Reinbek. Anwohner werfen der Stadt eine Verhinderungsplanung vor: Bauen dürfen nur die, die es nicht wollen. Anwohner sind verzweifelt.
An der Lohbrügger Straße in Reinbek entsteht gerade ein neuer Carport. Denn die dort verhängte Veränderungssperre ist Ende Mai ausgelaufen. Jan Niewrzella errichtet ihn auf seinem Grundstück, bevor ihn möglicherweise ein neuer Bebauungsplan daran hindern kann. Nach dem strikten B-Plan-Entwurf Nr. 106 hätte der Bauingenieur den Carport nämlich nicht mehr vor seinem Haus, sondern nur daneben bauen dürfen.
Der Bebauungsplan 106 steht auch auf der Tagesordnung der nächsten Planungs- und Bauausschusssitzung am Dienstag, 4. Juli. Niewrzella möchte sich dort zum Thema äußern, allein die Vorlage ist noch immer nicht veröffentlicht. Der Reinbeker ist am Verzweifeln, weil er bisher noch keine Antwort auf seine Einwände erhalten hat, der Entwurf sei eine „Farce“ und eine „Verhinderungsplanung“. Nach seinen Informationen ist der Entwurf juristisch nicht haltbar und darf nicht so beschlossen werden, wie er bis März ausgelegt worden war.
Reinbek: Entwurf fällt aus rechtlichen Gründen durch
Bauamtsleiter Sven Noetzel bestätigt dies: „Die Vorlage mit dem jüngsten Beschlussvorschlag wird nicht mehr veröffentlicht werden, weil er aus rechtlichen Gründen so nicht zustimmungsfähig ist.“ Das habe die Beratung durch eine Fachkanzlei ergeben. Dies liege jedoch nicht an den Einwänden Niewrzellas in 13 Punkten, sondern an denen eines betroffenen Eigentümers, der ebenfalls eine Fachkanzlei eingeschaltet habe.
Die Rechtslage ist komplex: Der Betroffene habe nicht nur angeführt, dass das öffentliche Interesse am Schutz einer Grünfläche auf dem Eckgrundstück, das er bebauen möchte, wegen der Nähe zu einem Waldstück kein großes Gewicht habe, sowie dass der Bebauungsplanentwurf im Widerspruch zu dem Nachverdichtungsziel stehe, sondern auch ein besonders schutzwürdiges wirtschaftliches Eigeninteresse. Zudem sei der Eigentümer so solvent, dass er seine Rechte ohne Weiteres durchfechten könne.
Neuer B-Plan würde Projekt verhindern – trotz positiver Voranfrage
Denn Niewrzellas Nachbar wurde daran gehindert, sein Bauprojekt zu realisieren. Nach Paragraf 34 im Baugesetzbuch, der greift, wenn es keinen Bebauungsplan gibt, hätten sich seine geplanten Gebäude nur in die Umgebung einfügen müssen. Eine Bauvoranfrage für zwei Einfamilienhäuser hatte die Verwaltung bereits positiv beschieden.
Träte der B-Plan 106 in Kraft, hätte der Eigentümer das Nachsehen – nicht nur, weil auf dem Grundstück dann nicht mehr gebaut werden dürfte, sondern auch, weil die Stadt Reinbek ihn nicht angemessen entschädigen könnte. Denn als Berechnungsgrundlage für diese Entschädigung diene in der Regel eine Vertrauenszeit von sieben Jahren, nachdem der vorige Bebauungsplan in Kraft getreten war, während der kein neuer gefasst werden sollte. Doch an der Lohbrügger Straße gab es bisher eben noch keinen B-Plan, und somit gibt es auch keine Kalkulationsbasis.
„Das gesamte Bebauungsplanverfahren ist eine Farce.“
16 Häuser umfasst der neue Bebauungsplanentwurf 106 gerade einmal, er soll im nördlichen Bereich der Lohbrügger Straße, auch als Grünes Tor Reinbeks bekannt, auf etwa zwei Hektar eine „maßvolle Nachverdichtung“ ermöglichen. Bedingung: Sowohl der Charakter der Siedlung als auch einige alte Eichen sollen erhalten bleiben. Der neue B-Plan stellt außerdem eine Grünfläche an der Ecke Hamburger Straße/Lohbrügger Straße unter Schutz.
„Das Ziel der Nachverdichtung war nur ein Vorwand, um Bebauung auf anderen Grundstücken zu verhindern. Es gibt lediglich zwei kleine neue Baufenster bei Eigentümern, die sowieso nicht auf ihren Grundstücken bauen wollen. Das ganze Bebauungsplanverfahren ist eine Farce“, hat Niewrzella bereits 2022 die Regulierungswut der Politik moniert. „Die Kosten für den Steuerzahler sind unverhältnismäßig.“
Ergebnisse eines aufwendigen B-Planverfahrens: zwei Baufenster mehr
Nachdem sich 2019 Proteste gegen das Vorhaben – die zwei Einzelhäuser – geregt hatten, beantragte die FDP im Herbst für den Norden der Straße eine Veränderungssperre und die Aufstellung eines Bebauungsplans. Schon im Februar 2020 allerdings mussten die Ziele dieses Entwurfs „wegen rechtlicher Schwierigkeiten“ neu formuliert werden. Die Veränderungssperre wurde vergangenes Jahr noch einmal bis Ende Mai 2023 verlängert. Der Entwurf für den B-Plan lag bis 3. März öffentlich aus.
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Auf die 13 Fragen Jan Niewrzellas habe er bisher nicht antworten können, sagt Sven Noetzel: „Denn wir mussten zuerst den neuen Mitgliedern des neuen Bauausschusses die komplexe Problematik und Historie auseinandersetzen.“ Es sei gut möglich, dass das Thema am Dienstag von der Tagesordnung abgesetzt werde. „Denn die Politiker müssen sich nun entscheiden, ob sie das Verfahren für diesen Bebauungsplan weiterführen und dabei eine Bebauung auf dem Grüngelände doch zulassen wollen, oder ob sie den B-Plan 106 ad acta legen wollen“, erklärt der Bauamtsleiter. Dafür gebe es aber keine Fristen, da die Veränderungssperre ohnehin abgelaufen sei.
Menschen in Hinschendorf haben gegen die Veränderungssperren protestiert
Bauingenieur Jan Niewrzella sagt: „Durch die Auflagen des neuen B-Plans würden wir benachteiligt, und sie sind auch nicht durchdacht.“ Sein Haus und die Häuser seiner Nachbarn würden durch den Bebauungsplan an Wert verlieren.
Die Kosten, die die Arbeit an dem Bebauungsplan bislang verschlungen hat, seien nicht so einfach zu beziffern, sagt Sven Noetzel. Er schätzt sie auf etwa 150.000 Euro, möglicherweise seien noch Beratungshonorare eines Anwalts hinzugekommen. Aktuell gelten in der Stadt Reinbek noch vier weitere Veränderungssperren. Denn für sechs andere Stadtteile werden derzeit neue Bebauungspläne aufgestellt. Für die beiden B-Pläne des Stadtteils Hinschendorf hingegen haben die Stadtverordneten die Sperren nicht mehr verlängert – Anwohner hatten dort dagegen protestiert.