Hamburg. Die Schauspielerin will anderen Betroffenen Mut machen und Hilfsangebote wie die der Eheleute-Schmöger-Stiftung unterstützen.
Eva Habermann hat in ihrem Leben viele Rollen gespielt. Seit 28 Jahren ist die gebürtige Hamburgerin in Vorabendserien, Krimis und romantischen Romanverfilmungen gern gesehen. Jetzt, mit 45 Jahren, ist Eva Habermann Chefin einer eigenen Filmproduktionsfirma in ihrer Wahlheimat Berlin. Und sie schlüpft nach wie vor gern in unterschiedliche Rollen. Aber nur noch vor der Kamera.
Jahrzehntelang musste die Künstlerin eine Fassade aufrechterhalten. Sogar ihr damaliger Agent riet ihr „aus Karrieregründen“ davon ab, zu der Krankheit zu stehen, die die Künstlerin begleitet. Damit soll jetzt Schluss sein. „Ich habe Depressionen“, sagt Habermann. Sie spricht nun offen über das, was noch immer als Tabuthema gilt. Dabei ist die psychische Erkrankung alles andere als eine Randerscheinung: Pro Jahr sind bundesweit mehr als fünf Millionen Menschen betroffen.
Hohe Dunkelziffer
Hinter den offiziellen Zahlen verbirgt sich jedoch eine weit höhere Dunkelziffer. „In unserer Gesellschaft werden Depressive immer noch viel zu häufig für emotionale Schwächlinge gehalten, die sich einfach mal zusammenreißen sollten“, sagt Eva Habermann. Meinungen wie diese ziehen die Betroffenen nur noch tiefer in den Strudel der Depression. Die
Folge: Der Erkrankte schämt sich für seinen Zustand, überspielt ihn, isoliert sich. Diese Menschen tauchen in keiner Statistik auf. Mit dem Erzählen ihrer ganz persönlichen Geschichte will Eva Habermann Aufmerksamkeit wecken und Mut machen. „Das Schlimmste ist das Schweigen. Der ständige Kampf im Kopf, dem man alleine nicht entfliehen kann. Nicht ohne Hilfe.“
Jedes Jahr verlieren rund 6000 an Depression erkrankte Menschen diesen Kampf. Sie nehmen sich das Leben. Bei jungen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren ist Suizid die zweithäufigste Todesursache.
Eva Habermann verdrängt das dumpfe Gefühl mit Arbeit
Die Corona-Pandemie verschärft die Situation. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe berichtet fast die Hälfte der Menschen mit diagnostizierter Depression von einer Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs innerhalb der vergangenen Monate. Bettina Rohwer, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus in Bargfeld-Stegen (Kreis Stormarn), bestätigt einen spürbaren Anstieg an Nachfragen.
Sie sagt: „Wir beobachten, dass unter anderem alleinstehende Berufstätige durch Maßnahmen wie Homeoffice völlig aus ihrem Takt geraten. Es fehlen die sozialen Kontakte, die quasi als Beziehungsersatz fungieren. Plötzlich sind viele ganz auf sich reduziert.“ Wer damit nicht umgehen könne, gerate bisweilen in eine seelische Schieflage. „Der Mensch ist als Rudeltier angelegt“, so Oberärztin Rohwer weiter. „Wer unfreiwillig alleine ist, empfindet große Einsamkeit. Und das ist ein sehr schmerzliches Gefühl.“
Die Depression hat viele Gesichter
Doch die Depression hat viele Gesichter. Schauspielerin Eva Habermann war bei ihrer ersten depressiven Erfahrung nicht einsam. Im Gegenteil. Sie war gut im Geschäft, bekam ein Rollenangebot nach dem anderen. Alles lief nach Plan. Doch zwischen den Dreharbeiten versinkt die damals Anfang-20-Jährige immer wieder in ein tiefes Loch. „Da war ein lähmendes Angstgefühl in mir“, so Habermann. „Überall schienen Gefahren zu lauern, vor denen ich mich in Acht nehmen musste. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los ist. Schließlich hatte ich doch endlich meinen Traumjob, in dem ich auch noch erfolgreich war. Trotzdem sah ich immer öfter keinen Sinn mehr in meinem Leben.“
Eva Habermann verdrängt das dumpfe Gefühl. Arbeitet mehr als jemals zuvor. Vor allem will sie sich nicht anmerken lassen, wie viele Kämpfe sie in ihrem Inneren austrägt. Ihr ehrgeiziges Naturell sei ihr einziger Antrieb in dieser Zeit gewesen, sagt sie. „Alles, was mit Bauch und Herz zu tun hatte, hab ich einfach weggeschoben. Ich sollte Leistung bringen, also brachte ich Leistung.“
So unterstützen Sie:
- Wollen Sie die Bürger-Stiftung Stormarn, unter deren Dach die Eheleute-Schmöger-Stiftung ihr Zuhause hat, finanziell und/oder aktiv ehrenamtlich unterstützen? Telefonisch erreichen Sie das Stiftungsbüro in der Hagenstraße 19 in Bad Oldesloe unter 045 37 / 707 00 13.
- Ansprechpartner sind Jörg Schepers, Susanne Dox und Geschäftsführer Jörg Schumacher, den Sie auch per E-Mail erreichen: js@buerger-stiftung-stormarn.de
- Auf der Seite www.buerger-stiftung-stormarn.de finden sich Details zur Schmöger-Stiftung und anderen regionalen Bürgerstiftungen und Stiftungsfonds.
Mit Ende 30 funktioniert das Verdrängen nicht mehr, jede Ablenkung ist vergeblich. Der Auslöser: die Trennung von ihrem damaligen Freund. „Plötzlich kamen alle verdrängten Gefühle wieder hoch.“ Gleichzeitig sei sie übermannt worden von einer fürchterlichen Leere. „Es ging nichts mehr.“ Als die junge Frau merkt, dass sie immer häufiger zum Weinglas greift, „um besser drauf zu sein“, entscheidet sie sich zu einem großen, für sie einzig richtigen Schritt: Sie weist sich selbst in eine psychosomatische Klinik ein.
„Sich professionelle Hilfe zu suchen, ist für depressiv Erkrankte ein Kraftakt, der unheimlich viel Mut erfordert“, weiß Psychiaterin Bettina Rohwer. „Leider entscheiden sich viele Menschen erst für eine Behandlung, wenn der Leidensdruck das Höchstmaß erreicht hat.“ Durchschnittlich vergehen elf Monate, bevor Menschen mit Depression einen Arzt aufsuchen.
Klassisches Symptom
„Die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ist ein klassisches Symptom“, sagt Rohwer weiter. Es entstehe ein Teufelskreis. „Außerdem ist vielen nicht klar, was eigentlich mit ihnen los ist. Wer sich ausgelaugt und überfordert fühlt, zieht sich erst einmal zurück. Andere verdrängen die unguten Gefühle, versuchen sich abzulenken.“
Oder sie greifen, wie Eva Habermann, zum Betäuber Alkohol. Dabei sei eine Depression gerade in ihrer Anfangsphase am besten behandelbar, sagt die Fachärztin. „Hier hilft vor allem Aufklärung. Nur wer weiß, mit welchen Symptomen eine Depression einhergeht, erkennt sie rechtzeitig genug, um Hilfe aufzusuchen.“ Das gelte auch für Angehörige und andere nahestehende Menschen.
Genau hier setzt die Arbeit der Eheleute-Schmöger-Stiftung an. Gegründet unter dem Dach der Bürger-Stiftung Stormarn, widmet sie sich seit Jahren ausschließlich dem Thema Depression und der Aufklärung darüber. Öffentliche Expertenrunden, leicht zugängliche Hilfs- und Informationsangebote und die finanzielle Unterstützung von Projekten sollen vor allem eines vermitteln: Depression ist weder eine Charakterschwäche noch unentrinnbares Schicksal.
Mögliche Hemmschwellen niedrig halten
Ernst-Jürgen Gehrke, Vorstandsvorsitzender der Stiftung, sagt: „Bei allen Angeboten achten wir darauf, mögliche Hemmschwellen besonders niedrig zu halten. Dazu binden wir neben fachlichen Experten auch immer wieder Betroffene als Ansprechpartner für Hilfesuchende mit ein.“ Sein Vorstandskollege Ralph Klingel-Domdey ergänzt: „Eva Habermann gebührt großer Dank für ihren offenen Umgang mit dem Thema und die Unterstützung unserer Arbeit. Die aktuellen Zahlen und die hohe Suizidrate bei Betroffenen sind erschreckend. Je mehr Menschen wir erreichen, desto stärker können wir Stigmata entgegenwirken.“
Patrizia Pettke aus Ahrensburg unterstützt die Stiftungsarbeit, indem sie ihre eigene Depressionserfahrung mit einbringt. Dank intensiver Therapie und Arbeit an sich selbst leitet die engagierte 51-Jährige mittlerweile eine Selbsthilfegruppe. Hierüber entstand der erste Kontakt zur Eheleute-Schmöger-Stiftung, die ihr derzeit eine Ausbildung zur sogenannten Genesungsbegleiterin finanziert.
Genesungsbegleiter sind eine Art Hoffnungsträger
Ab Anfang nächsten Jahres wird Patrizia Pettke dann - im Auftrag und weiterhin bezahlt von der Stiftung - Menschen mit Depression und deren Angehörigen zur Seite stehen. Anlaufstelle ist das Peter-Rantzau-Haus in Ahrensburg. Neben Beratungs- und Gesprächsangeboten schließt die Hilfe auch die Begleitung zu wichtigen Terminen ein.
„Als selbst Betroffene kann ich mich ganz anders in die Menschen hineinfühlen als die Ärzte und Therapeuten“, sagt Patrizia Pettke. Sie könne und wolle die professionelle Hilfe natürlich nicht ersetzen, rate im Notfall immer zum Besuch eines Experten. „Genesungsbegleiter sind eher eine Art Hoffnungsträger. Wenn wir es geschafft haben, aus diesen unerträglichen Tiefen herauszukommen, können es andere auch schaffen. Und manchmal reicht diese Aussicht schon, um wieder auf die Füße zu kommen.“
Seit drei Jahren ist Eva Habermann symptomfrei
„Eine wirklich großartige Arbeit“, sagt Eva Habermann über das Engagement der Schmöger-Stiftung, um die sich Ahrensburgs ehemalige Bürgermeisterin und stellvertretende Stiftungsratsvorsitzende, Ursula Pepper, intensiv kümmert. Deswegen will die Schauspielerin sich umfassend über die Projekte informieren und eventuell einen Teil des Erlöses ihres selbst produzierten Films „Die wahre Schönheit“ der Stormarner Stiftung zukommen lassen.
In dem Film spielt Habermann eine Frau, die immer tiefer in ihr psychisches Leiden abrutscht, sich mit Tabletten und Alkohol selbst zu therapieren versucht. Im wahren Leben hat Eva Habermann den Absprung geschafft. Dank Therapie und der zeitweisen Unterstützung von Antidepressiva. „Psychosomatische Kliniken sind keine Irrenanstalten und die Tabletten keine abhängig machenden Psychopillen“, sagt sie zu den Vorurteilen, die nach wie vor kursieren. Jemandem, der Diabetes hat, werfe schließlich auch niemand vor, dass er sich helfen lässt und Medikamente einnimmt.
Seit drei Jahren ist Eva Habermann symptomfrei. „Aber mir ist sehr bewusst, dass die Depression immer ein Teil von mir sein wird“, sagt sie. Daher habe sie gelernt, sich in erster Linie um sich selbst zu kümmern und ihren Bedürfnissen mehr Raum zu geben. „Das klingt vielleicht egoistisch. Doch nur, wenn es mir selbst gut geht, kann ich auch für andere da sein.“ Sie wünsche sich, dass ihre Offenheit ein weiterer Schritt ist, die Krankheit aus der „dunklen Ecke herauszuholen“ und Betroffenen Mut zu machen. „Es kann besser werden!“
Hier finden Sie Hilfe:
- Info-Telefon Depression: Tel. 0800/334 45 33
Das bundesweite Info-Telefon weist Betroffenen und Angehörigen den Weg zu Anlaufstellen im Versorgungssystem. Mo, Di und Do: 13 bis 17.00 Uhr, Mittwoch und Freitag: 8.30 bis 12.30 Uhr - Telefon-Seelsorge
Tel. 0800/111 01 11 und 111 02 22, rund um die Uhr erreichbar. - Online-Seelsorge über www.telefonseelsorge.de
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression: www.deutsche-depressionshilfe.de
- FIDEO (Fighting depression online) bietet Informationen für Betroffene, Familien und Pädagogen. Mit moderiertem Selbsthilfe-Forum: www.fideo.de
- Informationen über Depression und Suizid bei jungen Menschen und jungen Erwachsenen des Vereins Freunde fürs Leben. Mit eigenem Videokanal: www.frnd.de
- Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen in Hamburg über www.kiss-hh.de. Selbsthilfe-Telefon: 040/39 57 67, Montag bis Donnerstag, 10 bis 18 Uhr
- Für alle Angebote gilt: Sie sind kein Ersatz für eine Behandlung durch einen Experten. In akuten Krisen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt, die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.