Oststeinbek. Die Vorsitzende des Vereins Afghanistan-Schulen, Marga Flader, versucht, Kontakt nach Afghanistan zu halten.

Seitdem vor drei Wochen die Taliban in Afghanistan die die Macht übernommen haben, versinkt das Land in Chaos. Seitdem schläft Marga Flader, Vorsitzende des Vereins Afghanistan-Schulen mit Sitz in Oststeinbek, schlecht. Die 67 Jahre alte Oststeinbekerin hält täglich engen Kontakt zu Afghanen per E-Mail, Zoom oder Whatsapp. Darunter sind viele Mitarbeiter der Schulen, die der Verein in den vergangenen Jahren gebaut hat. Im Interview mit Redakteurin Undine Gerullis, das sie am Donnerstag per Telefon geführt hat, klingt Marga Flader sehr bedrückt.

Frau Flader, was hören sie aktuell aus Afghanistan?

Nichts Gutes. Die Menschen haben Angst, sind verunsichert und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Das Problem ist, dass es so widersprüchliche Aussagen der Taliban gibt. Niemand vertraut den neuen Herrschern. Heute schrieb mir ein Projektleiter, dass er auf dem Weg zur Bank nur in traurige Gesichter geblickt hat. Ein anderer, den ich diese Woche in einer Videokonferenz wiedergesehen haben, hat in den vergangenen Wochen sieben Kilo abgenommen. Staatliche Gehälter werden seit Juli nicht mehr ausgezahlt, Banken sind geschlossen oder Auszahlungen auf 200 Dollar in der Woche limitiert. Die Menschen kommen schlichtweg nicht an Geld. Es ist das reinste Chaos. Wir versuchen trotzdem irgendwie Mut zu machen. Und wir leisten Nothilfe.

Was machen Sie konkret?

Wir haben in der Region Andkhoi im Nordwesten Afghanistans, eine der ärmsten Regionen des Landes. in der wir seit Beginn tätig sind, 4000 Afghani (rund 40 Euro) Nothilfe an 1544 Schulangestellte ausgezahlt. In diesen Dörfern kommt internationale Hilfe kaum an. Das sind insgesamt 63.000 Euro. Für unseren kleinen Verein ist das eine Menge Geld. Das war eine einmalige Sache, wenn nicht bald neue Spendengelder hinzukommen.

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    Wie konnten Sie das Geld auszahlen bei geschlossenen Banken?

    Das war nicht einfach. Wir haben ein altes System von Händler zu Händler genutzt, mit dem wir früher schon gearbeitet haben. Ich weiß, dass die 40 Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, es gerade für Brot, Mehl und Tee reicht, zumal hinter den Empfängern oft eine Großfamilie steht, die miternährt werden will. Das ohnehin große Heer an Arbeitslosen wird nun noch größer. Ich fürchte eine schlimme Hungersnot. (Die Stimme von Marga Flader bricht ab. Sie macht eine kurze Pause, wischt Tränen weg.) Dabei wollen die Afghanen eigentlich nichts anderes als Normalität, selbst arbeiten und Geld verdienen. Die Kinder wollen zur Schule gehen.

    Die Ausbildung von Mädchen und Frauen ist ein Schwerpunkt ihres Vereins. Sie haben drei Ausbildungszentren gebaut, in denen Frauen lesen, schreiben und nähen lernen, um ein selbstständiges Leben führen zu können. Jetzt sind die Zentren geschlossen, Lehrerinnen dürfen derzeit nicht arbeiten. War die ganze Arbeit umsonst?

    Nein, das war sie nicht. Es ist zwar gerade ein herber Rückschlag. Aber was einmal in den Köpfen der Mädchen und Jungen drin ist das bleibt auch drin, das ändert die Taliban auch mit ihrem strengen Regime nicht. Da ist eine neue gut ausgebildete Generation an Frauen herangewachsen, die sich nicht einfach wieder in alte Rollen zurückdrängen lassen. Für die Lehrerinnen, die gerade nicht unterrichten dürfen, ist die Situation sehr frustrierend. Schülerinnen und Lehrerinnen halten aber zusammen und treffen sich in kleinen Gruppen privat. Wir hoffen jetzt einfach alle, dass die Schulen für die oberen Klassen von Klasse sieben bis zwölf und die Ausbildungszentren wieder öffnen, so etwas wie Normalität zurückkehrt und wir weiter beim Aufbau neuer Schulen und der Professionalisierung der Ausbildungen behilflich sein können. In den vergangenen 20 Jahren haben wir so viel erreicht, allein in der Region Andkhoi haben wir die Zahl der Schulen von anfangs 20 Schulen auf heute 73 mehr als verdreifacht. Übrigens wurden auch vorher Jungen und Mädchen getrennt voneinander unterrichtet – in getrennten Gebäuden oder die einen am Vormittag und die anderen am Nachmittag.

    Sie waren schon oft in Afghanistan, kennen die Menschen gut, haben Freunde gewonnen. Haben Sie eine Lösung für das Land?

    So sehr ich es wollte, aber ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Wenn nicht bald wieder Normalität eintritt, fürchte ich, dass wir über das Internet beobachten werden, dass Menschen in Afghanistan hungern müssen. Heutzutage ist die Welt über Facebook und Instagram direkt dabei. Ich hoffe sehr, dass die Weltgemeinschaft weiterhin Interesse an Afghanistan zeigt und in der Not hilft.

    Am 27. September gibt Marga Flader Infos im Fernsehen

    Am 27. September berichtet Marga Flader in der ZDF-Folge von 37 Grad von ihren Erfahrungen in diesem Land. Spenden werden dringend benötigt. Die Kontonummer lautet: IBAN DE 71 8309 4495 0103 0410 50. Kontoinhaber ist der Verein Afghanistan-Schulen.