Reinbek/Großhansdorf. Diethard Joppich spricht über die Corona-Krise und die Situation in der Pflege – und warum er “null Verständnis“ für Querdenker hat.

Das Coronavirus hat die Krankenhäuser fest im Griff, mancherorts kommen Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen. So nicht in der LungenClinic in Großhansdorf. Es handelt sich zwar um ein ausgewiesenes Covid-Haus, und die Klinik sei "prädestiniert" für eine Behandlung der Lungenkrankheit, wie Sprecherin Marie-Therese Kron sagt. Aber gleichzeitig muss die Klinik gerade jetzt vorsichtiger denn je im Umgang mit Covid-19-Patienten sein: Ein Corona-Ausbruch im Haus wäre für die ohnehin schon vorbelasteten Patienten eine Katastrophe.

Darüber und über die Situation der Pflegekräfte spricht Diethard Joppich, pflegerischer Leiter der Intensivstation der LungenClinic. Nach einer Ausbildung zum Rettungssanitäter beim DRK arbeitete der 57-jährige Reinbeker bereits als Fachkrankenpfleger in Bergedorf, in der Anästhesie im Münchener Klinikum Grosshadern, auf den Intensivstationen im Johanniter-Krankenhaus in Geesthacht sowie bei Asklepios in Barmbek und in Bad Oldesloe.

Hat die LungenClinic seit Beginn der Pandemie bereits Covid-19-Patienten aufgenommen?

Diethard Joppich: Dadurch, dass bei uns viele hoch gefährdete Patienten liegen, hatten wir zuerst Absprachen mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Sind Covid-Patienten zu uns gekommen, konnten wir sie in diese Kliniken verlegen. Dafür haben wir andere Beatmungspatienten, die covid-negativ waren, als genesen galten oder eine andere Lungenkrankheit hatten, aufgenommen. Dadurch sollte eine Ansammlung in unserem Haus vermieden werden. Beispielsweise war der zweite Covid-Tote im Hamburger UKE ein Patient von uns, der sich im Urlaub angesteckt hatte. Wir konnten ihn nach Eppendorf verlegen.

Mittlerweile behandelt aber auch die LungenClinic Covid-Patienten auf der Intensivstation. Gibt es aktuell dort erkrankte Menschen?

Zurzeit behandeln wir keinen Covid-Patienten auf der Intensivstation. Wir haben aber im Haus eine Covid-Station, also eine periphere Station, wo alle Patienten aufgenommen werden, die nicht getestet sind, beziehungsweise die Symptome haben. Auf der Intensivstation haben wir schon Corona-Patienten behandelt. Diese werden vollisoliert. Dafür haben wir zwei Schleusenzimmer.

Da Sie in Ihrer Klinik durch Lungenerkrankungen vorbelastete Patienten behandeln, dürfte das Coronavirus eine große Gefahr sein. Was würde ein Corona-Ausbruch für Ihr Haus bedeuten und wie versuchen Sie, Ihre Patienten zu schützen?

Wir haben es ja leider Gottes in den umliegenden Kliniken sehen müssen, wie das böse nach hinten losgehen kann, im Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Hamburg-Volksdorf beispielsweise. Das wäre für uns eine Katastrophe. Insofern sind die Schutzmaßnahmen, die wir hier vorhalten, auch so hoch wie nur irgendwie möglich. Wir haben schon in der ersten Phase Ende Februar und Anfang März Dienstpläne umgestellt, von vornherein an das Personal FFP-2-Masken ausgegeben. Wir sind natürlich genauso wie alle anderen getroffen worden, dass es auf einmal nichts mehr gab. Es wurde dann knapp mit den Masken, aber das war in der ganzen Republik so. Wir haben dann mit unserem Hygiene-Beauftragten Konzepte erstellt, wie wir mit den Masken über die Runden kommen können. Momentan gibt es keine Probleme.

Wie sieht es in Ihrem Mitarbeiterteam der Intensivstation aus?

Wir haben keinen Corona-Fall im Team gehabt. Da bin ich stolz drauf. Wenn man sich vorstellt, ich habe fast 60 Mitarbeiter.

Wie viele Betten halten Sie vor?

Zurzeit betreiben wir 16 Beatmungs- und Intensivbetten, die zu 90 Prozent belegt sind, und vier low-care Betten, das sind Plätze zur Behandlung von "leichteren", nicht beatmeten Fällen. Vor Weihnachten haben wir die low-care-Einheit zurückgefahren, weil kaum noch operiert wird. Geplante Operationen fallen weg. Wir können in unserer Einheit theoretisch bis zu 32 Beatmungsbetten betreiben.

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Was sind das aktuell für Patienten, die bei Ihnen behandelt werden?

Ein schwieriger Fall, den wir momentan versorgen, ist ein Mitte 30 Jahre alter Patient. Nach einer Lungentransplantation im UKE sind seine Nieren ausgefallen. Er liegt jetzt bei uns. Der Patient ist wach, es wird besser.

Wie pflegeintensiv ist dieser Patient?

Wir müssen all die Bedarfe seines täglichen Lebens übernehmen. Er kann nicht alleine aufstehen, er kann sich nicht alleine waschen. Seine Niere arbeitet nicht, es läuft ein Dialysegerät. Man glaubt gar nicht, wie oft man rennt, um diese Beutel zu wechseln. Der Mann kann zwar alleine atmen, aber nicht so, dass es ausreicht. Er ist tracheotomiert und an eine Beatmungsmaschine angeschlossen. Die muss bedient werden. Die Beatmung hat zur Folge, dass man häufig bronchoskopieren muss, also in die Luftröhre und Bronchen, weil der Patient nicht abhusten kann. Das sind Dinge, die stellt man sich alle so banal vor. Aber das ist nicht mal eben kurz.

Die Pflegepersonaluntergrenzen - eine Pflegekraft behandelt tagsüber maximal zwei bis drei Patienten, nachts drei bis vier - wurden während der ersten Pandemiewelle in vielen Bereichen ausgesetzt. Im August ist die Lockerung der Untergrenzen wieder aufgehoben worden. Ab 2021 gelten schließlich die Schlüssel 1:2 tagsüber und 1:3 nachts. Warum ist es wichtig, dass diese Zahlen eingehalten werden?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Qualität einen Preis hat. Der Preis muss sein, dass diejenigen, die die Qualität liefern, die Zeit und die Möglichkeiten haben, ihre Arbeit zu schaffen. Was kann eine Intensivfachkraft leisten, ohne krank zu werden, ohne Burnout-Syndrom, ohne Unzufriedenheit? Das ist diese Patientenzahl 1:2. Bei mir zeigt sich jeden Tag, dass es funktioniert. Die Mitarbeiter sind motivierter, haben eine geringere Krankheitsrate, weil sie ihre Arbeit machen können. Ihre Arbeit wird wertgeschätzt, die Patienten sind glücklich, wir haben eine kürzere Verweildauer. Es läuft besser, die Qualität steigt und dadurch kann der Durchlauf erhöht werden. Es ist ein Fehler zu denken, ich pack was oben drauf, denn dann wird die Qualität immer schlechter, die Liegezeiten werden länger, die Unzufriedenheit größer und die Krankheitsrate steigt. Wir wollen die Untergrenze nicht lockern, sie darf auch nicht gelockert werden, weil die Qualität dann leidet. Außerdem kommen wir wieder zur eingängigen Frage: Wenn ich eine Keimverschleppungen im Haus verhindern will, muss ich die Kontakte vermindern. Wenn ich drei oder vier Patienten betreuen muss, kaum noch dazu komme meine Schutzausrüstung an- und auszuziehen, wird es dazu führen, dass ich Keime verschleppe.

Sind Sie auf der Station gut aufgestellt, um Personal-Patienten-Schlüssel einzuhalten?

Wir haben hier ein anderes Gentlemen’s Agreement, auch im ärztlichen Bereich. Uns geht es nicht darum, so viele Patienten wie möglich durchzuschleusen, damit die Betten belegt sind. In diesem Haus geht es um gute Versorgung. Das liegt auch an einer entsprechenden Geschäftsführung, die das fördert, das muss man ganz klar sagen. Ich bin seit drei Jahren hier auf der Intensivstation und wir haben es hingekriegt, dass wir die Pflegepersonaluntergrenzen einhalten. Bei 14 Patienten sind mindestens sieben examinierte Fachkräfte da. Das liegt auch an unserer Organisation. Ich habe auf meiner Station beispielsweise vier Servicekräfte, die sich um alle Nebentätigkeiten kümmern. Wenn man andere Krankenschwestern fragt, was sie machen, dann sind sie oft eigentlich Hauswirtschaftsleitung, Reinigungskraft, Mutti, Papi, Angehörigenersatz. Sie glauben gar nicht, was eine Krankenschwester alles machen soll.

Ist Ihre Station durch die Corona-Pandemie einer höheren Belastung ausgesetzt?

So verrückt es auch klingt, als Pflegekraft kann man eigentlich froh sein, dass so etwas passiert ist. Das lenkt den Fokus auf diese Berufsgruppe. Ich hab noch im AK Bergedorf gelernt, das gibt es gar nicht mehr mittlerweile, wir haben immer maximal zwei Patienten betreut. In den 1990er-Jahren wurde der Pflegenotstand wieder richtig akut. Und dann hat man gemerkt, wie man sich verabschiedet hat von den Betreuungsschlüsseln, die Sinn machen, weil sie Patienten schützen. Nicht etwa, weil die Schwestern keine Lust hätten zu arbeiten. In erster Linie ist es ja so, dass die Qualität dessen geringer wird, wenn man sich nicht mehr so kümmern kann, wie man sich kümmern muss. Das ist aber leider Gottes so durch die Verwirtschaftung und Privatisierung vom Gesundheitswesen. In einigen Kliniken wurden dann die Schlüssel auf den Intensivstationen verringert.

Also ein Problem des Geldes? Wie stellen Sie sich ein System zur Finanzierung der Krankenhäuser vor?

Im Grunde genommen ist das eine finanzielle Herausforderung. Heute ist es so, dass alleine die Leistung bezahlt wird. Ein gutes Beispiel sind die Dänen: Sie haben ganz viele kleine Krankenhäuser geschlossen, haben spezialisierte Häuser geschaffen und die unter staatlicher Führung. Und die sind ganz weit vorne im Gesundheitssystem, während wir eigentlich immer nur im Mittelfeld herumdümpeln. Dabei ist das System das teuerste in Europa.

Es fehlt an Wertschätzung für die Pflegekräfte. Was haben Sie gedacht, als im Frühjahr die Menschen für Sie geklatscht haben?

Krankenschwestern, auch wenn es ein Frauenberuf ist, sind nicht schlecht bezahlt auf der Intensivstation. Es wird immer gesagt, die verdienen wenig Geld. Aber das ist nicht das Problem. Sie verdienen für das, was sie ertragen müssen, verdammt wenig Geld. Aber das tun andere Berufsgruppen auch. Das Entscheidende ist in erster Linie die Wertschätzung dessen, was sie tun, und nicht nur zu klatschen. Sondern wirklich zu erkennen, ohne Krankenschwestern geht gar nichts. Und das zweite sind die Arbeitsbedingungen. Es gibt Krankenhäuser, wo das akzeptiert und wertgeschätzt wird, was man tut. Ich bin froh, in solch einem Krankenhaus zu arbeiten.

Wie sieht die Motivation in Ihrem Team aus? Und spüren Sie den Personalmangel?

Ich glaube, wir haben ein hoch motiviertes Team mittlerweile. Wir haben wie bei allen Krankenhäusern Stellen frei, könnten noch mehr Leute einstellen. Aber es gibt einfach keine. Seit Jahren mache ich das so, dass ich mir die eigenen Auszubildenden angucke. Dann fische ich mir die raus, die in der Lage sind, den Job zu machen.

Was gehört denn dazu, den Job zu machen?

Da gehört schon Intelligenz zu. Wer kann im Kopf rechnen und muss nicht auf die vorgeschriebenen Tabellen gucken, wie die Medikamentendosierung sein muss? Meistens sind es mittlerweile Abiturienten. Es ist ein hoch medizinischer, hoch anspruchsvoller Beruf. Man muss wissen, was man tut, was die Medikamente anrichten, welche Reaktion sie hervorrufen. Es ist dann nicht immer der total erfahrene Super-Doktor, der um die Ecke geflogen kommt, wie bei "Notruf Hafenkante", mit kompletter Übergabe und Röntgenblick, den gibt es nicht. Das muss derjenige wissen, der es durchführt. Man sollte da nicht so naiv rangehen, dass das nur ein bisschen Essen und Trinken verteilen ist.

Sind Sie in Ihrem Job zufrieden?

Ich bin für meine Verhältnisse glücklich, zufrieden bin ich nie. Es muss noch etwas besser werden.

Was muss denn besser werden?

Wir haben hier eine Aufgabe: Das Krankenhaus wird ja neu gebaut. Ich bin mit in der Planung. Die neue Intensivstation wird größer. Es wird in Zukunft, denke ich, so sein, dass wir viele Maximalversorgungsbetten brauchen und weniger normale Betten. Der Bedarf an schnellen Einheiten mit maximaler Versorgung wird größer, der Bedarf an peripheren Betten geringer. Bis dahin will ich mein Team zu 100 Prozent auf Stellenbelegung haben, keine Zeitarbeiter. Ich will ein festes Team, das sich entwickeln soll.

Arbeiten Sie an den Weihnachtstagen?

Am Heiligabend und am ersten Weihnachtstag habe ich Spätdienst. Ich möchte, dass meine Mütter mit kleinen Kindern feiern können. Ich habe hier angefangen mit dem Leitspruch: Wenn ich mich selbst nicht pflegen kann, kann ich keinen anderen pflegen. Es ist ein Geben und Nehmen. Genau dazu gehört auch, dass eine Leitungsperson sagt: Bei mir zu Hause ist sowieso nichts los, dann kann ich den Jüngeren ermöglichen, mit der Familie zu feiern.

Wie sieht Ihr Alltag außerhalb der Klinik derzeit aus?

Ich war immer viel unterwegs, habe mit meiner Band gespielt, mit der Corona-Krise hat sich mein Leben komplett umgestellt. Momentan stehe ich morgens alleine auf, sehe meine Kinder zum Frühstück nur an einem riesigen Tisch, da können wir Abstand halten. Abends zu Hause gehe ich direkt in meinen Bandkeller. Ich lebe eigentlich fast getrennt von meinen fünf Kindern und meiner Frau.

Was denken Sie über Masken-Verweigerer, Corona-Leugner und Querdenker?

Ich habe null Verständnis. Zu Beginn der Pandemie hat der Virologe Christian Drosten gesagt: "Maske tragen, Hände waschen, Abstand halten." Was ist daran so schwierig, was daran zu viel verlangt? Die, die alles in Frage stellen, müssen irgendwann erkennen: Diese Pandemie ist weltweit, das Virus kommt immer wieder.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Monate?

Ich möchte, dass wir wieder ins Agieren kommen, nicht ins Reagieren. Wir werden damit noch lange zu tun haben. Wenn man darüber nachdenkt, wie lange es dauert, eine Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern durchzuimpfen. Man braucht Logistik, Manpower. Ich bin fest davon überzeugt, wir werden eine Wellenbewegung haben, bestimmt bis 2022. Ich habe jetzt schon Sorge vor dem Wahnsinn, dass wieder alle in den Urlaub fahren wollen. Wir jammern auf hohem Niveau, weil wir nicht zum Griechen können, sei unser Grundrecht eingeschränkt. Hallo? Ich war als Soldat in Somalia und Bosnien, da können Sie mal sehen, was Grundrechte sind. Wir brauchen diesen Impfstoff, wir brauchen die Bereitschaft, sich impfen zu lassen.