Reggae, Riffe, Rumverkostung: Warum Sie bei einer Kreuzfahrt durch die Karibik niemals auf dem falschen Dampfer sind. Eine Reise von Jamaika über Cozumel, Belize, Grand Cayman, die Dominikanische Republik und Tortoga bis nach St. Kitts
Auf dem Achterdeck beginnt der Urlaub. Es gibt keinen besseren Platz, um die Dinge hinter sich zu lassen. Im schäumenden Wasser gehen sie unter, die Probleme, der Alltag, das Gefühl von hochgezogenen Schultern im Winter. Alles Graue verschwindet im Blau. Man bewegt sich vorwärts, ohne einen Schritt gehen zu müssen.
In den nächsten Tagen werden wir in einer Fototapete leben. In einem türkisblauen Gemälde mit einem Rahmen aus Palmen. In 3300 Seemeilen geht es von Jamaika über Cozumel, Belize, Grand Cayman, die Dominikanische Republik und Tortoga bis nach St. Kitts. Inseln sind die klassischen Ziele eines Kreuzfahrtschiffes, und der Klassiker schlechthin sind Karibikkreuzfahrten wegen ihrer eingebauten Relax-Garantie (Relax, nicht Rolex). „Die karibische Lebensart wirkt sich auf die Gäste aus. Sie sind irgendwie anders als wenn wir beispielsweise im Mittelmeer oder im Norden kreuzen. Viele sehen die Dinge entspannter“, sagt Clubdirektor Jan Hendrik van Dillen an Bord der AIDAbella, mit der wir unterwegs sind.
Selbst wer sich fest vorgenommen hat, eine Karibik-Kreuzfahrt doof zu finden, wird am Ende Großes empfinden. Der Schriftsteller David Foster Wallace hat dies mit seinem Buch „A supposedly funny thing i’ll never do again“ höchst amüsant bewiesen. Eine Pflichtlektüre für jeden, der eine Kreuzfahrt plant oder diese Reiseform von Grund auf ablehnt. Er wird nach dem Lesen in See stechen wollen und sei es nur, um all seine Vorurteile über Bord zu werfen. Selten werden Sie bei einer Reise so viele schöne Länder kennenlernen, mit so vielen interessanten Menschen sprechen und so viele und gute Cocktails trinken wie in der Karibik.
Reggae und Hexen auf Jamaika
„Jetzt gibt es erst mal eine kostenlose Popomassage“, sagt Dorrette Russell und steuert den alten Bus über die holprigen Straßen. Der Weg nach Nine Mile ist wesentlich länger als neun Meilen, aber da es sich bei diesem kleinen Ort in den Bergen nicht nur um ein profanes Ausflugsziel handelt, sondern um eine einzigartige Kultstätte, lächeln die Mitfahrer bei jedem Schlagloch. In Nine Mile wurde Bob Marley 1945 geboren, und wann immer der Sänger in seinem nur kurzen Leben (1981 starb er an Krebs) Ruhe und Inspiration brauchte, kehrte er hierher zurück. „Bob konnte Gitarren zum Sprechen bringen“, sagt Dorrette, die aussieht wie Whopie Goldberg und sich deshalb zum Singen bemüßigt fühlt. Neben allen Marley-Songs beherrscht sie sogar deutsche Lieder: „In Hamburg sagt man Tschüss...“ schmettert die Jamaikanerin über die Blue Mountain (der Kaffee von hier ist weltbekannt). Den Text habe sie mal bei einem Besuch an der Elbe gelernt, als sie ihre Hamburger Bekannten besuchte, mit denen sie seit Jahren eine Brieffreundschaft pflegt.
Hier seien sie alle Freunde, sagt der Rastafari in Nine Mile, der die Tour durch das winzige Wohnhaus und die beiden Mausoleen führt, die für Bob Marley und seine Mutter errichtet wurden. Zwei Gäste zünden sich erst mal einen Joint an, den sie am Eingang gekauft haben. Marihuana ist eigentlich verboten auf der drittgrößten Insel der Karibik, aber in der Reggae-Gedenkstätte heißt es wie überall auf der Insel: „Yah man!“ oder „Irie!“, was „alles klar, alles in Ordnung“ bedeutet.
„We don’t drink and drive, we smoke and fly“, erklärt der Tourguide, der sich Captain Crazy nennt und wirklich einen an der Waffel hat, doch auf sympathische Art und Weise. Er tanzt und singt in eine Wasserflasche und lacht so laut, dass Bob Marley sich in seinem Grabe umdrehen müsste. Seine Wollmütze, die die Dreadlocks im Zaum halten, nimmt der Marley-Jünger trotz der Hitze möglichst selten ab. Es sei nicht gut, wenn zu viel Luft an seinen Kopf käme. „Er ist mehr als ein Held für uns, ein Prophet, dessen Visionen die ganze Welt beeinflusst haben“, flüstert Captain Crazy dann wieder ganz andächtig. Aus dem Lautsprecher singt der Nationalheld „One Love“.
Manche glauben, dass ein Besuch in Nine Mile den Glauben an die wichtigen Elemente des Lebens zurückbringe, auf jeden Fall wird man beim Besuch einer Gedenkstätte selten so viel Spaß und Freude am Leben erleben. „Bob’s Bett berührt ihr besser nicht, wenn ihr eure Familienplanung abgeschlossen habt“, ermahnt Herr Crazy. „Der Kerl hatte 19 Kinder.“
Neben großen besitzt Jamaika auch böse Geister. Einer wohnt im Rose Hall Great House. Das ehemalige Plantagenhaus in der Nähe von Montego Bay (wer schon im karibischen Urlaubsmodus ist, verkürzt den Stadtnamen lässig zu ‚Mo-Bay’) zählt zu den besterhaltenen der Karibik, doch es gehört in die seltene Kategorie: „Wunderschöne Gebäude, in denen niemand übernachten möchte.“ Die Einfahrt erscheint prächtig, die Gärten lieblich, alles wirkt freundlich, bis man das Haus betritt. Die Dielen knarren fürchterlich, so dass man Führerin Latoya kaum versteht, als sie sagt: „Die Morde fanden alle im ersten Stock statt.“ Einigen Besuchern läuft trotz 30 Grad Außentemperatur ein Schauer über die Haut. Annie Palmer heißt die ehemalige Besitzerin, die hier zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen trieb – und heute angeblich als Geist. 1802 wurde sie geboren, ihre Eltern waren Engländer, starben aber recht früh, und so wurde Annie von einer Voodoo-Priesterin erzogen, die ihr allerhand teuflisches Wissen beibrachte, das sie später für ihre Morde gebrauchte. Annie quälte nicht nur die 2000 Sklaven auf der Zuckerrohr-Plantage, die ihr den Namen „weiße Hexe“ gaben, sondern tötete alle ihre Ehemänner. Der erste überlebte sieben Jahre an ihrer Seite, der zweite Mann zwei Jahre, und der dritte schließlich nur noch sechs Monate. Man kann die Schlafzimmer besichtigen, in denen jedes Opfer mit verschiedenen Methoden ums Leben kam (Gift, Strang, Messer), sollte aber besser keine Fotos von den Spiegeln machen, rät die Führerin. Sofort zücken alle ihre Fotoapparate. Im Keller des Hauses sind die entsetzten Briefe von Besuchern ausgestellt, die behaupten, dass beim Entwickeln der Fotos plötzlich eine Frau oder eine Hand auf der Aufnahme zu sehen sei.
Im Zeitalter der Digitalkameras setzt der Schreck schneller ein: Tatsächlich sind komische, weiße Schatten zu sehen, als würde Hui Buh durchs Zimmer fegen. Sicher ist nur die Linse verschmiert. Führerin Latoya lächelt gütig. „Annie ist noch hier, glauben Sie mir. Wir haben ihre Schritte oft gehört und gesehen, wie sie Möbel verrückte. Und sie wird niemandem erlauben, ihrem Haus zu Nahe zu kommen!“ Latoya wirkt eigentlich wie eine aufgeschlossene, moderne Person, die nicht an Gespenster-Geschichten glaubt. „Ja, so war ich, bevor ich den Job hier angefangen habe.“
Nachdem Annie Palmer selbst mit nur 29 Jahren von einem erbosten Großvater getötet worden war, da die weiße Hexe auch seine Enkelin auf dem Gewissen hatte, verbrannten die Sklaven alle Bilder von ihr. Nur eines hängt noch im Flur, das die böse Frau darstellen könnte. Zumindest vermuten die Mitarbeiter des Great Houses das, weil sie sich von den Augen der Dame im roten Kleid (Annies Lieblingsfarbe war Blutrot) verfolgt fühlen.
Es gab noch einen Besitzer nach Annie, der hier leben wollte, doch er stürzte vom Balkon und brach sich das Genick. „Annie hat ihn gestoßen“, waren sich alle sofort einig. Vor ein paar Jahren kamen wieder ein paar Leute vorbei, die den ganzem Humbug nicht glaubten und im Haus übernachten wollten. Beim Abendessen hörten sie plötzlich Babygeschrei. Sie suchten das Kind erfolglos im ganzen Haus. Als sie ins Esszimmer zurückkehrten, war das ganze Geschirr weg. Es lag zerschlagen in Annies Schlafzimmer. Sie reisten sofort ab – und das Gespenst hatte wieder seine Ruhe. Zum Ende des Rundgangs durch das Geisterschloss singt Latoya ein Lied. Nein, ausnahmsweise kein Marley-Song. Johnny Cash war von der Story über die weiße Hexe so fasziniert, dass er die Ballade von Annie Palmer textete: „Where’s your husband, Annie? Where’s number two and three?“
Hahnenkampf in der Dominikanischen Republik
Vor Krokodilen am besten im Zickzack wegrennen, das erhöht die Überlebenschancen. Frischer Kakao ist weiß, man kann ihn lutschen wie Litschis oder Bonbons. Gegen Impotenz hilft am besten Mamajuana, ein Gemisch aus Rum, Rotwein, Honig und bestimmten Kräutern. In der Dominikanischen Republik lernt man mehr für’s Leben, als man beim Anlanden zunächst gedacht hätte. Mario Fritz gehört zu der Sorte Lehrer, die früher maximal im Sportunterricht erlaubt gewesen wären. Seine Haare zu einem Zopf gebunden, um den Hals eine Fruchtbarkeitskette, im Kofferraum seines Jeeps fährt er „die Lösung für jedes Problem“ spazieren: eine Machete und eine Flasche Rum. Mario ist vor über 20 Jahren von Berlin in die Dominikanische Republik ausgewandert, wo er heute mit seiner Frau einen Kindergarten betreibt. Er wollte in einem Land leben, dass demokratisch regiert wird, Frauen nicht diskriminiert, ohne Glaubenskriege auskommt, eine vernünftige medizinische Versorgung garantiert, warm und groß genug ist, um keinen Koller zu bekommen. „Da blieb nur die DomRep, und die hat mich sehr gut aufgenommen.“ Für Ausländer ist die Insel, die längst mehr repräsentiert als nur ein günstiges Pauschalurlaubsziel, extrem interessant. Man darf Land erwerben, Investitionen sind einfach und der Tourismusindustrie wächst – wie man an den ständig neu eröffneten Hotels erkennt, die nie höher gebaut sein dürfen als die höchste Palme am Strand.
Es gibt einige Besonderheiten, die in die Kategorie „unnützes Wissen“ gehören, der Republik jedoch großen Charme verleihen: Autos müssen vorne keine Nummernschilder tragen, weil es ohnehin keine Kontrollen gibt. Es gibt bessere Zigarren als auf Kuba (viele Exilanten wanderten in die Dominikanische Republik). Frauen sind zu den am Wochenende ausgetragenen Hahnenkämpfen nicht zugelassen. Bei den „Car Washs“ finden die besten Partys statt (und wer will, kann sogar seinen Wagen waschen lassen). Am Künstlerdorf Altos de Chavón ist alles künstlich – trotzdem hübsch anzuschauen.
In einer „Banca“ bekommt man kein Geld, sondern verliert es meistens. Hierbei handelt es sich um Wettbüros, die gefühlt an jeder Ecke stehen. In den gelben Schulbussen sitzen keine Kinder, sondern meistens Bauarbeiter. Die Busse waren Geschenke der Amerikaner, doch die Schulen konnten sich die Reparaturen nicht leisten, und wann immer eines der Fahrzeuge kaputt war, kaufte ein Unternehmer sie ab, um fortan seine Mitarbeiter damit zu befördern.
Ja, es gibt vieles, was man über die Dominikaner nicht wusste. Und dann lernt man auch noch was über die Berliner. „Wir waren es nämlich, die in den 70er Jahren den Kompass erfunden haben, indem wir eine Banane auf die Mauer gelegt haben“, sagt Mario Fritz. „Wo abgebissen wurde, war Osten.“
Klopfende Herzen auf Cozumel und Piraten in Belize
Belize und Cozumel haben zwei große Gemeinsamkeiten: Durch das vorgelagerte Barrier Rief bleibt Tauchern regelrecht die Luft weg ob all der Sehenswürdigkeiten, die es im Meer zu entdecken gibt. Und an Land können sich Maya-Fans vor lauter Auswahl kaum entscheiden, welche bedeutende Ruine sie besichtigen sollen. Ein Muss sind Chichen Itza und Tulum auf der Yucatán-Halbinsel und Lamanai in Cozumel – vollkommen egal, wie früh Sie dafür aufbrechen müssen, wie heiß oder anstrengend die Tour eventuell werden könnte. Diese Bedenken erscheinen lächerlich, hat man die Genialität und Besonderheit des Maya-Volkes erst einmal erfahren dürfen. Das geht eben nur an ihren alten Pyramiden, Tempeln und Palästen. Schlichte Geister, die behaupten, dass es sich bei Ruinen lediglich um alte Steine handele, waren nie zu Besuch bei den Mayas.
Einige Frauen auf Cozumel tragen noch die typische Maya-Kleidung und sprechen die alte Sprache. Im Jahr 1000 nach Christus war Mexikos größte Insel bedeckt mit Maya-Schreinen, doch dann sorgten erst die Spanier für große Zerstörungen, und im Zweiten Weltkrieg befanden die Amerikaner, dass sie dringend ein paar Tempel für ihre Landebahn platt machen müssten. Übrig geblieben ist auf der Insel jedoch das ehemalige zeremonielle Zentrum San Gervasio. Früher zog es scharenweise Pilger an, die Ixchel, der Götting der Fruchtbarkeit, der Geburt und des Mondes, ihren Respekt erweisen wollten. Heute kommen vor allem Frauen, die hier für ihren unerfüllten Kinderwunsch beten. „Haben wir eine Jungfrau unter uns? Jede Besuchergruppe muss jemanden opfern!“ Yvonne Ardts hält das Mückenspray wie eine Waffe vor die Touristen, die laut lachen und fortan einen Mord nach dem anderen begehen: Zack! Wieder ein Moskito erledigt. Mit Tieropfern gaben sich die Mayas früher nicht zufrieden. Holländerin Yvonne zeigt auf die Cenote, wo früher bei Vollmond Mädchen ertränkt wurden. Manchen wurde das Herz bei lebendigem Leibe rausgerissen, denn es sollte noch klopfend den Göttern gereicht werden. An den hier gefundenen Skeletten ließ sich ein seltsamer Beauty-Tick der Maya ablesen: Sie standen auf längliche Schädel, die sie mit Schnüren und Brettern formten, und dekorierten ihre Zähne mit Steinen. „Wie die Rapper heute“, sagt Yvonne. Jede Mode kommt zurück.
Yvonne Ardts strandete vor 35 Jahren auf der damals noch fast unberührten Insel. Sie verliebte sich in einen Mann, von dem sie heute behauptet, er habe inzwischen einen Tequila-Bauch, sei aber weiterhin sehr nett. Doch in einer Hängematte und ohne Strom wie damals mitten im Dschungel zwischen Boas und Skorpionen würde sie nicht noch einmal leben wollen. „Für solche Abenteuer muss man sehr jung und verliebt sein.“ Inzwischen trägt Yvonne keine rosarote Brille mehr, und ihr Cozumel sieht anders aus: Es gibt Hotels, eine Uni, große US-Supermärkte, und jedes Jahr kommen 500 Kreuzfahrtschiffe vorbei. „Die Schiffe haben alles verändert, sie sind ein Glück für die Einheimischen. Man muss nicht alle Kreuzfahrer mögen, aber sie bringen auf jeden Fall Geld und Arbeit.“
Es gibt eine dritte Gemeinsamkeit von Cozumel und Belize: Piraten fühlten sich hier stets ausgesprochen wohl. Henry Morgan ruhte sich zwischen seinen Überfällen auf spanische Galeonen in den Buchten von Cozumel aus, und der Landesname von Belize geht vermutlich auf den englischen Freibeuter Peter Wallece zurück.
Wo Piraten sind, da fließt der Rum. Ein Besuch im One Barrel Rum-Museum von Belize City endet daher für einige Touristen nicht nur mit der Erkenntnis, dass Belize gerade zur Zeit der amerikanischen Prohibition eine entscheidende Rolle spielte, sondern auch mit leicht schwankendem Gang. Ausnahmsweise können sie dafür nicht das Kreuzfahrtschiff verantwortlich machen, sondern eher die Verkostung der 13 verschiedenen Rumsorten. „Den Letzten hätte ich vielleicht nicht mehr probieren sollen“, sagt ein Mann müde zu seiner Frau, die gleich eine Lösung parat hat: „Dann kaufe ich jetzt noch den Rumkuchen, der wird dich wieder stärken.“
Andere, echte Sehenswürdigkeiten sind in Belize City rar: Es gibt die älteste anglikanische Kathedrale Mittelamerikas St. John’s, das Government House als ehemalige Residenz des britischen Gouverneurs und die Zentralbank, die extra in der Form der Maya-Stätte Altun Ha gebaut wurde. Die Umrisse der Ruine schmücken übrigens auch das Etikett des heimischen Bieres. Aufgrund seiner Skurrilität lohnt ein Blick in das ehemalige Gefängnis, das heute als Museum dient. In den 90er-Jahren saßen hier teilweise 13 Personen in einer 1-Mann-Zelle, so dass Menschenrechtler den Bau eines neuen, größeren Gebäudes durchsetzten. In den ehemaligen Zellen sind heute neben alten Maya-Artefakten, einer Briefmarken- und einer Insekten-Sammlung auch Hocker ausgestellt, auf denen täglich Peitschenhiebe verteilt wurden. Wer die Toilette aufsuchen möchte, sollte wissen, dass genau dort alle Hängungen stattfanden. „Da wohnt ein Geist“, flüstert Eunice Lavourne Matura. Die 27-jährige Reiseführerin versteht gar nicht, dass man plötzlich doch nicht mehr muss. Lieber möchte man erfahren, was Belize außer Piraten, Rum und Gefängnissen denn sonst so auszeichnet. „Unsere Natur!“ sagt sie. Das kleine Land (ungefähr 300000 Einwohner) hat soviel Urwald, dass er sogar auf Satellitenaufnahmen aus dem All zu sehen ist. Die Küste besteht fast nur aus Mangroven. Schon wieder ein Grund, viel Rum zu trinken! „Denn das Wasser in dem Sümpfen war ungenießbar“, erklärt Eunice. Ja, gibt sie zu, im Tourismus gehe es bislang sicher nicht so professionell zu wie in anderen Ländern Mittelamerikas, aber das sei durchaus ein Vorteil: „Bei uns verschwinden die Leute nicht in teuren Luxusresorts, sondern jeder Tourist wird noch so aufgenommen, als würde er schon sein ganzes Leben bei uns verbringen.“
Wasserballett mit Rochen auf Grand Cayman
Spätestens nach einer Woche ist die Verliebtheit in die karibischen Inseln und ihr Lebensgefühl so groß, dass man für den Rest seines Lebens hier mit dem Schiff von Hafen zu Hafen gondeln möchte. „Oder Sie werden Landratte“, schlägt Maria Bennett vor. „Ein Haus im Paradies zu kaufen ist ganz einfach für Ausländer.“ Die Maklerin betreut Kunden aus der ganzen Welt, denn die drei Cayman Inseln sind trotz ihrer winzigen Fläche das fünftgrößte Finanzzentrum der Welt, eine Art Schweiz mit Palmen. Die Steuerfreiheit gewährte König Georg III. von England den Inselbewohnern zum Dank, als 1788 zehn seiner Schiffe vor der Insel baden gingen und die Besatzung von den Einheimischen gerettet wurde. Es gibt drei Sorten Menschen auf der Insel, die leicht zu unterscheiden sind: Die einen tragen Anzüge (Banker), die anderen Flip Flops (Touristen aus den Hotels), die dritten Flip Flops und ein Handy in der Hand (Kreuzfahrer). In vielen Cafés auf Grand Cayman gibt es kostenloses W-Lan, eines der wenigen Dinge, die Kreuzfahrtschiffe nicht bieten können.
1937 steuerte das erste Kreuzfahrtschiff die Insel an, heute kommen manchmal mehrere am Tag, so dass es regelmäßig voll wird in der Hölle. Hell zählt neben dem wunderschönen Seven-Mile-Beach und dem ältesten Haus der Insel, Old Homestead, zu den wichtigsten Sightseeing-Punkten von Grand Cayman. Eine irre Landschaft, die ein bisschen an Aufnahmen vom Mars erinnert und aussieht wie erstarrtes Feuer. Wirft man einen Kieselstein hinein, kommt angeblich ein Schrei aus der Hölle zurück, heißt es. Bei unserem Besuch von Hell ist allerdings der Teufel los. Luzifer könnte ein Schild aufstellen: „Wegen Überfüllung geschlossen.“
Entspannter geht es auf der Turtle Farm zu. Riesige Schildkröten, teilweise 150 Kilo schwer, paddeln entspannt durch die Becken. Sie gelten als Delikatesse. Da bleibt man doch lieber beim Rumkuchen, der auch hier gerne und überall angeboten wird.
Das absolute Highlight der Cayman Inseln findet man jedoch nicht an Land, sondern im Wasser. „Schwimmen Sie mit den Rochen“, hatte Maklerin Maria geraten. Es klingt wie ein Kindertraum, aber auch Erwachsene seien danach komplett selig und würden ihr alles abkaufen. Die Fahrt nach Stingray City – so heißt die im Wasser liegende Sandbank, auf der unzählige Rochen schwimmen – dauert 30 Minuten, das Ankern weitere zehn, weil ein Delphin das Seil nicht loslässt und damit spielt. Stinky nennen die Einheimischen den Fisch, der große Flipper-Erinnerungen bei den Touristen aufkommen lässt. Bei Youtube ist Stinky ein kleiner Star, denn es gibt nur wenige Delphine weltweit, die wie er alleine leben.
Die Annäherung an die Rochen findet vollkommen unerwartet statt. Gerade noch steht man mannshoch im Wasser und überlegt, wie weit man den Tieren entgegen schwimmen und ob man nun Angst vor dem Stachel haben sollte, da schwebt ein schwarzer Fleck von links an, einer von rechts und zig von unten. Hätte Neptun ein Orchester, würde es hier zum lustigsten Wasserballett der Karibik spielen. Die Rochen gleiten sanft durch das Meer und bilden grazile Formationen um die Menschen, während die durchs Wasser hüpfen, ihre Bikini-Oberteile zurecht zupfen und immer wieder vergnüglich „Ah!“ und „Ui!“ kreischen.
Pilze rauchen auf den britischen Jungfrauen-Inseln
Es gibt einen Dresscode im Supermarkt. Am Eingang hängt das Schild: „Bitte tragen Sie Schuhe und keine nasse Kleidung.“ Die Minimalanforderung ist der Tatsache geschuldet, dass die British Virgin Islands sich „Sailing Capital of the World“ nennen und den absoluten Segler-Traum darstellen. 60 Inseln, von denen nur 16 bewohnt sind, liegen wie von einer Außeneinrichterin liebevoll positioniert im türkisklaren Wasser. Schon bei der Anfahrt durch den Sir-Frances-Drake-Kanal wissen die Kreuzfahrer kaum, wohin sie zuerst schauen sollen. Sogar der Kapitän der AIDA Bella scheint ein wenig beeindruckt. „Die ganze Karibik fasziniert mich und die Crew, aber einen Anblick wie diesen erleben wir nicht jeden Tag“, sagt David Adrian. Das Schiff legt auf der Hauptinsel Tortola an. Sie scheint etwas für Verliebte zu sein, der Name bedeutet Turteltaube. Doch wie gesagt geht es hier vor allem um die Liebe zum Wasser. Am Cane Garden Bay findet man einen der besten Strände zum Sonnen, Apple Bay eignet sich super zum Surfen, und die Segler legen gerne am Yachthafen um Pusser’s Landing an. Der Name des Lokals hat eine historische Referenz, er verweist auf den Purser, also auf den Offizier, der früher den täglichen „Tot“ Rum an die Seeleute der Navy Schiffen austeilte. Eine der längsten Traditionen übrigens in der Geschichte der Marine. Erst am 31. Juli 1970 wurde der kostenlose Alkohol-Ausschank abgeschafft, von vielen als „Black Tot Day“ bezeichnet.
Früher tranken Piraten wie Edward Thatch, besser bekannt als Blackbeard oder Captain Kidd in Pusser’s Landing billigen Fusel, heute kann man im Supermarkt Veuve Cliquot, Moet und zig andere Champagner-Marken kaufen – wenn man denn wie gesagt zumindest Badeschlappen trägt und eine nicht tropfende Badehose.
Pirat war übrigens nicht gleich Pirat. Sogar unter Seeräubern gibt es unterschiedliche Klassen: Die Privateers stahlen halbswegs legel, sie führten Urkunden ihrer Landesherren mit sich und hatten ihre Ausrüstung selbst bezahlt. Bucaneers kaperten vor allem spanische Schiffe, und der Rest plünderte ohne Rücksicht auf Nationalitäten und Verluste. Die Legenden über das gesetzlose Leben, die auf diesen Karibik-Inseln des 18. Jahrhunderts geboren wurden, inspirierten Louis Stevenson zu seinem Buch „Die Schatzinsel“. Heute kann man mit einem Katamaran zur „Schatzinsel“ Norman Island segeln und dort schnorcheln. Einige tun dies in der Hoffnung, ein paar Taler auf dem Meeresboden zu finden. Im karibischen Meer ist noch alles Gold was glänzt.
Eine Spezialität von Tortola sind Pilze. Es gibt sie allerdings nur außerhalb der regulären Geschäfte zu kaufen, denn sie führen als Tee oder in Tabak zu Halluzinationen. Ein hübscher Pilz-Rausch ist auf Tortola vollkommen legal und besonders bei Vollmond-Partys unter Touristen und Einheimischen gern erlebt. „Ihr könnt sogar einen Polizisten fragen, wo es die besten Pilze gibt, sie werden euch sicher weiterhelfen“, sagt Pedro Scattlittle, der zuvor schon erklärt hatte, dass „Tourismus und Briefkastenfirmen die wichtigste Einnahmequelle des Landes“ seien. Pedro selbst ist für Safaris zuständig. Es gibt zwar keine Löwen oder Giraffen zu bestaunen, aber das beliebteste Transportmittel der Insel sind nichtsdestotrotz offene Safaribusse. „Die Leute wollen doch die Natur riechen und nicht irgendwelche Sitzpolster“, sagt Pedro und steuert sein pink bemaltes Gefährt die Berge hoch und runter. Auf der linken Fahrspur wohlgemerkt, da Tortola und seine 59 Insel-Kumpanen die englische Königin als ihr Staatsoberhaupt anerkennen. Die Steuer der Autos sind allerdings ebenfalls links, da die Verbundenheit zu den USA schon allein aufgrund der geographischen Nähe doch deutlich stärker ausfällt als zur Queen. Dabei herrscht sogar manchmal britisches Wetter auf den British Virgin Islands, aber karibischer Regen wird aufgrund seiner Wärme und Sanftheit ja eher als Streicheln denn als Nässe wahrgenommen.
Bei der Fahrt entlang der Kammstraße sieht man links die Karibik, rechts den Atlantik, oben den Sage Mountain (mit 543 Metern der höchste Berg der Inselgruppe) und überall Yachten und Segelboote. „Unser Motto hier ist ganz einfach“, sagt Rod. „Sail fast, live slow.“
Wie der Kreuzfahrer auf St. Kitts zum Einheimischen wird
Darf ich vorstellen: St. Kitts ist eine Kurzform für St. Christopher. Nach dem Schutzheiligen der Reisenden nannte – ja, er schon wieder – Christoph Kolumbus das Eiland bei seiner Entdeckung 1493. Engländer und Franzosen stritten sich jahrhundertelang um diese Vulkan-Insel, auf der ab 1700 Zuckerrohr angebaut wurde. Gewonnen haben letztendlich die Affen, denn davon leben hier doppelt so viele wie Menschen (39 000).
Wer das Privileg genießt, das vom Massentourismus noch unverschonte St. Kitts zu besuchen, kann zum Beispiel den Krater des Mount Misery besteigen, die Festung Brimstone Hill 250 Meter über dem Meer besichtigen, durch die Straßen der Hauptstadt Basseterre spazieren oder im Doppeldeckerzug auf den Gleisen der alten Zuckerrohrtransportbahn die Insel umrunden.
Es könnte jedoch sein, dass Sie als Karibik-Kreuzfahrer inzwischen ganz anders drauf ist... Wenn Sie nicht als einer der ersten von Bord stürmen, weil Sie Angst haben, etwas zu verpassen. Wenn Ihnen das Tenderboot vor der Nase wegfährt und Sie denken: „No Problem!“ Wenn Sie im ersten Café an Land nicht direkt nach Wlan fragen. Wenn Sie das Ausflugsprogramm nicht bereits am Vorabend akribisch studiert haben, sondern sich einfach an den nächsten Strand legen. Wenn Sie einen viel zu starken Rum-Cocktail trinken und das gar nicht mehr bemerken. Wenn Sie bei Reggae-Musik plötzlich mitsingen können. Wenn Sie laut lachen, obwohl Sie den Witz von der Frau, die beim Kapitän angeblich gefragt hat, ob die Angestellten ebenfalls auf dem Schiff übernachten, zum dritten Mal hören. Wenn Sie nicht an Morgen denken.
Dann sind Sie am Ende des Urlaubs angekommen. Willkommen in der Karibik.