Kopfsteinpflaster, Kirchen und ein „Kiepenkerl“: Am 13. April läuft der 25. Krimi mit Axel Prahl im Ersten. Ein Rundgang mit TV-Kommissar Thiel zu den Schauplätzen der westfälischen Bilderbuchstadt.
Münster. Entweder es regnet in Münster, oder die Glocken läuten. Fällt beides zusammen, ist Sonntag“ Wie aus der Dienstpistole geschossen kommt Axel Prahl die hiesige, schon sprichwörtliche Wetterregel über die Lippen. Der Mann hat so seine Erfahrungen: Gerade beim Fundort einer Frauenleiche am Ufer des innerstädtischen Flüsschens Aa eingetroffen, musste der knurrige Kommissar im Jahre 2009 den Dreh zum Tatort „Hinkebein“ abbrechen und inmitten immer neuer Wolkenbrüche einen halben Tag lang warten bis zur nächsten Klappe. Heute, beim „Lokaltermin“ an vielen Schauplätzen des seit mehr als zehn Jahren laufenden und mittlerweile erfolgreichsten ARD-Sonntagskrimis, hat Prahl mehr Glück. „Los, erst mal auf den Prinzipalmarkt“, sagt er, schlendert deutlich bedächtiger als der stets etwas kurzbeinig-hektische Thiel und steckt sich erst mal eine an.
„Münster hat was von Lübeck“, nuschelt er zwischen Zigarette und Rauchwolke hervor – mit Blick auf die Treppengiebel der beigefarbenen Kaufmannshäuser. „Fühl mich sehr wohl seit dem ersten ,Tatort‘ 2002, aber leben könnt ich hier nicht – zu wenig Wasser.“, sagt Prahl knapp und entschieden. Der Aa-See ist ihm „zu lütt“, Restaurants und Bars am wieder belebten Binnenhafen beeindrucken den Ostholsteiner Küstenjung nicht recht. Die Münsteraner dafür um so mehr: Prahl zeigt ein selbst gedrehtes Handy-Video: „Guck, Tausende bei unserem Dreh, trotzdem hörste ne Stecknadel fallen, so still sind die Leute aufm Prinzipalmarkt!“ Münsters Kopfsteinpflaster-Boulevard, einst Schauplatz des Westfälischen Friedens, ist heute vor allem Schaufenster – alteingesessener Kaufleute: Osthues, Zumnorde, Oeding-Erdel prangt golden an den Arkaden-Fassaden: Lokalkolorit-Vorbeifahr-Kulisse im ARD-Krimi, wenn Assistentin Nadeshda dem Kommissar im Auto den aktuellen Fahndungsstand verklickert.
Heute gibt Axel Prahl hier nicht seinen Thiel, sondern eher einen Bonsai-Bogart: Jackenkragen hoch, Hut tief in die Stirn gezogen. Noch ein wenig zerknautscht morgens um neun, möchte der untersetzte Mann mit Günter-Netzer-Scheitel und Kugelbäuchlein nicht gleich erkannt werden. Seine Tarnung hält keine fünf Minuten.
In der Eckkneipe Pinkulus hängen St.-Pauli-Wimpel und Totenkopf-Schal
„Moinsen, Herr Thiel“, ruft ein Mann ihm zu. Aha, der vom St.-Pauli-Fan Thiel im Münster-„Tatort“ eingeführte, norddeutsche Gruß – mitten im Herzen Westfalens, wo die Leute üblicherweise „Tach“ sagen oder „Wohlsein“. Ein paar Meter weiter, an der Lamberti-Kirche, strahlen Prahls himmelblaue Augen nach oben, zu drei Käfigen am Turm: „Da drin möcht ich mal aufwachen nach durchzechter Nacht – natürlich nur im ,Tatort‘“, schiebt er mit Schelm-Grinsen nach. Das gerinnt ihm in den Mundwinkeln, als er vom Zweck der Käfige hört: Fürstbischof Franz ließ darin die Leichen dreier radikaler Prediger verwesen. Sie hatten Vielweiberei und Straßen-Taufe per Wassereimer propagiert, im zweijährigen Wiedertäufer-Regime. Mittelalter-„Tatort“, Jahrgang 1536.
Vorm wuchtigen Dom mit gerade neu aufgesatteltem Kupferdach bummelt der 53-jährige Schauspieler gerne über den Wochenmarkt zwischen erdig- westfälischen Gemüsebauern und Henna-haarigen Biowolle-Verkäuferinnen. Solche Alt-Aussteiger gehören zu Münster wie Thiels kiffender „Vadder“ zum „Tatort“. Kein Wunder, bei 50.000 Studenten. Doch prägend für die 300.000-Einwohner-Stadt sind sie nicht. Auf der Suche nach passenden Etiketten landet man vielmehr immer wieder in der bürgerlichen Mitte: „Besenrein“ wirkt die Stadt (Tauben und Hunde gibt’s, aber partout keinen Dreck). „Geordnete Verhältnisse“ scheinen hier zu herrschen, denn sogar die Aa plätschert im betonierten Flussbett. Eine ideale TV-Kulisse, in der ein „Tatort“-Mord jedes Mal für Aufruhr sorgt im – übrigens auch real existierenden – Milieu hornbebrillter Tweedjacken-Honoratioren mit Einstecktuch und Schmiss. Das hat man nicht im Ersten, sondern dem Zweiten Deutschen Fernsehen zuerst erkannt: Dort ermittelt Thiels ZDF-Kollege Wilsberg schon länger in seinem kleinen Buchladen – in der Realität das Antiquariat Solder, ein paar Schritte unterhalb des Domplatzes. Vor der Tür erklärt Dagmar Brandt im Rahmen ihrer Führung „Krimistadt Münster“ gerade, wie mit Privatdetektiv Wilsberg alles begann und dass Prof. Bernd Brinkmann, der charismatische Leiter der münsterschen Rechtsmedizin, Pate stand für Thiels Partner, den „Tatort“-Pathologen Boerne, stets blasiert und besserwisserisch gespielt von Jan Josef Liefers.
Axel Prahl hat jetzt Durst und ein Ziel – das Pinkulus am Rosenplatz. Nein, nicht Pinkus Müller, die Altbier-Legende unter Münsters Studentenlokalen, sondern die winzige Eckkneipe gegenüber – wie gemalt für Kommissar Thiel: St.-Pauli-Wimpel und Totenkopf-Schal hängen an der Wand als Tresen-Deko. Prahl fläzt sich hin zum munteren Pointen-Pingpong mit Vladi, dem Hamburger Wirt im Westfalen-Exil, und lacht nach sieben weiteren Zigaretten so rasselnd wie Thiels „Tatort“-Staatsanwältin Wilhelmine Klemm. Weiter geht’s auf dem Rundgang, vorbei an überdimensionalen Kirschen auf einer Säule, einem quietschbunten Kronleuchter im öffentlichen WC und durch ein rot-weiß gestreiftes Tor – drei von mehr als 60 öffentlichen Installationen, entstanden im Rahmen des seit 1977 alle zehn Jahre stattfindenden Festivals „Skulptur.Projekte“. Axel Prahl zeigt „seine“ Skulptur am Servatiiplatz – einen 3,50 Meter großen, grauen Mann, in einer Litfaßsäule steckend. Paul Wulf, ein von den Nazis verfolgter Münsteraner. „Nach der Errichtung 2007 sollte das Mahnmal eingemottet werden – aus Geldmangel“, sagt Prahl, „da hab ich gespendet und auch Kollegen dazu animiert.“
Hier, an der die City umschließenden Grün-Promenade, zeigt die „lebenswerteste Stadt der Welt“ (Uno-Preis 2004) unerwartet ihre Anarcho-Ader: Quietschende Bremsen, Hupen und Klingeln signalisieren „Hoppla-hier-komm-ich-Vorfahrt-Abo“. Aber nicht für Boernes Bugatti, sondern schwarmartig auftauchende Fahrräder. 500.000 soll es in Münster geben, gerade mal 3300 finden Platz in Deutschlands größtem Fahrradparkhaus, einem gläsernen Kuchenstück, das vorm Bahnhof aufragt. Alle übrigen Zweiräder bilden, zumeist wild geparkt, auf Bürgersteigen einen Hindernisparcours. Jedoch nicht im „Tatort“. Kommissar Thiel hat auf dem Rennrad stets freie Bahn und doch einen Beinahe-Crash in Erinnerung: „Mit Kuchen im Mund sollte man eben keine Verfolgungsjagd proben“, sagt Prahl feixend.