller Poesie. Zwar gibt es die von der Dichterin geschilderten, unheimlich tückischen und arme Kreaturen verschlingenden Moorgebiete nicht mehr, die einstmals Norddeutschland durchzogen und bei der Bevölkerung einen mystischen Ruf hatten. Der Mensch hat Hand angelegt und (zu) viel kultiviert.

Der Reiz jedoch ist geblieben: Das Teufelsmoor, vor den Toren Bremens im Umkreis Worpswedes nach wie vor urig gelegen, lädt ein zum intensiven Flirt mit der Natur. Die Niederungen sind von Flüssen, Kanälen und Rinnsalen durchzogen; untrainierte Fahrradfahrer kommen auf dem plattem Land bestens auf ihre Kosten. Bergauf? Gibt es hier nicht.

Wobei eines zum Start der Bekanntschaft klar sein muss: Auch wenn abenteuerliche Geschichten von Teufeln, diabolischen Mächten, Moorleichen, Torfhexen, gurgelnden Geräuschen und gespenstischen Irrlichtern überliefert sind, so hat das Teufelsmoor mit dem Satan nichts zu tun. Wahrscheinlich basiert der Ursprung des Wortes auf einer Verballhornung des niederdeutschen "doves Moor". Unfruchtbar und taub bedeutet dies. Was nicht heißt, dass es keine Geheimnisse gibt.

Sich auf den Weg zu machen, diesen auf den Grund zu gehen, zählt zur ganz besonderen Art, aus einem Ausflug ein Erlebnis zu machen. Mit dem Auto über die A 1 Richtung Bremen zu brettern und in Bockel oder Stuckenborstel Kurs auf Bremerhaven zu nehmen, ist zwar bequem und unkompliziert, indes keineswegs der schönste Weg.

Kenner wählen nämlich den Moorexpress. Nomen est omen - zumindest die erste Silbe betreffend. Vom Hamburger Hauptbahnhof über Neugraben mit dem öffentlichen Nahverkehr wunderbar durchs Alte Land nach Stade reisend, beginnt dort eine Zugfahrt in die Vergangenheit. Via Fredenbeck und Bremervörde geht die historische Tour, und auf weiteren Stationen wird das Teufelsmoor passiert: Gnarrenburg, Ostersode, Neu Sankt Jürgen, Worpswede, Osterholz-Scharmbeck. Endstation Bremen. Abseits der Intercity-Trasse, auf uralten Gleisanlagen, mitten durch Wälder, Wiesen, winzige Ortschaften, führt ein Trip der einmaligen Art.

Spätestens jetzt genießt es der Reisende, dass der Name "Express" für diesen Schienenbus relativ ist. Die gut und gerne ein halbes Jahrhundert alten Triebwagen, rot und weiß lackiert, zuckeln gemächlich durch ein reizvolles Stück Deutschland. "Eigentlich könnte man unterwegs Blumen pflücken", scherzt der Zugbegleiter, während er Brause, Bier und den einen oder anderen "Lütten" zum günstigen Tarif verteilt. Das schlichte Ambiente der Waggons und der offene Führerstand sind Nostalgie pur. 25 Fahrräder können untergebracht werden. Die 90 Sitzplätze (Reservierungen sind in der Hochsaison ratsam) sind so eng arrangiert, dass man zügig "in Schnack" kommt. Die Fahrpreise bewegen sich je nach Strecke zwischen 2,80 und 13 Euro (Kinder 1,70 bis 6,50); es sind aber auch günstigere Familien- und Gruppenkarten im Angebot.

Inbegriffen ist - neben dem Anblick von Kühen, Schafen und skurrilen Bäumen quasi zum Greifen nahe - eine Audioführung. Serviert werden Informationen über den Moorexpress, der bis Ende Oktober am Sonnabend und Sonntag mehrfach verkehrt, technische Details über den Triebwagen, aber auch Wissenswertes über das Moor an sich. Hinzu kommen Tipps für Ausflüge in die Umgebung. Wer zwischendurch aussteigen möchte, kann mit dem nächsten Zug weiterfahren.

Kenner entscheiden sich für eine Kahnfahrt über die Hamme und das Netz der Torfkanäle, zum Beispiel auf einem der typischen schwarzen Dielenboote - die mit den braunen Segeln. Allerorten werden solche Exkursionen in die Idylle des Teufelsmoors initiiert. Fakten gibt's bei den Tourismusämtern oder im Internet.

Die meisten stoppen in Worpswede, dem malerischen Dorf, in dem sich Kunst, Kultur, Architektur und Landschaft sehenswert verbinden. Worpswede ist geprägt durch den Weyerberg, der einzigen Erhebung weit und breit. Feldwege sowie mit alten Eichen, Linden und Birken gesäumte Straßen führen zu traditionellen Bauernhäusern, Museen, Kunst- und Kulturstiftungen, Galerien und Ateliers, auf den Weyerberg und in die Marcusheide, entlang an Gärten, Weiden und Feldern in die reizvolle Hammeniederung. In den Galerien, schnuckeligen Cafés und originellen Läden der Künstlerkolonie herrscht quirliges Treiben. Wer Ruhe sucht, ist hier allerdings fehl am Platze.

Diese ist eher in Gnarrenburg zu finden, früher Zentrum der Glasindustrie und der Moorkolonisation. Spannender als der Ortskern mit der markanten Kirche sind Ziele im Umkreis, per Fahrrad erstklassig zu erreichen. Im Historischen Moorhof Augustendorf, vom Heimatverein unter Federführung der Bürgermeistergattin liebevoll restauriert, werden Wohnen und Arbeiten der Moorbauern von den Gründungsjahren bis in die Neuzeit einprägsam vermittelt. Bis 30. September ist sonntags zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet. Begeisternd speziell für Kinder ist der Handwerker- und Backtag am 21. Juni.

Praktisch nebenan bietet der Moorerlebnispfad im Naturschutzgebiet Huvenhoopsmoor Lehrreiches ohne Zeigefinger. Wer nachvollziehen will, wie die Menschen hier vor noch gar nicht so langer Zeit mit langen Stangen über die kleinen Kanäle hüpften, kann sofort loslegen. Von einem Hochstand aus ergibt sich ein herrlicher Blick auf die ursprüngliche Vegetation des Moores mit Wollgraswiesen, Sümpfen und seltenen Vogelarten. Ein Ereignis für alle Sinne.

Im Gasthof "Zum Huvenhoop" offeriert Torsten Grotheer Handfestes wie Krustenbraten aus dem Steinbackofen, Haxen, Spargelspezialitäten oder knusprige Speckbratkartoffeln. Wer Glück hat, erfährt hinter vorgehaltener Hand die Wahrheit über Moorkobold Huvi. Zu fortgeschrittener Stunde, wenn's draußen gurgelt und pfeift, schwört mancher, den Dübel leibhaftig gesehen zu haben. Zumindest jedoch den "Hexentanz". Kann stimmen; denn so hieß ein packender Tatort-Krimi.

Weitere Geheimtipps, indes echte, sind das Restaurant "Zum Alten Torfkahn" in Osterholz-Scharmbeck und ganz besonders der winzige Ort Fischerhude. Wer das kleine Wunder vollbracht hat, das Café im Rilke-Haus zu entdecken, fühlt sich im romantischen Garten wie an der Endstation seiner Sehnsucht. Vortrefflich lassen sich hier ein famoser Tagesausflug, zumindest jedoch die Dämmerung genießen. Aber, psssst, nicht weitersagen ...

Morgen lesen Sie: Dithmarschen

80 Millionen Kohlköpfe, jede Menge Windkraftanlagen, Krabbenkutter, Deutschlands größter Marktplatz, junge Seehunde, das Wattenmeer und eine stolze Geschichte - die einstige Bauernrepublik zwischen Eider und Nord-Ostsee-Kanal hat viel Sehenswertes zu bieten.