Österreichs steilste Skipiste, Dutzende von Après-Ski-Bars, 668 Pistenkilometer und trotzdem Ruhe – das finden Wintersportler im Zillertal.
Mayrhofen/Kaltenbach. Mit der ersten Gondel lässt der Wintersportler den dichten Nebel des Tals hinter sich. Imposant recken sich das Öfelerjoch und der Gedrechter auf über 2300 Meter dem tiefblauen Himmel entgegen. Man blinzelt in die gleißende Sonne. Die frisch präparierten Pisten des Hochzillertaler Skigebiets fühlen sich gut an unter den Brettern. Die ersten Schwünge des Jahres sind die schönsten.
Das Zillertal liegt in Tirol, 55 Dreitausender säumen es. Wer die Menschen hier kennenlernt, hat den Eindruck, dass harte Arbeit glücklich machen kann. Der Weg zum Wintersportziel war lang und wäre ohne die engagierten Einwohner kaum geschafft worden. Menschen wie der Zillertaler Hans Kammerlander prägen ein Tal, das bis in die
1980er Jahre hinein hauptsächlich von Landwirtschaft und Sommertourismus lebte. Der 84-Jährige war fast 20 Jahre lang Bürgermeister der 800-Seelen-Gemeinde Gerlos und baute dort einen der ersten Skilifte.
Sechs Skigebiete mit 94 Kilometern schwarzen, 398 Kilometern roten und 175 Kilometern blauen Abfahrten erwarten die Winterurlauber heute. Sie haben die Wahl zwischen Fügen und Hochfügen, dem Hochzillertal, der Zillertal Arena, Penken und Ahorn sowie dem Gebiet rund um den Hintertuxer Gletscher. Breite Abfahrten mit Rundum-Panoramablick für Familien und Anfänger wechseln sich mit steilen und engen Passagen ab, die auch geübten Fahrern den Schweiß auf die Stirn treiben. In einer Urlaubswoche ist das Zillertal kaum ganz zu erkunden.
Hans Kammerlander und die Zillertaler fingen vor vielen Jahren klein an. Der spätere Bürgermeister schuf aus dem elterlichen Hof zwei Hotelbetriebe mit mehr als 300 Betten, die heute seine Söhne führen. „In den 30er Jahren gab es fließendes Wasser und Toiletten nur auf dem Flur“, erzählt er. Die Leute reisten zu Fuß oder mit Pferden über schmale Schotterwege an. Es waren überwiegend Wanderer aus Deutschland, und sie kamen fast ausschließlich im Sommer.
Ihre Rechte, wenn der Schnee ausbleibt
Dass sich der Wintertourismus durchsetzte, verdankt das Tal auch der berühmten Olympioniken-Familie Spieß. Die ehemalige Skirennläuferin und zweimalige Bronzemedaillen-Gewinnerin Erika „Riki“ Mahringer und ihr Ehemann, der Skirennläufer Ernst Spieß, gründeten in den 50er Jahren die Skischule Mayrhofen und den ersten Skikindergarten der Welt.
1967 baute Hans Kammerlander, damals Vizebürgermeister, den ersten Doppelsessellift am Isskogel im Gerlostal. „Wir wollten zum Skifahren halt bequemer den Berg hochkommen.“ Kurz darauf folgten andere seinem Beispiel und erbauten Skilifte in Zell am Ziller und in Kaltenbach. Aber erst ab den 1980er Jahren haben immer mehr Urlauber in den Wintermonaten das Zillertal besucht.
Heutzutage bringen 172 Lifte die Sportler den Berg hinauf. Viele von ihnen fahren am liebsten abseits der Piste wieder hinunter. Das Freeriden entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum großen Trend. Für Freerider sei das Skigebiet Hochfügen perfekt, sagt Ski- und Bergführer Georg Fankhauser. Wer mit dem Wedelexpress am Gipfel ankommt, wird mit grandiosen Ausblicken auf das Tiefschneegebiet belohnt. Mit kräftigen Schwüngen geht es durch Puderzucker-Schnee hinab ins Tal.
Freerider finden auch am Isskogel unberührte Tiefschneehänge. Von der Station geht es den breiten Bergrücken parallel zum Sessellift hinauf, bis sich das Gipfelkreuz imposant vor einem aufbaut. Die Hänge führen in lichte Wälder, vorbei an der Krummbachrast hinab ins Tal. Für weniger Wagemutige gibt es rund 166 Pistenkilometer.
Von der Gerlosplatte am Rand der Zillertal Arena und rund um Königsleiten laden blaue Pisten zum Carven ein – Familien und Anfänger fahren hier entspannt ab. Die Augen der Kinder leuchten, wenn sie in ihren knallgelben oder pinken Leibchen als „Liftkäfer“ und „Schizwerg“ im Pflug die Pisten hinabrutschen.
Strahlende Augen bekommt auch Marion Hartl, wenn sie von ihren Doggln erzählt. Den traditionellen Zillertaler Schuh fertigen sie und ihr Mann Günther bereits in der dritten Generation in der winzigen Werkstatt im Dorf Stumm, die sich hinter dem Schuhgeschäft versteckt. Hammer, Stahlnägel, ein Fingerhut, Nadel und Zwirn sowie 40 Jahre alte Leisten liegen auf ihrer Werkbank. Die Schwielen an Marion Hartls Händen lassen erahnen, wie viel Kraft es kostet, die dicken Nadeln durch die schweren Loden zu drücken. Trotzdem ist es ihr Traumjob.
Und auch Georg Fankhauser liebt seinen Beruf: den ganzen Tag an der frischen Luft in Bewegung zu sein. Georg – das „Du“ ist beim Skifahren Pflicht – ist in Zell am Ziller geboren und lebt nun ebenfalls in Stumm. Das stille 2100-Einwohner-Örtchen liegt verschlafen inmitten des Tals. „Ich hab es gerne ruhiger“, sagt er. Beschaulichkeit finden gestresste Großstädter auf dem „schönsten Dorfplatz Tirols“ mit der kleinen Dorfkirche, dem Schloss und vielen urigen Wirtshäusern. Après-Ski-Partys sucht man hier vergeblich.
Umgeben von den Zillertaler, den Tuxer und den Kitzbühler Alpen liegt die Ortschaft Hippach ein paar Kilometer weiter ins Tal hinein. Urlauber spazieren an kleinen Geschäften vorbei und bekommen ansonsten vor allem eines: Ruhe.
Auf welchen Pisten er am liebsten fahre, wird Georg gefragt. „Das Tolle am Zillertal ist, dass man jeden Tag eine andere Piste fahren kann.“ Es werde nie langweilig. Traurig findet er, dass die Menschen heutzutage noch nicht einmal im Urlaub etwas Gelassenheit mitbringen. „Früher buchten sie zwei Wochen Skikurs, heute kommen sie zwei Tage und wollen danach perfekt Skifahren können“, klagt er. „Der Mensch hat keine Muße mehr.“
Wer statt Muße und Beschaulichkeit Spaß und Party sucht, ist im Skigebiet Penken bei Mayrhofen gut aufgehoben. „Mayrhofen ist das moderne Zillertal, hier treffen sich die jungen Hippen“, sagt der Skiguide.
Bunte Leuchtreklamen weisen den Weg – „Après-Ski hier“ steht an den Häuserfronten in roten Lettern geschrieben. Englische, holländische und polnische Wortfetzen dringen ins Ohr, während alles auf die Gondel wartet. Es ist laut und voll. Die Mayrhofner Bergbahnen befördern laut eigenen Angaben mehr als 40 000 Wintersportler pro Stunde den Berg hinauf.
Weil das Skigebiet Penken sowohl von Mayrhofen als auch von Hippach und Finkenberg angefahren werden kann, sind die Pisten entsprechend voll. Trotzdem findet jeder Platz, um seine Spuren im Schnee zu ziehen. Die „Harakiri“ ist mit 78 Prozent Gefälle die steilste Piste Österreichs und lässt selbst die Knie routinierter Wintersportler weich werden. Snowboarder und Freeskier toben sich im Vans Penken Funpark aus.
Auf dem Ahorn – ebenfalls von Mayrhofen erreichbar – geht es gemütlicher zu. Wer hier über die breiten Pisten fährt, spürt, warum dieser Berg „Genießerberg“ genannt wird. In der Ahornhütte der Familie Spieß schnuppert man bei Kaiserschmarrn und Currywurst ein bisschen Olympialuft.
Wer noch höher hinaus will, fährt ins Gletschergebiet Hintertux. Die gewundenen Passstraßen scheinen nicht aufhören zu wollen, der Olperer mit seinen 3476 Metern zieht die Blicke in seinen Bann. Mit Liften geht es zunächst hinauf auf rund 2400 Meter. Die Westseite der Frauenwand glitzert in der Sonne. Die Spitze des Olperer hingegen verschwindet nach und nach im Nebel. Trotz blauer Pistenmarkierungen brauchen Skifahrer in diesem Gebiet ein wenig Übung.
Moderner Wintertourismus und alte Traditionen scheinen sich im Zillertal nicht auszuschließen. Es sei ein Tal mit viel Landwirtschaft geblieben, sagt Hans Kammerlander, der ehemalige Bürgermeister. Im Sommer wandere man dort, wo im Winter das Skigebiet liegt, über malerische Almen, auf denen Vieh grast. „Der Tourismus hat uns eigentlich nur Wohlstand gebracht“, sagt Kammerlander. Einziger Nachteil sei die Umweltbelastung durch die Autos. „Und die älteren Stammgäste sagen, es ist nicht mehr so gemütlich, wie es einmal war.“