Der Harz galt lange als altbacken, heute begeistert die Region mit ihrer spektakulären Natur, drei Weltkulturerbe-Stätten und viel Hexerei.
Gäbe es Imageberater für Landschaften, müssten vermutlich drei Regionen um Hilfe rufen. Das Sauerland, von dem man seit Münteferings und Merz' Rückzug nichts mehr gehört hat, der Spreewald, dessen Marketing-Hit ausgerechnet Gurken sind, und der Harz. Kaum eine Region wirkt so altbacken, vorgestrig und bieder wie das norddeutsche Mittelgebirge. Selbst der Harzreisende Heine fällte einst ein vernichtendes Urteil: "Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine."
Also kann man sich die folgenden Zeilen sparen? Niemals. Keiner Region eilt dieser schlechte Ruf so unverdient voraus wie dem Harz. Historische Städte, wilde Natur, spektakuläre Täler, ein echter Berg und drei Unesco-Weltkulturerbe-Stätten - alle Zutaten vereinigt der Harz. Nur so recht anbeißen wollen viele Deutsche nicht. Das darf im Zeitalter der Billigflüge nicht verwundern. Der Harz hat zudem einiges beigetragen, verschmäht zu werden. Bausünden verschandeln eine atemberaubende Landschaft, das Gros der Gastronomen beschränkt sich auf "draußen nur Kännchen", und zu viele Pensionen halten Resopaltische, Hirschgeweihe und Schlager für zeitgemäß. Feinschmecker benötigen ein gutes Näschen, um zwischen Hausmannskost und Schnitzelparaden etwas Genießbares zu finden. Aber sei's drum. Wer diese Landschaft hat, darf lausig kochen. Und weil langsam die Häuser die Zeichen der Zeit erkennen, dürfte die Wiederentdeckung des norddeutschen Mittelgebirges auch kulinarisch voranschreiten.
Vor rund 200 Jahren zählte es zu den ersten Adressen der Reiseboheme. Ob Johann Wolfgang von Goethe, Novalis, Theodor Fontane, Heinrich Heine oder Hans Christian Andersen - sie alle zog der Harz in seinen Bann. Und der Zauber ist nicht verflogen. Die Täler von Bode oder Oker sind wild wie ehedem, der Brocken mit seinen Hochmooren und die Mischwälder am Mittelgebirgsrand so verwunschen wie zuvor.
Ein Hotspot deutscher Mythologie ist der Blocksberg. Kinder kennen ihn aus Otfried Preußlers "Die kleine Hexe" oder als Namenspaten für die Comicfigur Bibi Blocksberg, Literaten denken an die Walpurgisnacht aus "Faust". Als sagenumwobener Tanzplatz der Hexen erreichte der Brocken Bekanntheit bis nach Skandinavien und in die Schweiz. Er erzählt Geschichten und ist Geschichte, stets war er nationaler Schicksalsort. Schon Heine wusste: "Der Brocken ist ein Deutscher." Mit seinen 1141 Metern überragt er die anderen Wipfel deutlich. Zu Zeiten der deutschen Teilung lag er als russisches Sperrgebiet zum Greifen nah und war doch unerreichbar. Noch heute zeugt seine Bebauung inklusive Abhöranlagen vom Kalten Krieg. Besonders faszinierend ist das Panorama vom Gipfel, das weit in die norddeutsche Tiefebene oder zu den benachbarten Mittelgebirgen reicht. "Mit trunkenem Entzücken" genoss Joseph von Eichendorff "das unbeschreibliche Panorama", Hans Christian Andersen schwärmte von "dieser unbegreiflichen Herrlichkeit".
Abwechslungsreich ist sie obendrein: Auf dem Weg zum Gipfel durchschreitet der Wanderer verschiedene Klimazonen und kommt jenseits der Baumgrenze an - in einer Wetterzone vergleichbar mit Island. Viele Wege führen auf den Brocken - etwa der weniger reizvolle Wandererhighway (Goetheweg) von Torfhaus, der kurze, aber steile von Schierke aus oder der landschaftlich reizvollste, aber beschwerlichste von Ilsenburg. Wer es gemütlicher mag, nimmt die historische Brockenbahn ab Schierke und spart sich 400 bis 1000 Höhenmeter. Durch die Wälder und vorbei an Hochmooren kämpft sich die Dampflok den Berg hinauf - gerade für Kinder und Liebhaber von Schmalspurbahnen ein Erlebnis.
Die meisten Brockenbesucher lassen sich auf der Aussichtsplattform vom meist böigen Wind durchpusten, kehren beim Brockenwirt ein und treten dann die Rückreise an. Ein Fehler: Unbedingt empfehlenswert ist der Besuch im Brockenhaus, das ein Museum zum Anfassen bietet und ein hübsches Café. Hier geht es nicht so trubelig zu wie beim Brockenwirt, und man kann erahnen, warum Goethe 1777 auf dem Brocken dichtete: "So einsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen Gipfel hinabsehe, wird es dem Menschen zumute, der nur den ältesten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele öffnen will." Damals allerdings wurden nur rund 400 Wanderer gezählt - im Jahr. Heute kommen rund 1,4 Millionen Gäste jährlich auf den Blocksberg.
Aber der Andrang verteilt sich gut. Für Wanderer wird es im Harz, der mit seinen 2226 Quadratkilometern dreimal so groß ist wie Hamburg, nie langweilig. Der Harzklub rechnet vor: "Wer jeden Tag 15 Kilometer wandert, benötigt fast zwei Jahre, um die rund 10 000 Kilometer Wege zu erkunden."
Die Strecken sind bestens ausgeschildert, vom Seniorenrundweg bis zum Klettergarten. Wen es auf weitere Wipfel treibt, sollte den Bruchberg oder die Achtermannshöhe ansteuern. Gerade abseits der an Wochenenden überlaufenen Gipfel präsentiert sich der Harz als einsame Naturlandschaft - man kann stundenlang wandern, ohne andere Menschen zu treffen. Immer wieder eröffnen sich spektakuläre Panoramablicke auf den Brocken oder die ehemalige Zonengrenze. Von Ilsenburg bis Walkenried erläuft man nicht nur die Herzkammer des Harzes, sondern auch deutsche Geschichte. Über Kolonnenwege der Grenzer, vorbei am Grenzmuseum in Sorge und Wachtürmen wird eine Zeit lebendig, die unendlich fern scheint und dabei nicht einmal 22 Jahre zurückliegt.
Bei Fernwanderern beliebt ist zudem der Harzer-Hexen-Stieg, an dessen Ende man ab Treseburg auf knapp zehn Kilometern das Tal der Bode durchwandert. Marketingprofis bewerben das Juwel im Ostharz als "das gewaltigste Felsental nördlich der Alpen" - und übertreiben nicht. Fast wie aus dem Nichts tut sich die Schlucht mit 250 Meter hohen Granitwänden auf. Kurz vor Thale liegen zwei beeindruckende Felslateaus, die schon in vorchristlicher Zeit Opfer- und Kultstätten waren.
Kultstätten hält der Harz, der seinen Namen dem alten Wort "hart" für Bergwald verdankt, auch aus anderen Epochen parat. Der Bergbau zwischen 16. und 19. Jahrhundert hat die Region geprägt: So mussten die Buchenwälder dem Holzhunger der Hütten und Gruben weichen, später wurden vor allem Nadelwälder wieder aufgeforstet; das Oberharzer Wasserregal - inzwischen Weltkulturerbe - ist mit seinen 143 Talsperren ein faszinierendes System zur Speicherung und Leitung von Wasser für die Energiegewinnung im Bergwerk. Und gleich mehrere Bergwerke sind heute ein Museum.
Vom Reichtum vergangener Tage erzählen die reizvollen Städte. Mit Goslar, Quedlinburg, Eisleben oder Wernigerode hat der Harz auf engem Raum spektakuläre Altstädte zu bieten, die zum Teil als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt wurden. Quedlinburg bekam dieses Siegel für Stiftskirche, Schloss und Altstadt, Goslar für seine Altstadt und das Bergwerk Rammelsberg, Eisleben für seine Luthergedenkstätten.
Auch für Wildwasserkanuten, Mountainbiker oder Kletterer, ja selbst FKK-Wanderer bietet der Harz Angebote. Das altväterliche Mittelgebirge ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Nein, es bedarf auch keines Imageberaters, der Harz braucht weltoffene Entdecker. Übrigens: "Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine" wird dem Dichter zu Unrecht zugeschrieben. Und sollte es ausnahmsweise doch einmal stimmen: einfach wiederkommen. Von der Elbe bis zum Berg sind es kaum drei Stunden ...
Lesen Sie am Montag: Auf der Hamburger Hallig gibt es viele Schafe, aber bislang wenig Touristen, was eine Tour dorthin zum Entspannungs-Trip macht.