Amsterdam. Drei Touren mit einheimischen Stadtführern abseits der Touristenpfade. Radtour, Cannabis-Workshop und Gastro-Hopping im Rotlicht.
Die diskreten Orte sind die anregendsten: Ein kurzer Schlenker mit dem Lenker, es holpert ein bisschen auf dem Kopfsteinpflaster Richtung Keizersgracht Nummer 102, das leichtgängige Hollandrad nimmt die letzte Brücke über den Kanal, und wir bremsen vor dem Bau aus dem Jahr 1629. Die milchigen Fenster sind mehrere Meter hoch und haben Rundbögen, der helle Backstein wirkt nicht ganz so edel wie der an den Nachbarhäusern. Kein Wunder: Das „Rode Hoed“, der Rote Hut, war eine berühmte Amsterdamer Hutmanufaktur. Hier wohnte man nicht bloß, man schuftete.
Die passende Kopfbedeckung gehörte für die Bürger der Handelsmetropole zum Zeichen des Wohlstandes. Das „Rode Hoed“ verbirgt aber außerdem bis heute eine Kirche in seinem Inneren. Man kann beten oder sie mieten, für politische Debatten oder den privaten Frühschoppen am Wochenende. Das versteckte Gotteshaus wartet in seinem Inneren auf mit einer stattlichen Orgel und meterhohen Pfeifen sowie mit einer ausgedehnten Bar direkt darunter. Die beiden langen Gold-Zapfhähne legen nahe, dass hier nicht nur Messwein fließt. Die Musikanlage macht jedem Club Konkurrenz. Sonnabends Madonna, sonntags der Herrgott. Ein Ort – alle Geschmacksrichtungen.
Unsere Fahrradtour mit dem bärtigen Guide namens Thijs durch das versteckte Amsterdam führt im Grachtengürtel über eine Route abseits der ausgetrampelten Pfade.
Drei Touren an einem Tag sind ambitioniert, aber machbar, wenn man morgens gleich beginnt. Wer ins Reichsmuseum, zu van Gogh, in die Paläste und altbekannten touristischen Stätten will, braucht mehr Zeit. Aber Amsterdam von unten, von hinten und der Seite ist überraschender, als es schnöde von vorn zu betrachten.
Mach, was du willst, mach Geld, mach es diskret
Bei diesen intimeren Touren lernt man schnell die historisch gewachsene Dreifaltigkeit der Regeln, die hier gelten: Mach doch, was du willst; mach Geld; mach es diskret! In der Stadt der ersten bedeutenden Börse der Neuzeit lohnt sich ein Blick auf die fein polierten Spuren frühen Reichtums. Am unscheinbaren West-Indisch Huis von 1617, einst Sitz der West Indische Compagnie, fährt man normalerweise vorbei. Thijs zeigt uns aber den Innenhof und erzählt stolz, wie sehr die Niederländer die Stadt New York (früher: New Amsterdam) und seine Stadtteile (Harlem und Brooklyn angelehnt an holländische Namen) geprägt haben.
Hier am Herenmarkt wuchs überhaupt erst der Plan der Kolonialherren, auf der flussumsäumten Insel Manhattan ein Fort zu errichten.
Peter Stuyvesant und die Yankees
Der Name „Yankee“ leitet sich mit Blick auf die europäischen Siedler von den Vornamen Jan und Kees ab, möglicherweise auch vom weiblichen Pendant Janneke. „Hauptsache Holland“, sagt Thijs und zeigt auf die Statue von Peter Stuyvesant, ehemals Generaldirektor der Kolonie auf amerikanischem Boden.
So sehr die geschäftstüchtigen Niederländer im 17. Jahrhundert in die weite Welt drängten, so gewissenhaft kümmerten sie sich um die im wahrsten Sinne Hinterbliebenen. Thijs zeigt beim nächsten Radstopp ein Witwenhaus, hinter dessen Fassade sich ein schnuckeliger Innenhof und ein Garten verbergen. Man wähnt sich eigentlich inmitten eines steinernen, von Kanälen durchzogenen Stadtkerns. Die dicht bebaute Metropole hatte schon 1650 mehr als 140.000 Einwohner, heute sind es rund 800.000. Und doch schlummern Oasen zwischen und inmitten der Häuser, die man am besten mit dem Fahrrad abradeln kann.
Das Marihuana-Mekka: Bewegung und Bedröhnung
Von der Stadt der Bewegung zur Stadt der Bedröhnung sind es nur wenige Pedaltritte. Für Tour Nummer zwei mit Tim sollte man auf sicheren Füßen stehen. Vom wuseligen Dam Platz geht die Cannabis-Tour los, ein Spazier-Trip durch das moderne Marihuana-Mekka. Oder sagt man Hasch, Shit, Pot, Weed? „Wie ihr wollt“, meint Tim, der ein exzellentes amerikanisches Englisch spricht. Das Rauchen der angeblich leichten Droge wird in den ausgewiesenen Coffee Shops toleriert. Tim lobpreist die Vorzüge von Cannabis: sanfter als Alkohol, keine Suchtgefahr, sogar im Einsatz für die Gesundheit. Und von einer tödlichen Überdosis Cannabis ist den Experten nichts bekannt.
Der Rapper Snoop Dog hatte ein böses Erwachen
Doch den meisten ist noch die Geschichte im Ohr vom US-Rapper Snoop Dog – auch genannt Snoop Doggy Dog oder Snoop Doggy Dog Dog. Er jettete für ein Konzert nach Amsterdam, genoss das ziemlich reine Cannabis und war abends so high, dass die Show ausfallen musste. Tim warnt: „Fangt mit wenig an, wenn ihr es hier probiert. Es ist stärker als bei euch zu Hause.“ Für die Tour gilt: Man muss ja nicht probieren.
Doch Hunderttausende Touristen tun es. Freitags, wenn die Amerikaner, Russen, Briten, Franzosen mit den Billigfliegern einfallen, weht eine Marihuana-Schwade dicht wie der Londoner Nebel über alle Grachten und durch die Gassen. Der Anbau ist verboten, der Handel ebenso. In anderen Städten des Landes darf man nicht offen kiffen – nur in Amsterdam wird es von den Coffee Shops offen beworben. Sie zahlen höhere Steuern, aber im Grunde ist die Weltkapitale des Cannabis ein großer Schwarzmarkt. Niemand weiß, wie viel umgesetzt wird, wo welches Zeug genau herkommt, aber es fragt auch keiner.
Cannabis – wissenschaftlich für gut befunden?
Im „Cannabis College“, einer angeblichen Non-Profit-Organisation, klärt uns Tan über die Gefahren (kaum) und den Nutzen (groß) von Marihuana auf. „Es ist wissenschaftlich bewiesen“, sagt Tan und zitiert die Studien, „dass Zucker und Fett größere körperliche Schäden anrichten.“ Nun ja, Menschen unter 21 sollten dem Hirn eine Chance auf Weiterentwicklung ohne den Einfluss von leichten Drogen geben. Tan doziert, Tim nickt, draußen prangt das Motto der Cannabis-Kundigen: „Just say know!“
Gleich neben dem „College“ residiert der McDonalds unter den Coffee Shops, „Bulldog“, ein Cannabis-Café, in dem die Rauschwilligen die Standardqualität bekommen. Die „Bulldog“-Läden sind extrem beliebt bei den Grashüpfern des Marihuana-Jetset. Schlecht rasierte Russen sitzen hier, sie tragen große Piloten-Sonnenbrillen und dicke Backen. Die tätowierten Briten in ihren Fußballtrikots schauen auf die schlanken Französinnen mit ihren noch schlankeren Spaghettiträgern an den Hemdchen.
Alle zwischen 18 und 30, eingeflogen mit den Spaßbombern von Easyjet, Ryanair und Vueling für ein Wochenende voller körperlicher Hingabe und allerlei Intoxikation. Ein Boot schaukelt in der Gracht vorbei, drin sitzen johlend ein paar Deutsche auf Amsterdam-Trip.
Den Kater bekämpfen im Hangover Center
Und viele treffen sich abends wieder im Hangover Information Center. Hier in der Sint Annendwarsstraat Nummer 3 kann man von Donnerstag bis Sonntagmorgen um 1:30 Uhr Mittelchen kaufen, die einen Kater gar nicht erst entstehen lassen oder ihn abmildern helfen.
Die Flaschen mit Flüssigkeiten von mintgrün bis tiefblau stehen hier soldatisch aufgereiht in Glasregalen und warten auf verantwortungsbewusste Kiffer und Trinker. Ob's hilft? Wenn man dran glaubt, sagt unser Guide. Ab 5 Euro pro Flasche fällt der Katzenjammer angeblich nicht so extrem aus.
Nach den beiden Jungspunden Thijs und Tim leitet abends Peter die Rotlicht-Tour. Ein jung gebliebener Rentner? Er schmunzelt mehrdeutig. Sein Deutsch ist hervorragend, sein Englisch ebenso. Man kann per Bus, Tram, U-Bahn, Fahrrad-Rikscha, Grachtentaxi oder Schiff bequem durch Amsterdam. Auf dem eigenen Rad oder zu Fuß ist es jedoch am charmantesten.
Eine Plage: die ewige Party der Junggesellenabschiede
Man kann staunend stehen bleiben wie Peter, wenn wieder eine Horde Greenhorns in uniformartigen rosa Hemdchen vorbeizieht, mitten unter ihnen einer in schrillem Fantasiekostüm, eine Mischung aus Pfau und Papagei. Er soll in den nächsten Tagen heiraten. „Die Junggesellenabschiede sind schon eine Plage“, sagt Peter.
Aber Geschäft ist Geschäft. Hinter den Fenstertüren der engen Gassen warten die gewerbetreibenden Damen auf Kundschaft. 50 Euro für 20 Minuten: Vor allem die prüden Amerikaner staunen. Diese Rotlicht-Tour ist aber eigentlich ein Dinner-Walk. Ein tolles Konzept: Man spaziert durch die Gassen, lauscht, nimmt Aperitif und Vorspeise in Restaurant eins, geht weiter, besichtigt den Showroom des Rotlichtbezirks (Red Light Workshop) in der engsten Gasse der Stadt (Trompettersteeg 5), nimmt den nächsten Happen in der zweiten Location, geht weiter Richtung China Town und wählt die Hauptspeise. Danach je nach Wunsch und Programm Dessert und Kaffee wieder woanders.
Surf and Turf beim Dinner-Hopping
Dinner Hopping: Warum hat diese einfache Idee noch niemand in Hamburg angeboten? Weil die Restaurants nicht zusammenarbeiten? In Amsterdam heißt es: Anything goes, alles machbar. So lernt man Etablissements kennen wie die Brasserie Harkema, ein altes Kontorhaus, das modern umgebaut wurde. Zum Auftakt Variationen von Tomate mit einem Spritzer Balsamico. Oder das Restaurant Looks mit der offenen Küche und den jungen Kartoffeln: Hummer oder Beef oder beides als „Surf and Turf“?
Tote durch Cannabis-Konsum
Peter räumt, offen wie er ist, auch mit den Cannabis-Klischees auf. Keine Toten durch den Konsum in Amsterdam? Nun ja, wenn man nicht die 70 Opfer pro Jahr mitzählt, sagt Peter, die nächtens aus den Coffee Shops kommen und sich an den Grachten entleeren wollen. Sie verlieren die Standhaftigkeit und fallen hinein. Manche können schwimmen, andere nicht. Und selbst wer es strampelnd bis an den Kanalrand schafft, ist noch nicht raus: Es gibt keine Leiter an den Steinwänden, die sich meterhoch über der Wasseroberfläche erheben. Im Bermuda-Dreieck zwischen Grachten, Grufties und Gourmets sollten Amsterdam-Besucher die Balance behalten.
Infos zu Amsterdam
Anreise: Flüge zum Beispiel mit KLM ab 98 Euro, ab Hamburg mehrere Verbindungen am Tag. Deutsche Bahn Hamburg-Amsterdam und zurück ab 93 Euro
Übernachten: Hotels in allen Kategorien und Preisklassen, empfehlenswert z.B. das Crowne Plaza in der City, rund 200 Euro für DZ/F
Touren: Fahrradtour mit Thijs von We bike Amsterdam und weitere Ausflüge bei Getyourguide
Info: Amsterdam Touristen Info bei www.amsterdamtourist.info