Ungarns berühmtestes Weinbauregion Tokaj gilt als weltbestes Anbaugebieten für edelsüße Weine. Doch es gibt hier nicht nur Trauben und Keller zu besichtigen.
Wer die Sprachbarriere zumindest ein Stück weit überwunden hat und seinem Gastgeber auf Ungarisch zuprosten kann (Egészségére, gesprochen e-gesch-eh-gehre)Die Version des Trinkspruchs, die ursprünglich drinstand, ist die informelle, ich hab sie mal gegen die formale getauscht, hat gewonnen. Denn die Ungarn sind ein sehr gastfreundliches Volk, und der Wein spielt in der Geschichte des Landes eine große Rolle.
Besonders deutlich wird dies im Nordosten der Republik, in der Eger-Tokaj-Region, die von immer mehr Touristen entdeckt wird. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird dort auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden des Tokaj-Berglandes wieder erfolgreich Wein angebaut – wie schon im 17. Jahrhundert, als die Tokajer Aszú-Weine an die Königshöfe in Europa schickten. Ludwig XIV (1638–1715) zum Beispiel adelte den Tokajer als „König der Weine – Wein der Könige“, noch heute nennt ihn mancher „flüssiges Gold“.
Seit 2002 ist das Gebiet an den südlichen und östlichen Hängen des Zemplén-Gebirges Unesco-Weltkulturerbe. Eine Auszeichnung von besonderer Bedeutung, denn zu Zeiten der Sowjetherrschaft wurde der Weinanbau sehr vernachlässigt und hat demzufolge erst langsam wieder Anschluss im internationalen Weingeschäft bekommen.
Nächster Absatz kann raus, da man abseits des Namens nichts über die Hotels erfährtVon der Blüte des Weinanbaus zeugen noch die alten Weingüter, deren repräsentative Wohnhäuser heute vielfach Hotels der gehobenen Klasse sind. So zum Beispiel das Fünf-Sterne-Hotel Andrássy Rezidencia mit sehr schönem Wellnessbereich oder das Vier-Sterne-Hotel Gróf Degenfeld, beide in Tarcal.
Von der französischen Familie D’Aulan aus der Champagne wird heute eine der ältesten ungarischen Kellereien geleitet, das Château Dereszla (www. dereszla.com). Aladár Döme führt Besucher in die ausgedehnten Weinberge. Dort erfährt der Gast vom Winzer, wie die Reben gepflegt werden und dass es erst die unansehnlichen, von einem Pilz befallenen Trauben sind – man spricht von Edelfäule –, die dem Tokajer seine besondere Süße verleihen. Nach tatkräftigem Einsatz beim Ernten gewinnt man mit einer Weinpresse naturtrüben Traubensaft und lernt mit Dömes Hilfe, wie die einzelnen Flaschen von Hand verkorkt werden.
Nicht nur in seine Weinberge, auch in seinen weit verzweigten Weinkeller lädt das Weingut ein. Auf drei Ebenen erstreckt sich dieser über einen Kilometer weit in den Berg. Es herrscht eine gleichbleibende Temperatur von zehn bis 15 Grad, die zusammen mit dem dunkelgrauen, dicken Edelschimmel an den Wänden Teil das Erfolgsrezepts des Tokaji Aszú ist. Das besondere Klima unterstützt die Reifung des Weins. In Hunderten alten Eichenfässern und sorgfältig gestapelten Flaschen altern die Jahrgänge – die Aszú Eszencia, eine seltene Tokajer-Variante, die nur in herausragenden Jahren angesetzt wird, gärt bis zu zehn Jahre lang.
Die Edelfäule verleiht dem Tokajer seine besondere Süße
Wer der Natur mehr als den Wein abgewinnen kann, reist etwas weiter westlich ins Szalajka-Tal. Ein ausgedehnter Urbuchenwald lädt zu Wanderungen ein, Lehrpfade führen zu Höhlen und Aussichtspunkten des Bükkgebirges. Dort wächst der rarste aller Speisepilze, der Trüffel. Doch auf eigene Faust nach ihm zu suchen führt nur zu Frustrationen. Ohne jahrelange Erfahrung wird man keine der unterirdisch wachsenden Kostbarkeiten finden. Deutlich mehr Spaß macht es, sich einem professionellen Trüffelsucher anzuschließen. Deren Trüffelhunde – kein Sammler würde mehr ein Schwein verwenden, schließlich ist ein Hund schon mit einem Leckerli zufrieden, während ein Trüffelschwein durchaus selbst Gefallen am Trüffel findet – stöbern die Köstlichkeit weit zuverlässiger auf, als es ein Mensch je könnte. Am 5.Oktober dieses Jahres richtet das Restaurant Lovas zum bereits 16. Mal eine Trüffeljagd aus, bei der unter anderem die besten Trüffelhunde des Landes prämiert werden. Wer einen Hauch der k.u.k-Monarchie atmen möchte, kann in einer der Kutschen Platz nehmen, die zu Ausfahrten einladen. Die Stadt Szilvásvárad im Nordosten des Tales ist bis heute einer der Herkunftsorte der berühmten Lipizzaner. Das Kutschenmuseum, die historische Pferdeausstellung und nicht zuletzt die weidenden Pferde sind ein Erlebnis für Liebhaber dieser Tiere.
Neben den edlen Rössern gibt es auch eine unbekanntere Institution dieser Gegend: Gyuri bácsi, zu Deutsch Onkel Georg. Ein Kräuterkundiger, der sein Wissen von der Großmutter erworben hat. Auf seinen Feldern wachsen unterschiedlichste Heilkräuter, die er in Teemischungen anbietet. Doch lebt der alte Mann nicht etwa allein in der Vergangenheit, Onkel Georg verschickt seine Tees in alle Welt.
Ein Reisender im Osten Ungarns sollte sich auch Zeit für die Stadt Eger nehmen. Das nahe gelegene „Tal der schönen Frauen“ ist das Zentrum dieser historischen Weingegend. An die 200 Weinkeller wurden hier über die Jahrhunderte in die Tuffstein-Schicht gehauen. Viele beherbergen kleine gastronomische Betriebe, und mit ihrem Weinverkauf und Ausschank sind die Kellereien beliebtes Ziel der Touristen. Geschichtlicher Mittelpunkt der Stadt, die durch Barockbauten und schmale Gassen beeindruckt, ist die Burg. Sie wurde 1248 als Bischofsburg erbaut und zählt heute zu den am häufigsten besuchten Museen außerhalb der ungarischen Hauptstadt. 1552 verteidigten die Einwohner von Eger die Burg erfolgreich gegen eine drückende Übermacht der Türken, bevor diese Eger dann 1596 für fast 100 Jahre einnahmen.
Noch heute prägt ein Bau der Türkenzeit das Stadtbild: Das fast 40 Meter hohe Minarett der ehemaligen Kethuda-Moschee gilt als das nördlichste historische Bauwerk der Osmanen. Aus der Zeit der Belagerung von Eger, zu Deutsch Erlau, kommt auch die Bezeichnung für den beliebten Rotwein, das Erlauer Stierblut oder Egri Bikavér. Der Legende zufolge stärkten sich die Verteidiger mit diesem Wein, bevor sie in die Schlacht zogen. Die Angreifer sollen es beim Anblick der rot verschmierten Bärte mit der Angst zu tun bekommen haben, dachten sie doch, die Egerer hätten Stierblut getrunken. Heutige hochwertige Bikavér haben kaum noch etwas mit dem Massenwein früherer Tage zu tun, man kann also ohne Angst vor einem schweren Kopf auf die tapferen Egerer anstoßen: „Egészségére!“