Reinbek. Die Bürger-Stiftung Stormarn fördert ein Schulprojekt, bei dem Betroffene aus eigener Erfahrung berichten.
Sie haben jahrzehntelang geschwiegen, still gelitten und waren mehr als einmal ihres Lebens müde. Doch mittlerweile sprechen sie ganz offen über das, was ihnen auf der Seele liegt. Sylvia Stabrey, Birgitt Kellinghusen und Maximilian Schöler, alle im Kreis Stormarn zu Hause, gehören zu den mehr als fünf Millionen Menschen bundesweit, die Depressionen haben.
Mit ihrer Offenheit befreien sie nicht nur sich selbst aus der mit der Erkrankung oft einhergehenden Isolation – sie helfen auch anderen. Als sogenannte „Persönliche Experten“ sind sie das Herzstück des Projekts „Verrückt? Na und!“, mit dem die Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit (SVS) mit Sitz in Reinbek Aufklärungsarbeit leistet. Und das vor allem dort, wo das Thema Depression immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit findet: in der Schule.
Das Thema wird noch zu häufig totgeschwiegen
Larissa Wende, Sozialpädagogin in der SVS, betreut neben anderen Beratungsangeboten das außergewöhnliche Präventionsprojekt für Jugendliche ab 14 Jahren. „Wir gestalten jeweils sechs Schulstunden zum Thema psychische Gesundheit“, sagt sie. In Gesprächsrunden, Rollenspielen und Gruppenarbeiten erfahren die Schülerinnen und Schüler unter anderem Grundlegendes über Ess- und Angststörungen, Suchtverhalten und Psychosen.
„Unsere offene und eher spielerische Art der Aufklärung nimmt den Jugendlichen die Scheu, über seelische Erkrankungen zu sprechen. Ein Thema, das leider noch viel zu häufig totgeschwiegen wird“, sagt Larissa Wende. „Wie oft habe ich mir als junger Mensch gewünscht, mit jemandem reden zu können. Jemanden kennenzulernen, dem es genauso geht wie mir“, sagt Birgitt Kellinghusen, die das Projekt der SVS seit 2020 als Betroffene mitgestaltet.
Betroffene erzählen ihre Geschichte in Schulklassen
Gemeinsam mit einem pädagogisch geschulten Experten besucht sie dafür Schulklassen, erzählt ihre Lebensgeschichte, steht geduldig Rede und Antwort. Die heute 69-Jährige war ein sehr sensibles Kind. Sie wächst mit vier Geschwistern auf, läuft als Zweitjüngste „so nebenher mit“. Die kriegstraumatisierten Eltern bemerken nicht, wie unglücklich ihre Tochter ist, wie sehr sie sich nach Aufmerksamkeit sehnt.
„Ich war überzeugt davon, dass meine Mutter mich nicht liebt“, sagt Birgitt Kellinghusen. Aus dem Gefühl wächst eine starke Unruhe, sie kann sich nur schlecht konzentrieren, spricht kaum noch. „Als ich elf war, wollte ich nicht mehr leben“, erinnert sie sich. Der tiefe Schmerz von damals ist der grauhaarigen Frau immer noch anzusehen. Die Suche nach Liebe und Aufmerksamkeit begleitet sie durch ihr Leben.
Engagement im Schulprojekt gibt Kraft
„Doch auch in Partnerschaften fand ich keine Sicherheit“, erinnert sie sich. Sie gerät an die Falschen, stürzt sich von einer unglücklichen Beziehung in die nächste. „In mir war eine Schwere, die ich versucht habe, wegzudrücken“, sagt Birgitt Kellinghusen, die trotz der inneren Last nach außen hin „immer funktioniert“ hat. Erst in einer Therapie lernt sie, mit den Gefühlen umzugehen.
Die Diagnose „Mittelschwere Depression“ ist fast eine Erleichterung. „Ich habe erfahren, dass es Möglichkeiten gibt, die mir helfen. Und, dass ich nicht alleine bin.“ Das sei ein großer Schritt in Richtung Heilung. Das Engagement beim Schulprojekt der Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit gibt ihr auf ihrem Weg zusätzliche Kraft.
Der Tod schien als einziger Ausweg aus dem Leid
So geht es auch ihren ehrenamtlichen Kollegen Sylvia Stabrey und Maximilian Schöler. Beide sind an Depression erkrankt, Schöler leidet außerdem unter Magersucht. An seine Schulzeit erinnert sich der 27-Jährige noch genau. Er sagt: „Manche Lehrer forderten mich auf, nicht immer so traurig zu gucken. Und das war’s dann auch.“ Sie geben ihm schlechte mündliche Noten, weil er im Unterricht passiv ist, sich immer mehr isoliert. „Das habe ich als Bestrafung empfunden“, sagt Maximilian Schöler, der dadurch noch unsicherer und hoffnungsloser wird.
Als er aus eigenem Antrieb an einem Präventionsprojekt der Schule zum Thema Essstörung teilnehmen will, darf er das nicht. Das sei nur etwas für Mädchen. „Jungs haben so etwas nicht“, lautete die Begründung. Zu dieser Zeit erscheint ihm der Tod als einziger Ausweg aus seinem Leid.
Schüler sehen an den Beispielen, dass es einen Ausweg gibt
Doch heute, nach intensiver stationärer und ambulanter Therapiearbeit, ist er sogar in der Lage, anderen Betroffenen Hoffnung zu schenken. Er will leben und helfen, geht deshalb in die Schulen, spricht von seiner Erfahrung. Schöler: „Ich spüre die Erleichterung mancher Schüler, wenn sie an meinem Beispiel sehen, dass es einen Ausweg aus diesem schlimmen Zustand gibt.“
Wie Maximilian Schöler spürt auch Sylvia Stabrey die positive Wirkung des besonderen Schulprojekts. Und das unmittelbar. „Einmal kam nach der Stunde ein Mädchen zu mir und hat sich bedankt, dass ich das alles erzählt habe.“ Das sei für sie der schönste Lohn, denn die 66-Jährige habe in ihrem Leben viel zu lange nicht über ihre wahren Gefühle geredet. Und die sind bei einer sogenannten Bipolaren Störung, die bei ihr diagnostiziert wurde, oft sehr extrem. „Andere haben einen Herzfehler, ich hab halt das“, sagt Sylvia Stabrey.
Am Ende gibt es eine Notfallbox mit nützlichen Informationen
Doch der Weg, die psychische Störung als Krankheit zu akzeptieren, war lang. „Ich gehöre doch nicht zu den Bekloppten“, sagte sie zu einer Ärztin, die sie nach einer akuten depressiven Episode in eine Klinik einweisen wollte. Sie kenne das Verleugnen und Verdrängen nur zu gut – auch diesen Erfahrungsschatz könne sie in das Präventionsprojekt einbringen. „Die persönlichen Erfahrungsberichte bringen den Jugendlichen die Thematik besonders nahe und führen zu einem regen Austausch“, sagt Projektleiterin Larissa Wende und hebt damit einen der vielen Vorteile dieser Art von Aufklärung im Bereich psychischer Erkrankungen hervor. „Es werden Lösungswege aufgezeigt und ein großer Beitrag zur Reduktion von Stigmatisierung geleistet.“
Auch nach dem sechsstündigen Programm steht das Projektteam den Schülern und Lehrkräften als Ansprechpartner zur Verfügung. Sie können weitere Fragen stellen, bekommen Wegweiser für Hilfsangebote und eine kleine, liebevoll gestaltete Notfallbox mit nützlichen Informationen an die Hand.
Dank Unterstützung der Stiftung ist das Projekt kostenfrei
Dank finanzieller Förderung durch die Eheleute-Schmöger-Stiftung, die unter dem Dach der Bürger-Stiftung Stormarn ihr Zuhause hat, können Stormarner Schulen das Projekt „Verrückt? Na und!“ kostenfrei nutzen. Beteiligen können sich Klassen ab der achten Stufe sowie Berufsschulen. Wer einen Schultag buchen möchte, wendet sich direkt an die Regionalgruppe im Beratungszentrum der Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit.
Die Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit (www.svs-stormarn.de) hat ihren Sietz in der Scholtzstraße 13 b in Reinbek. Sozialpädagogin Larissa Wende ist telefonisch unter 040 /72 73 84 50 und per E-Mail unter bz@svs-stormarn.de erreichbar
+++ Hier können Sie helfen +++
Wollen Sie die Bürger-Stiftung Stormarn, unter deren Dach die Eheleute-Schmöger-Stiftung angesiedelt ist, finanziell und/oder aktiv ehrenamtlich unterstützen? Telefonisch erreichen Sie das Stiftungsbüro unter der Telefonnummer 04537/707 00 13. Ansprechpartner sind Jörg Schepers (per E-Mail jsche@buerger-
stiftung-stormarn.de), Susanne Dox und Geschäftsführer Jörg Schumacher.
Auf der Internetseite www.buerger-stiftung-stormarn.de finden sich weitere Details zur Eheleute-Schmöger-Stiftung und anderen bereits bestehenden regionalen Bürgerstiftungen und Stiftungsfonds.