Es tut sich etwas auf den deutschen Bahnstrecken. War es zu den seligen Zeiten der Deutschen Bundesbahn noch selbstverständlich, dass der bis 1993 staatseigene Konzern seine Trassen als Monopolist selber befuhr, so hat sich spätestens seit der Liberalisierung auf Europas Fernverkehrsstrecken Anfang 2010 das Bild deutlich gewandelt. Theoretisch kann demnach seit Jahresbeginn jeder Zugbetreiber in jedem EU-Mitgliedsland Bahnverbindungen offerieren. Und praktisch strebt das die SNCF für Deutschland an.
Die staatliche französische Eisenbahngesellschaft hat am 19. Oktober 2009 diverse Trassen bei der DB Netz bestellt, bis März muss die Bahntochter ein Angebot zu den Nutzungsbedingungen vorlegen: Es handelt sich dabei um die Strecken Köln-Heidelberg-München-Salzburg, Hamburg-Köln-Straßburg sowie um die Trasse Hamburg-Berlin-Frankfurt-Straßburg. Betrieben werden sollen die Strecken von der deutschen SNCF-Tochter Keolis ab 2011. Das in Berlin sitzende Eisenbahnverkehrsunternehmen betreibt bereits unter dem Namen "eurobahn" diverse Regionallinien in Ostwestfalen. Mit den angestrebten, attraktiven Fernstrecken auf deutschem Boden tritt die SNCF über ihre Tochterfirma damit erstmals ernsthaft als Konkurrent der Deutschen Bahn auf.
"Ziel ist es, den gleichen Effekt zu erzielen wie im Luftverkehr", sagt ein Keolis-Sprecher. Will heißen: So wie in den Neunzigerjahren die Liberalisierung des Luftverkehrs zu einem wesentlich größeren Angebot für den Kunden und zu größerem Wettbewerb in der Luft führte, soll der gleiche Effekt nun auf der Schiene geschehen. "Durch den Wettbewerb soll die Attraktivität der Bahn für den Kunden erhöht werden", hofft der Keolis-Sprecher. Der Wettbewerb soll dabei angeblich mit fairen Mitteln laufen. "Wir werden die Preise nicht billiger machen", sagt der Sprecher. Angestrebt ist, dass die Züge auf allen Strecken alle zwei bis drei Stunden fahren, "das scheint auch zumindest zwischen Straßburg und Hamburg möglich", so der Sprecher.
Auch bei den Zügen selbst will die SNCF die Deutsche Bahn nicht angreifen: Statt des Hochgeschwindigkeitszuges TGV, der als Herausforderung an das deutsche Pendant, den ICE 3, verstanden werden könnte, will der französische Konzern in Deutschland alte Züge mit IC-Standard einsetzen, die maximal 200 Stundenkilometer fahren. "Wir nehmen, was es auf dem Markt gibt", sagt der Sprecher.
Das hat die SNCF mit dem derzeit zweiten Bewerber für die deutschen Bahnstrecken gemeinsam: Locomore Rail. Das in Berlin ansässige Unternehmen hat alte Züge der Österreichischen Bundesbahn gekauft und setzt sie ab dem 15. August 2010 als Hamburg-Köln-Express (HKX) ein. Dann sollen zwischen den beiden Städten dreimal täglich je Richtung jeweils sechs Wagen mit 350 Passagieren mit "verschiedenen Komfortzonen" und "attraktiven Preisen" unterwegs sein, wie das Unternehmen verspricht.
Während diese Verbindung bereits feststeht, sind die von Locomore für 2011 avisierten Routen Frankfurt-Berlin, Berlin-Hamburg und Stuttgart-Hamburg noch offen, weil "wir erst abwarten müssen, ob wir hierfür überhaupt ein Rahmenvertragsangebot für die Infrastrukturnutzung erhalten", sagt Geschäftsführer Derek Ladewig.
Locomore und die SNCF sind dann allerdings nicht die ersten Unternehmen, die auf Strecken fahren, die nicht von der Deutschen Bahn betrieben werden. Die hat seit zehn Jahren Konkurrenz aus dem eigenen Land auf den Schienen.
Am eifrigsten ist dabei der Konzern Veolia, der mit dem Interconnex (Leipzig-Berlin-Rostock) und dem Harz-Berlin-Express (Vienenburg/Thale-Halberstadt-Magdeburg-Potsdam-Berlin) zwei Züge auf Fernverkehrsstrecken der Deutschen Bahn eigenwirtschaftlich betreibt. Tickets für diese Züge sind auf keinem Bahnhof erhältlich, sie müssen im Zug oder über die Homepages gekauft werden.
Mit der NordWestBahn und der Nord-Ostsee-Bahn bedient Veolia weitere Strecken parallel zur Deutschen Bahn. Allerdings handelt es sich hier nicht im klassischen Sinn um Fernverkehrsstrecken (über 50 Kilometer, mehr als eine Stunde Fahrzeit), denn der Fernverkehr wird in der Regel eigenwirtschaftlich betrieben, wie das auch SNCF und Locomore planen. Bei Angeboten wie NordwestBahn, Nord-Ostsee-Bahn oder weiteren Zügen wie dem Metronom oder Cantus handelt es sich vielmehr um Nahverkehr, der über Regionalisierungsmittel und Bestellerentgelte finanziert wird.