Reinbek. Die Inflation frisst kleine Renten auf. Die Politik will deshalb Angebote für Arme schaffen. Wer besonders betroffen ist.

An diesem Freitagmittag wird die Traube der Menschen, die für kostenlose Lebensmittel beim Reinbeker Kirchentisch anstehen, wieder groß sein. Wöchentlich kommen zur Freitagsausgabe der Tafel bis zu 60 Reinbeker an die Nathan-Söderblom-Kirche in Reinbek-West. „Darunter sind vor allem Familien und alleinstehende Seniorinnen“, sagt Simone Seffert, Koordinatorin des Kirchentischs.

Menschen, deren Einkommen zu gering ist, dürfen sich Nudeln, Brot, Äpfel oder Bananen abholen – je nach dem, was Reinbeker Supermärkte und Bäcker spenden. Dafür können sie sich beim Reinbeker Kirchentisch, einer von zwei Außenstellen der Bergedorfer Tafel in Reinbek, registrieren.

Kurzzeitig stieg die Zahl der Tafelbesucher im April auf mehr als 100 Personen an. Flüchtlinge aus der Ukraine waren dazugekommen. Das Problem aber war, dass die gespendeten Lebensmittel nicht mehr geworden waren, Begehrlichkeiten geweckt wurden. „Hätten wir nicht sofort reagiert und die Extraausgabe nur für Ukrainer eingerichtet, hätten wir wohl schließen müssen“, sagt Seffert. Die Bergedorfer Tafel hat das nicht getan und musste deswegen an ihrem Hauptstandort in Bergedorf nun einen Aufnahmestopp verhängen.

Zweiter Armutsbericht erscheint noch in diesem Jahr

„Die Bedürftigkeit ist da und steigt angesichts der hohen Inflation weiter“, sagt Gerd Prüfer (SPD). Der Sozialpolitiker und Vorsitzende des Sozialausschusses weiß, dass das Geld auch in Reinbek ungleich verteilt ist. Ein Drittel aller Reinbeker – darunter auch Familien – muss mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 25.000 Euro im Jahr auskommen. Sie gelten laut Definition als arm. „Ich konnte mir das hier im Hamburger Speckgürtel anfangs nicht vorstellen“, gibt Prüfer offen zu. Das aber geht aus dem vielzitierten Armutsbericht der Stadt aus dem Jahr 2020 hervor.

Der Bericht soll in diesem Jahr aktualisiert werden. „Ich gehe davon aus, dass sich die Situation nicht grundlegend verändert hat. Im Gegenteil, die Zahl der Bedürftigen ist gestiegen“, sagt Torsten Christ, Amtsleiter für Bürgerangelegenheiten. Die Zahlen belegen seine Vermutung: Seit 2008 ist nicht nur die Zahl der Asylsuchenden, die Sozialhilfe erhalten, um knapp 250 Prozent auf aktuell 298 Personen angestiegen. Auch die Zahl der Rentner, die vom Staat einen Zuschuss zu ihrer kleinen Rente erhalten, stieg seit 2008 um sieben Prozent auf aktuell 223 Senioren.

Wer schon bisher wenig Geld hatte, der muss jetzt hungern

„Bei wem vorher das Geld knapp war und gerade so für Miete und Essen reichte, der wird jetzt wohl hungern“, sagt Gerd Prüfer. Das aber wollen die Politiker in jedem Fall verhindern und unterstützen die Idee der Fraktion Forum 21, einen kostenlosen Mittagstisch für Senioren einzurichten, „um die Altersarmut zu mindern“, heißt es in dem Antrag. „Um möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen, sollte die Essensausgabe mindestens dreimal wöchentlich stattfinden, niedrigschwellig und gut erreichbar sein. Die Ausgabe sollte in unterschiedlichen Einrichtungen wie im Rickertsen-Haus oder in der Begegnungsstätte Neuschönningstedt unterbreitet werden“, heißt es weiter.

Auch die Idee eines mobilen Ausgabefahrzeugs steht im Raum. Von allen Fraktionen wird der Vorschlag begrüßt. Auch der Seniorenbeirat unterstützt das Vorhaben: „Zumal die Preissteigerungen bei Lebensmitteln derzeit enorm sind“, sagt Heinz-Dieter Weigert, Vorsitzender des Seniorenbeirats. Die Zubereitung und die Ausgabe des Essens müssten aber öffentliche Träger übernehmen. Das könne der Seniorenbeirat nicht leisten, zumal es in den Begegnungsstätten keine Kochgelegenheiten gibt. Dass der Mittagstisch Zulauf haben wird, davon ist Weigert überzeugt. „Zu unserem monatlichen Seniorenfrühstück kommen regelmäßig bis zu 120 Leute. Darunter sind viele, die sich auf ein reichhaltiges Frühstück für einen geringen Preis freuen“, sagt Weigert. Nach pandemiebedingter Pause startet das Frühstück wieder im August. „Allerdings werden auch wir den Teilnahmebeitrag von zwei auf drei Euro erhöhen müssen“, kündigt Weigert an.

Erfolgreiche Suppenküche in der Kirchengemeinde Reinbek-West

Beim Seniorenfrühstück geht es nicht nur ums Sattwerden, sondern auch um den Austausch. Wie wichtig der ist, weiß Simone Seffert vom wöchentlichen Suppenküchenangebot der Kirchgemeinde West. Jeden Donnerstag schnippeln hier sieben Frauen und Männer im Rentenalter für andere Gemüse und kochen daraus eine leckere Suppe. Rund 60 Teller werden wöchentlich gefüllt. „99 Prozent der Anwesenden sind Senioren und seit Jahren dabei“, sagt Seffert. Die Hälfte davon ist bedürftig. Bedürftigkeit aber steht nicht im Vordergrund, sondern „die Begegnung auf Augenhöhe“. Das Konzept hat sich bewährt und feiert im kommenden Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Aktuell werden weitere fleißige Helfer gesucht.

Ob der geplante kostenfreie Mittagstisch für die Senioren auch so einen Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Zuerst müssen die Fragen geklärt werden, wer das Essen kocht, wo es ausgegeben werden kann, wie viele Kosten auf die Stadt zukommen und wer überhaupt am Tisch Platz nehmen darf.

SPD-Mann Gerd Prüfer kann sich vorstellen, das Angebot auch auf jüngere Reinbeker auszuweiten. Er sagt dazu: „Wir dürfen nicht nur diejenigen im Blick haben, die Transferleistungen erhalten, sondern auch diejenigen, die mit vielleicht fünf Euro an der Leistungsgrenze vorbeischrammen und trotzdem kaum etwas in der Tasche haben.“