Dassendorf. Martin Harnik spricht erstmals nach dem Karriereende über seine Laufbahn, seine Zukunftspläne, Privates und einen Porsche.
Von Glamour keine Spur. Bei Martin Harnik zu Hause sieht es nicht anders aus als bei anderen Familien mit zwei kleinen Kindern. Hier und dort steht etwas Spielzeug herum, an den Fenstern hängen Basteleien der Kleinen aus der Kita, auf dem Esstisch liegt ein Stapel Zeitschriften – das normale Chaos einer kleinen Familie halt. In dieser Atmosphäre spricht der 33-Jährige, der aus Kirchwerder in die große, weite Fußball-Welt auszog, erstmals über seine Profi-Laufbahn, die er im Oktober mit der Vertragsauflösung bei Werder Bremen beendet hat.
Harnik freut sich darauf, ein neues Kapitel zu beginnen
Nach über 400 Pflichtspielen als Profi und 99 Toren in der 1. und 2. Bundesliga wirkt Martin Harnik aufgeräumt, um im Bild zu bleiben. Ein bisschen auch befreit von den Fesseln, die ihm der Profi-Zirkus in den vergangenen 15 Jahren angelegt hat. „Ein neues Kapitel beginnen zu können, darauf freue ich mich schon seit Jahren. Jetzt war einfach der Zeitpunkt gekommen, an dem ich nicht mehr alles dem Fußball unterordnen möchte. Weder die Familie noch mein Leben“, sagt Harnik.
Während seiner Laufbahn hatte er, mit einer Ausnahme, nie einen Journalisten bei sich zu Hause empfangen. „Das Leben außerhalb des Platzes ist sehr gläsern. Für alle und jeden bist du nur der Fußballer. Meine Familie wollte ich da immer raus halten“, sagt der 33-Jährige.
Er erlebte Momente, von denen Fans nur träumen können
Der Fußball hat ihm aber auch Erlebnisse beschert, von denen der normale Fan nur träumen kann. Erst die EM 2008 in der Schweiz und Österreich, der Heimat seines in diesem Frühjahr verstorbenen Vaters Erich Harnik.
Oder das DFB-Pokalfinale 2013 gegen Bayern München (2:3), als er beide Tore für den VfB Stuttgart erzielte. Oder auch die vielen kleinen Momente. Etwa als Martin Harnik bei seiner zweiten Europameisterschaft 2016 vor dem Spiel gegen Schweden auf Superstar Zlatan Ibrahimovic traf. „Was der allein für eine Aura im Spielertunnel ausgestrahlt hat. Der war nicht nur einen Kopf größer, der hatte auch die dicksten Waden, den muskulösesten Körper. Ich kam mir wie ein Zwölfjähriger vor. Ich bin noch nicht mal auf die Idee gekommen, mit ihm Small Talk anzufangen“, sagt Harnik.
Fußballer wechselte als A-Jugendlicher zu Werder Bremen
Dass „Ibrakadabra“ später für ein Foul an ihm die Gelbe Karte sah, freut Harnik derweil immer noch diebisch. Da hat er nichts von dem kleinen Jungen verloren, der er selbst fast noch war, als er im Winter 2005 als A-Jugendlicher vom SC Vier- und Marschlande zu Werder Bremen wechselte.
Über die Regionalliga-Elf empfahl er sich fürs damals noch mit Stars wie Miroslav Klose, Torsten Frings oder Johan Micoud gespickte Bundesliga-Team der Bremer. Der deutsche Nationalspieler Frings war es auch, der ihm alsbald einen Spitznamen verpasste. „Ich war immer nur ,Hanno’“, sagt Harnik, der von den Bedingungen fast erschlagen war, die der Profi-Fußball bot.
Martin Harnik polarisiert als Privatmensch und Spieler
Und viele Verlockungen und Fettnäpfen, die er weitgehend umschiffen konnte. Nur die Episode mit einem Porsche zu seiner Stuttgarter Zeit würde er gern ungeschehen machen. 2015 geordert, erhielt Harnik den Sportwagen erst 2016, als der VfB tief im Abstiegsstrudel steckte. „Ich wollte keine Fotos von dem Wagen und mir. Über drei Ecken ist ein Bild dann doch zur Zeitung gelangt“, sagt Harnik. Tenor des Artikels: Wie kann der nur! Heute sagt der Ex-Profi: „Ich bereue nicht den Porsche, aber das Bild ohne mein Wissen.“
Auch als Spieler hat Harnik polarisiert. „Ich galt als fleißig auf dem Feld und umgänglich daneben. Ich wurde mal gelobt für meine Selbstkritik, dann als Chancentod angesehen. Dann hieß es schon mal nach einem schlechten Spiel: Der soll mal weniger reden, sondern auf dem Platz liefern. Dabei bin ich oft auch von der Medienabteilung gebeten worden, die Wogen zu glätten. Es war viel schwarz-weiß“, sagt Harnik.
Der Ex-Profi sagt: „Definitiv ist es ein Traumberuf“
Und dennoch: Trotz aller Kritik am Profi-Zirkus würde er seinem dreijährigen Sohn heute sagen, dass es sich lohne, danach zu streben. „Definitiv ist es ein Traumberuf“, sagt Harnik. Und dann denkt er wieder an diese Momente, wie den als junger Nationalspieler, als er von seinem Idol, dem französischen Welt- und Europameister Thierry Henry, nach einem Länderspiel schüchtern dessen Trikot erbat. Über 200 Jerseys von Gegenspielern sind in der langen Laufbahn zusammengekommen. Groß angeben, das ist aber nicht Harniks Art. Erst im ersten Corona-Lockdown hat er sie einmal sortiert, aber dann auch wieder in Kartons eingelagert. „Ich weiß selbst noch nicht genau, was ich damit machen soll“, sagt Harnik.
Vielleicht findet er ja einen Platz in seinem neuen Haus, das er für seine Familie gerade in der Region baut. Bis es fertig ist, bleiben die Harniks in Dassendorf. Einen Steinwurf vom Platz der TuS Dassendorf entfernt. Dort, wo er jetzt, wieder nur so zum Spaß in der Oberliga Hamburg zusammen mit seinem Schwager Mattia Maggio kickt.
Er denkt über Karriere als Medien- oder TV-Experte nach
Zudem will er seine weitere berufliche Karriere vorantreiben. Mit seinem Freund Daniel Ginczek (VfL Wolfsburg) betreibt er ein Lebensmittelgeschäft, zudem ist er Gesellschafter einer Firma für Partyzubehör. Und auch dem Profi-Fußball möchte er verbunden bleiben. „Es gibt Überlegungen, dass ich als Medien- oder TV-Experte einsteige. Ich möchte aber auf jeden Fall selbstbestimmt bleiben und mich an keinen Profiverein mehr binden“, sagt Martin Harnik, der eigentlich nur der ganz normale Typ aus der Nachbarschaft sein will – und der er auch ist.
Sonst hätte während des Pressetermins wohl kaum sein Nachbar, ein Maler, nach dessen Feierabend an die Fensterscheibe geklopft und gefragt, ob er sich kurz mal etwas zu trinken ausleihen darf.
Bestes Spiel, größte Momente, die bittersten Stunden: Martin Harnik über Meilensteine der Karriere
Martin Harnik gehört nicht zu den Fußballern, die sich auch Jahre später an jedes Spiel erinnern und zu jedem geschossenen Tor auch noch den Vorlagengeber nennen können. Hier eine persönliche Auswahl seiner wichtigsten Momente:
Pokalfinale 2013: Er verliert mit dem VfB Stuttgart 2:3 gegen Bayern München. „Für Bayern ging es damals ums Triple. Wir liegen schon 0:3 zurück, dann schieße ich zwei Tore. Dieses 2:3 nach 80 Minuten, der Ruck, der danach durchs Berliner Olympiastadion ging, das war schon elektrisierend.“
Die beiden Europameisterschaften 2008 und 2016 mit der österreichischen Nationalmannschaft: „Diese Turniere waren schon einzigartig. Das Wissen, das Millionen von Menschen zugucken. 2008 dann auch noch im eigenen Land als Co-Gastgeber mit der Schweiz. Oder 2016, als wir nach 28 Punkten in zehn Quali-Spielen als Geheimfavorit nach Frankreich gefahren sind.“
Die Debüts in der Bundesliga und Nationalmannschaft, als ihm im ersten Spiel jeweils ein Tor gelang: „Am 25. August 2007 bin ich für Markus Rosenberg bei Bremens Auswärtsspiel in Nürnberg eingewechselt worden und habe schon nach acht Minuten zum 1:0-Sieg getroffen. Und das, nachdem ich drei Tage zuvor im ersten Länderspiel für Österreich mit dem zweiten Ballkontakt schon den 1:1-Ausgleich erzielt hatte.
Sein Dreierpack in der Bundesliga für den VfB Stuttgart am 11. Februar 2012 gegen Hertha BSC: „Das war vielleicht mein bestes Spiel überhaupt. Auch das Länderspiel in Schweden fällt mir ein, als wir uns mit einem 4:1 als Gruppensieger für die EM qualifiziert hatten und ich zwei Tore geschossen habe.
Die Saison 2011/12, als ihm 17 Tore und acht Vorlagen für den VfB Stuttgart gelangen: Das war sensationell. Meine beste Saison. Das war aber auch die beste Mannschaft, in der ich je gespielt habe.“
Steckbrief: 17 Tore in erfolgreichster Saison
- Martin Harnik (geboren 10. Juni 1987 in Hamburg): verheiratet, zwei Kinder, Vater Österreicher, Mutter Deutsche
- Vereine: SC Vier- und Marschlande (1992-2005), Werder Bremen (2006-2009), Fortuna Düsseldorf (2009/10), VfB Stuttgart (2010-2016), Hannover 96 (2016-2018), Werder Bremen (2018/19), Hamburger SV (2019/20), TuS Dassendorf (seit Okt. 2020)
- Bundesliga: 240 Spiele/66 Tore
- 2. Bundesliga: 83 Spiele/33 Tore
- DFB-Pokal: 28 Spiele/21 Tore
- Europa League: 20 Sp./5 Tore
- Champions League: 2 Spiele
- Nationalmannschaft: 68 Spiele/15 Tore für Österreich
- Turniere: Europameisterschaftsteilnehmer 2008 und 2016; U20-WM 2007 (4. Platz)
- Erfolge: DFB-Pokalfinalist (2013), Bundesliga-Aufstieg mit Hannover 96 (2018), Niedersachsens Fußballer des Jahres (2017)
- Erfolgreichste Saison: 17 Tore für den VfB Stuttgart (2011/12)