Hamburg. Prof. Klaus Püschel erzählt im Podcast, wie kleine Kinder durch ein Schütteltrauma schwerst verletzt werden oder sogar sterben.
Sie sind auf Zuwendung angewiesen und auf Geborgenheit. Auf Liebe, auf Nestwärme. Kinder im Säuglings- und Babyalter sind wehrlos, hilflos und schutzlos. Und wie schnell kann das Schlimmste geschehen, dass sie schwer verletzt werden oder sogar sterben? Es reicht aus, für ein paar Sekunden die Fassung zu verlieren und ein wenige Wochen oder wenige Monate altes Kind zu schütteln. Es sind Schicksale wie die des kleinen Jacob, von Tim oder Nele, die Hamburg immer wieder erschüttern.
Jacob war noch nicht einmal drei Monate auf der Welt, als sein Leben gewaltsam aus den Fugen gerissen wurde. Aus dem lebhaften, gesunden Säugling wurde ein Wesen, das blind, taub und gelähmt ist – und kaum mehr als eine menschliche Hülle. Es waren wenige Augenblicke, die das furchtbare Los des Jungen besiegelt haben.
Das Schütteln ist wie ein Beben im Kopf
„Ein Baby darf man niemals schütteln“, warnt Prof. Klaus Püschel im Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Wer seinem Baby so etwas antut, bringt es in Lebensgefahr. Denn das Schütteln ist wie ein Beben im Kopf. Die Gefährdung besteht vor allem im ersten Lebensjahr eines Kindes, wenn der Säugling seinen Kopf noch nicht selber halten kann.
Es gibt fatalerweise immer wieder Eltern, die in Stresssituationen ihr schreiendes Baby am Rumpf packen und es vor und zurück schleudern. Sie tun das, weil sie wollen, dass es endlich ruhig ist. Und manche Säuglinge werden dann auch plötzlich ruhig. Nicht, weil sie entspannter sind, sondern weil die peitschenartigen Bewegungen in ihrem Gehirn für schwerste Schäden gesorgt haben.“
Äußerlich sind die Verletzungen nicht sichtbar. Aber Hirnnervenfasern reißen, das Gehirn schrumpft. Folgen sind schwerste geistige und körperliche Behinderungen der betroffenen Kinder. Etwa 20 Prozent aller Babys, die auf diese Weise misshandelt wurden, sterben sogar. Jährlich sind das deutschlandweit rund 200 Kinder. Und zwei Drittel der Kinder sind behindert, nachdem sie heftig geschüttelt wurden.
Siebeneinhalb Jahre Haft für den Vater des kleinen Jacob
Zwei Hamburger Fälle, die die Leiden sehr kleiner und hilfloser Kinder beispielhaft zeigen, sind die des kleinen Jacob und des gerade ein Jahr alten Tim, die wir auch in unserem Krimi-Sachbuch „Der Tod gibt keine Ruhe“ geschildert haben. Jacobs Vater Sven L. hat es an einem Tag Ende April 2015 sofort bemerkt, wie sein Sohn plötzlich schlaff wurde. „Ich habe das Leben meines Sohnes und das meiner Frau zerstört und auch meines“, hat der Hamburger in einem Brief formuliert, den er kurz nach der Tat schrieb.
Der 27-Jährige hat später im Prozess auch unumwunden gestanden, dass er für die Leiden seines Sohnes verantwortlich ist. Und in seinem letzten Wort sagte der Angeklagte, er „würde es gern rückgängig machen“. Das Urteil des Landgerichts, das siebeneinhalb Jahre Haft gegen den schwer alkoholkranken Mann verhängt, hat der Angeklagte ohne zu zögern akzeptiert. Er hat in dem Prozess mehrfach betont, dass er seinem Sohn eigentlich nichts hatte antun wollen. Dass er ihn doch liebt.
Der kleine Tim hat das Schütteltrauma nicht überlebt
Von väterlicher Zuneigung spricht auch ein anderer Mann, der den kleinen Tim hätte behüten und beschützen sollen. „Ich habe ihn geliebt wie meinen eigenen Sohn“, hat Martin R. über den jüngsten Sprössling seiner Lebensgefährtin gesagt. Doch auch dieser Junge ist Opfer eines massiven Übergriffes geworden. Es war ein Bild des Jammers, das der Einjährige abgab. Martin R. hatte den Notarzt alarmiert, weil der Junge „nicht mehr ansprechbar und regungslos“ sei, alles hänge „wie Gummi“, hat der 27-Jährige erzählt.
Dann wird Tim bewusstlos. Ein kleines Bündel Mensch, massiv verletzt. Tim hat das Schütteltrauma, das er im Dezember 2015 erleiden musste, nicht überlebt. Sein Gehirn ist so massiv geschädigt, dass Tage später entschieden wird, die lebenserhaltenden Maßnahmen schrittweise zu reduzieren. Das kleine Herz von Tim hört auf zu schlagen.
Tims Stiefvater erklärte sich für unschuldig
„Später folgten feingewerbliche Untersuchungen, anhand derer festzustellen ist, wann genau die massive Schädigung des Gehirns ausgelöst wurde. Diese Zeitangabe war entscheidend für die Frage, wer als Täter infrage kommt“, erzählt Püschel. Zur kritischen Zeit war nur ein Mensch in der Nähe von Tim, sein Stiefvater, der sich später wegen Totschlags vor Gericht verantworten musste. Doch der 27-Jährige behauptet im Prozess, er habe mit dem Jungen „definitiv nichts gemacht“, sagt er im Prozess, den Gerichtsreporterin Mittelacher begleitet hat.
Der Angeklagte schildert, er habe mit dem Kind gespielt und plötzlich bemerkt, dass es nicht mehr auf Ansprache reagierte. Als die Vorsitzende Richterin Martin R. zum Auftakt des Prozesses fragt, ob er eine Erklärung dafür habe, wie der Junge plötzlich in seinen kritischen Zustand geraten konnte, sagt der Hamburger: „Es wird wohl irgendwas passiert sein müssen.“ Er jedenfalls sei unschuldig.
„Wer derart schüttelt, kann weder steuern noch dosieren.“
Dass er in den Urlaub nach Spanien flog, gerade einen Tag, nachdem Tim sichtbar schwerstverletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, und dass er sich nicht ein einziges Mal bei der Mutter nach dem Zustand des Jungen erkundigte, zeugte jedenfalls nicht von einer tiefen Bindung.
Die Vorsitzende Richterin formuliert es später in der Urteilsverkündung so: „So verhält sich jemand, der sein Kind wirklich liebt, nicht.“ Elf Jahre Haft wegen Totschlags verhängt die Kammer für den Angeklagten. Die Gewalttat habe ein „besonders junges, wehrloses Opfer“ getroffen, sagt die Vorsitzende Richterin. „Wer derart schüttelt, kann weder steuern noch dosieren.“