Wentorf. Die Begegnung mit Tieren auf dem Hof der Lerntiere in Wentorf ist für Menschen mit Handicap ein Höhepunkt ihres Alltags.

Auf die Frage, wie es heute so gehe, erhält Sonja Mulde, Betreuerin im Wohnzentrum Hansa Poburski am Stöckenhoop, so manches Mal eine karge aber doch eindeutige Antwort: „Charly!“ wurde ihr dann lächelnd entgegengehaucht. Denn Charly, ein fuchsfarbenes Mini-Shetlandpony ist der Star unter den knapp 50 Bewohnern des Zuhauses für behinderte Menschen. Jetzt kam der kleine, zutrauliche Wallach sogar zu Besuch an die Eingangstür des Wohnzentrums Hansa – und alle Herzen flogen ihm geradezu entgegen.

Mit leuchtenden Augen und strahlendem Lächeln recken Bewohnerinnen und Bewohner ihm sonst verkrampfte Hände entgegen, um sein weiches Fell zu streicheln, ihre Finger öffnen sich, um ihm Leckerli anzubieten. Vorsichtig mit weichen Lippen nimmt er sie entgegen und mampft sie zufrieden auf. Der 20-jährige Charly scheint ein Naturtalent im Umgang mit diesen Menschen zu sein. Als Pony wirkt er zudem nicht so respekteinflößend wie ein Pferd.

Erfolgreich werden Tiere als Therapeuten eingesetzt

Sein Speichel, der auf Nadja Schröters Hand tropft, lässt sie laut quietschend auflachen. „Sabber macht glücklich“, stellt Verena Neuse lächelnd fest. Denn Charlie gehört mit zum Personal der „Lerntiere“ auf ihrem Hof an der Lohe.

Seit Anfang Juni besucht eine kleine Gruppe der Bewohner am Stöckenhoop etwa zweimal in der Woche Charly und seine vierbeinigen Mitbewohner, Pferde, Esel, Ziegen, Minischweine, Katzen und Hunde. „Diese tiergestützten Begegnungen bringen unseren Bewohnern einen gewaltigen Motivationsschub“, erzählt Sonja Mulde. Als Tierfreundin hilft sie ehrenamtlich auf Verena Neuses Hof mit und ist oft mit ihrer Familie dort.

„Sabber macht glücklich“

Irgendwann, als während der Lockdowns für die Bewohner des Hansazentrums Ausflüge in Zoos und Tierparks unmöglich wurden, kam ihnen die Idee zu den Hofbesuchen an der Lohe. Der ist für einige Bewohnerinnen und Bewohner sogar innerhalb einer halben Stunde zu Fuß zu erreichen. Andere werden mit dem Kleinbus gebracht. „Vielen Dank, dass sie uns das ermöglichen“, sagt Birgit Poburski, Gründerin des Wohnzentrums Hansa zu Verena Neuse. „Das ist eine echte Bereicherung für uns.“

Neuse entgegnet: „Diese Treffen sind eine Bereicherung für uns alle. Für diese Menschen, um die sich sonst immer alle anderen kümmern, ist es etwas ganz Besonderes, wenn sie sich selbst einmal um ein Lebewesen kümmern können.“ Finanziert werden die Begegnungen tatsächlich durch das private Engagement von Birgit Poburski.

Eigene Tiere sind nicht erlaubt

Jenny Ragotzky, Leiterin der Bewohner-Förderung im Wohnzentrum Hansa, bestätigt Neuses Beobachtungen: „Einer unserer Bewohner, der sich sonst für nichts begeistern lässt, wollte das Pony sofort putzen. Und eigentlich wollte er auch nicht wieder aufhören.“ Die Bewohnerinnen und Bewohner, die die unterschiedlichsten körperlichen und geistigen, teilweise auch mehrfache Einschränkungen haben, können im Wohnzentrum Hansa Poburski die größtmögliche Eigenständigkeit erlangen. Etwa die Hälfte der Menschen, die in der Einrichtung zu Hause sind, ist erwerbstätig.

Nadja Schröter ist glücklich, als sie Charly zum Transporter führt.
Nadja Schröter ist glücklich, als sie Charly zum Transporter führt. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Eigene Tiere sind in dem Zuhause für Behinderte allerdings nicht erlaubt, da viele Bewohner Allergien haben. Doch die Besuche auf dem Hof an der Lohe zeigen: Viele öffnen sich bei den Begegnungen mit den Tieren, sie haben Erfolgserlebnisse, da jemand auf sie und ihre Versuche, Kontakt aufzunehmen und eine Verbindung aufzubauen, reagiert.

Bewohner vermissen die Tiere, die ihnen früher gehörten

Nadja Schröter beispielsweise erzählt, dass sie früher Wellensittiche und einen Hamster hatte. Ihn vermisse sie sehr. Als sie Charlys weiches, warmes Fell unter seiner Mähne streicheln darf, ist sie entzückt: „Ich bin begeistert“, ruft die Rolli-Fahrerin aus. „Ach Charly, Du bis so süß! Am liebsten würde ich ihn mit auf mein Zimmer nehmen.“ Auch Jürgen Robain und Jan Lübbers fahren mit ihren Händen über den Rücken und die Mähne des kleinen Fuchses. Jan Lübbers sagt nicht viel, sondern grinst einfach glücklich.

Bei der Ankunft auf dem Hof setzen sich die Besucherinnen und Besucher vom Stöckenhoop zuerst in einen Kreis und geben ihre Wahrnehmungen wider, die so geschärft werden. Verena Neuse erinnert sich: „Einmal hat ein autistischer Besucher sofort gesagt: ,Walter krank’. Er hatte gespürt, dass eines der Pferde krank ist. Das fand ich beeindruckend, denn andere bemerken das gar nicht.“

Das Pony lässt sich willig die Rampe hinabzuführen

Als das Ende des Pony-Besuchs naht, funkelt es verdächtig in Nadja Schröters Augen. Verena Neuse drückt ihr kurzerhand den Halfterstrick in die Hand und bittet sie, das Pony die Rampe hinabzuführen. Nadja Schröter kann ihre Freude nicht länger unterdrücken und ruft, während sie langsam hinter Charly die Rampe hinunterrollt: „Ist das geil!“ Sie kann es kaum erwarten, ihn auch einmal zu besuchen.

Wer Begegnungen wie diese unterstützen oder auch einmal Charly und seine Kollegen kennenlernen möchte, etwa beim Tierflüsterer Kids Kursus am 19. September für 45 Euro, erfährt mehr unter www.lerntiere.de.