Seit 20 Jahren ist Ljubljana Hauptstadt des unabhängigen Sloweniens. Die kleine Metropole ist europäisch, grün, bescheiden und unbekannt.
Es geht gemächlich zu an diesem Samstagnachmittag in Ljubljana zwischen Tomaten und Kirschen, Karstschinken und Krainer Würsten. Auf dem großen Platz vor dem Dom St. Nikolai ist nichts von der hektischen Geschäftigkeit anderer Märkte zu spüren. Kein Mensch preist lauthals seine Waren an. Ruhig und abwartend stehen die Verkäufer da. Zurückhaltend wie das ganze Land.
Barbara Bizjan, eine energische Frau um die 40, hilft heute einer Freundin beim Blumenverkauf. Sie steht zwischen Tulpen und Veilchen und stemmt die Hände in die Hüften. „Wir sind zu geduldig“, sagt sie und meint nicht nur die Marktleute, sondern die Slowenen allgemein. „Wir wurden immer von jemand anders beherrscht. Deshalb sind wir es gewohnt, nicht aufzumucken.“
Slowenien, das kleine Land zwischen Adria, Alpen und Kroatien, feiert in diesem Jahr ein Jubiläum: Seit 20 Jahren ist es ein eigener Staat. Jahrhundertelang gehörte es zum Reich der Habsburger, von 1918 an zu Jugoslawien. Am 25. Juni 1991 erklärte Slowenien seine Unabhängigkeit – ausgerechnet die Region, die in dem explosiven Staatengebilde auf dem Balkan eher unauffällig war.
Wer das Land kennenlernen will, muss die Stadt besuchen, die in seiner Mitte liegt. Und wer durch die Straßen Ljubljanas läuft, hat rasch das Gefühl, als seien die jugoslawischen Jahre fast spurlos vorübergegangen: Hier gibt es mehr Altösterreich als Balkan, mehr dolce vita als Sozialismus.
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Ein bisschen Laibach, so der alte deutsche Name, liegt immer noch in den sauberen Straßen. Liebevoll hergerichtete Häuschen, schmale Altbauten mit kleinen Balkonen und hohen Fenstern, reihen sich am Fluss Ljubljanica aneinander. Wilder Wein bedeckt die Ufer, an denen sich immer wieder schattige Stufen und Sitzgelegenheiten finden. Mädchen rauchen, vom Blätterdach geschützt, verbotene Zigaretten.
Zu beiden Seiten ist der Fluss gesäumt von Bäumen, kleinen Cafés und Cocktailbars. Auf dem Flohmarkt hinter der Schuhmacher-Brücke gibt es deutsche Kriegstagebücher und habsburgische Münzen zu kaufen. Nur an einem Schmuckstand finden sich letzte Huldigungen der Tito-Zeit: Zwischen „I love Slowenia“- und „Che Guevara“-Flaggen hängen Shirts mit dem Konterfei des jugoslawischen Diktators.
Ljubljana ist eine Stadt der leisen Töne. Der slowenische Architekt Joe Plecnik, der in den 1920er und 1930er Jahren das Bild der Stadt prägte, hat auf Prunkbauten verzichtet und stattdessen verspielte Fassaden und Säulen gebaut. Die drei Brücken, die sich im Stadtzentrum fächerartig über die Ljubljanica legen, stammen zum großen Teil aus seiner Hand. Auch die begrünten Ufer des Flusses hat er gestaltet und die Trnica-Arkaden, in denen Händler vor bunten Kerzen und Schnitzereien sitzen. Unter dem Säulengang wird in kühlen Hallen Fisch verkauft, darüber gelangt man in Richtung Drachenbrücke zum Obst- und Gemüsemarkt. Hier schlägt das Herz der Stadt.
Ljubljana, dieser für fremde Zungen sperrige Name, bedeutet „die Geliebte“. 300 000 Einwohner hat die Stadt nur. „Es ist die schönste Stadt der Welt“, sagt Barbara Bizjan. „In eineinhalb Stunden hat man hier alles gesehen, und in einer Stunde sind wir am Meer, in den Bergen, in Italien oder Ungarn. Wer sonst kann das von sich sagen?“
Alles, was es in Slowenien zu entdecken gibt, ist von Ljubljana aus schnell zu erreichen: Der Triglav-Nationalpark im Nordwesten, die Hochalmen der Velika Planina, die Adelsberger Grotte bei Postojna, die Wildwasser der Flüsse Krka und Kolpa. Slowenien, heißt es, sei wie ein Kontinent im Kleinen. Hier gibt es vieles, aber von allem nur ein bisschen: Die Alpen erstrecken sich als Ausläufer ins Land, und der Küstenstreifen an der Adria ist so schmal, dass ein Witz behauptet, man müsse dort mit dem Reisepass im Mund schwimmen gehen.
Ljubljana ist wie eine Miniatur dieses Landes – klein, ruhig, friedlich. Und bewusst europäisch. Die Einwohner essen Pizza, Palatschinken und Gulasch, sie kleiden sich wie in Mailand und sprechen neben Englisch oft Italienisch und Deutsch. Auf die Frage nach dem Nationalgericht bekommt der Besucher ratlose Blicke. Es gibt ein paar typische Süßspeisen, mehr nicht. 2004 wurde Slowenien in die Europäische Union aufgenommen, 2007 der Euro eingeführt. Die Wirtschaft ist stabil. Das Land gilt als Musterschüler der Osterweiterung.
Und doch findet sich hier eine leise Ostalgie. Fragt man die Leute auf der Straße nach früheren Zeiten, bricht sie in nachdenklichen Sätzen durch: Irgendwie sei man damals enger zusammengerückt, heißt es dann. Irgendwie machten diese neuen Dinge – Geld, Karriere, Neid - die Beziehungen zwischen den Menschen kaputt.
Vielleicht ist es gerade das allzu Europäische, das die Sehnsucht nach alten Identitäten schürt. Matej Planko, ein schmaler Slowene mit schüchternem Lächeln, verkauft auf dem Markt selbst gemachte Pasten aus Auberginen, Paprika und Bärlauch. Er ist erst 30, aber an die Zeit von vor 20 Jahren kann er sich gut erinnern. Es war eine schönere Zeit, sagt er: „Heute kommen zu viele fremde Dinge ins Land. Alles wird importiert.“
Er sagt es ganz ruhig. Die Slowenen regen sich nicht gern auf. Nicht über Touristen, die serbische Cevapcici bestellen, weil sie glauben, es sei das slowenische Nationalgericht. Nicht über Politiker wie George W. Bush, der kam und glaubte, dies sei die Slowakei. Barbara Bizjan kennt viele solcher Geschichten. Ob es die Slowenen stört, dass kaum jemand ihr Land kennt? Sie zuckt die Schultern. „Wir sind bescheiden.“