Glinde. Stormarner Unternehmen klagen: In immer mehr Branchen fehlt es an Fachkräften. Die Folgen bekommen die Menschen schon zu spüren.

Es ist ein Problem, das die Arbeitswelt ordentlich durchrüttelt: Seit Jahren haben Unternehmen mit Arbeits- und vor allem Fachkräftemangel zu kämpfen. Ob Pflege, Kinderbetreuung, Handwerk, Gastronomie, Technik oder Informatik: In fast sämtlichen Branchen buhlen Firmen um Mitarbeiter.

Das ist auch eines der Ergebnisse einer Wirtschaftsumfrage vom Verband und Serviceorganisation der Wirtschaftsregionen Holstein und Hamburg (VSW) mit Sitz in Glinde. 474 Unternehmen sind Mitglied im Verband, die meisten aus Stormarn. An der Umfrage beteiligt haben sich 125 aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Unternehmen sehen den Fachkräftemangel als größte Herausforderung

So bewerten 51 Prozent der Unternehmer die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes 2023 als gut bis sehr gut. 55 Prozent befürchten für 2024 angesichts der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Situation in Deutschland aber eine Verschlechterung.

Zwei Drittel der befragten Unternehmer sehen im Arbeitskräftemangel die größte Herausforderung. 58 Prozent der Unternehmen haben langfristig offene Stellen, die nicht besetzt werden können. 61 Prozent gaben an, dass sie im laufenden Jahr bestehende Ausbildungsplätze nicht oder nicht vollständig besetzen konnten.

Unternehmen planen in Digitalisierung zu investieren

Mehr als die Hälfte der Unternehmen erklären, dass der Mangel an Arbeitskräften spürbare negative Folgen für Umsatz, Wachstum oder Innovationsfähigkeit des Betriebes hat und ein ebenso hoher Anteil plant, mit Investitionen in Automatisierung und Digitalisierung zu reagieren, um durch diese Rationalisierungsmaßnahmen den Arbeitskräftebedarf zu senken.

Vom Fachkräftemangel getroffen ist auch die Müllverbrennungslage in Stapelfed. Das bestätigt die EEW Energy from Waste GmbH, die Mitglied im Verband ist, auf Nachfrage unserer Redaktion. „Wir sind akut sowohl von einem Mangel qualifizierter Fachkräfte insbesondere bei technischen Berufen betroffen als auch davon, ausbildungswillige und ausbildungsfähige Menschen für uns gewinnen zu können“, so Sprecherin Hanna Geffers. Hinzu komme, dass Schichtarbeit mit zunehmender Bedeutung von Work-Life-Balance weniger stark nachgefragt werde. Seitdem die Schichtzulagen besteuert werden, habe die Attraktivität zusätzlich abgenommen.

Bei der Müllverbrennungsanlage in Stapelfeld herrscht Mangel auf allen Ebenen

Mangel gibt es bei EEW über alle Qualifikationsebenen, begonnen bei Auszubildenden über qualifizierte Fachkräfte bis hin zu den Führungskräften. Geffers: „Besonderer Mangel herrscht bei elektrotechnischen Berufsbildern wie Elektronikern sowie Technikern für elektrisches Messen, Steuern und Regeln. Es fehlt aber auch an Kraftwerkern, also den klassischen Bedienern unserer Anlagen im Leitstand.“ Um offene Stellen besser besetzen zu können, öffne EEW sich zunehmend für Quereinsteiger aus anderen Berufsgruppen und qualifiziere Quereinsteiger berufsbegleitend .

Um trotz allem Fachkräfte zu gewinnen, setze EEW auf Fort- und Weiterbildung, um künftige Fach- und Führungskräfte aus den eigenen Reihen zu generieren. Zudem tue der Arbeitgeber sein Möglichstes für die Zufriedenheit der Mitarbeiter. „Unsere Sozialleistungen gehen weit über den bereits sprichwörtlich gewordenen Obstkorb hinaus. Wir beteiligen uns an Kinderbetreuungskosten, geben Zuschüsse zum ÖPNV oder bieten ein JobRad an“, sagt die Sprecherin. Gleichwohl stünden die grundsätzlich positiv bewerteten Angebote dennoch häufig in Konkurrenz zur angestrebten Work-Life-Balance.

Die AWSH findet kaum Mitarbeiter für die Recyclinghöfe

Es müssen Stellen besetzt werden, deren Berufsfelder für potenzielle Arbeitskräfte wenig attraktiv scheinen: Vor diesem Problem steht auch die Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH). „Insbesondere bei den Fachkräften für Kreislauf- und Abfallwirtschaft bekommen wir das zu spüren“, so Prokurist Olaf Stötefalke. Diese Fachkräfte arbeiten zum Beispiel auf den Recyclinghöfen. Das Unternehmen versuche gegenzusteuern, indem es ausbilde und verstärkt Werbung bei jungen Leuten mache. Stötefalke: „Der Beruf ist nicht so bekannt, nur wenige Menschen bewerben sich dafür.“

Seit einigen Jahren sei der Fachkräftemangel besonders zu spüren. „Wir haben das Angebot bei unseren Recyclinghöfen ausgebaut, entsprechend brauchen wir mehr Mitarbeiter“, so Stötefalke. Eine Auswirkung des Fachkräftemangels dürften Kundinnen und Kunden auch schon direkt zu spüren bekommen haben: Vor einiger Zeit mussten die Öffnungszeiten angepasst werden. Stötefalke: „Das war die Reaktion darauf.“

Auf dem Gut Wulksfelde bleiben Ausbildungsstellen unbesetzt

Auch Kraftfahrer zu finden sei ausgesprochen schwer. Für die Müllabfuhr beauftragt die AWSH Entsorgungsunternehmen. „Es ist eine kontinuierliche Aufgabe, das vernünftig zu besetzen. Denn wir sind ja darauf angewiesen, dass kontinuierlich die Behälter geleert werden“, so der Prokurist. Ob es je so weit kommt, dass niemand mehr da ist, der den Müll abholt? „Das kann niemand prognostizieren“, so Stötefalke. Damit es so weit nicht kommt, setzt auch die AWSH auf Mitarbeiterzufriedenheit, wurde erst im Sommer von der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck als Top-Ausbildungsbetrieb ausgezeichnet. Stötefalke: „Wir müssen uns auch Gedanken über technischen Fortschritt machen.“

Auf dem Gut Wulksfelde in Tangstedt kümmert sich Personalreferent Martin Grunert um die Einstellung von Mitarbeitern. „Ich arbeitete seit zehn Jahren hier und habe eine deutliche Entwicklung festgestellt. Es ist wirklich kompliziert geworden, die Stellen zu besetzen“, so Grunert. Besonders prekär sei es bei den Berufen Bäcker, Fleischer, Fleischereifachverkäufer, Bäckereifachverkäufer und im Bereich Einzelhandel. Mehrere Stellen seien aktuell ausgeschrieben.

Das Image der Ausbildung muss aufpoliert werden

Das Gut Wulksfelde ist auch Ausbildungsbetrieb. In diesem Jahr blieb ein Ausbildungsplatz zum Bäcker unbesetzt. Was Unternehmen und Politik dagegen tun können? „Ich glaube, es ist sehr wichtig, die duale Ausbildung attraktiver zu machen“, so Grunert. Jahrelang sei jungen Menschen eingeredet worden, sie müssten zwingend Abitur machen und studieren. Das Image der Ausbildung müsse aufpoliert werden, sie habe zu Unrecht an Wert und Ansehen verloren.

Um das zu ändern, müsse man direkt bei Schülerinnern und Schülern ansetzen. Grunert: „Wir beteiligen uns an Projekten, bei denen jungen Menschen gezeigt wird, wie so ein Betrieb wie unserer funktioniert und was für tolle Berufsmöglichkeiten die Landwirtschaft bietet.“ Er wünsche sich, dass Jugendliche in der Schule mehr Möglichkeiten für Praktika haben. Auch eine angemessene Bezahlung spiele eine Rolle, Löhne müssen, so Grunert, langfristig steigen. „Aber es muss natürlich betrieblich möglich sein“, so Grunert.

Bietet die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt Potenzial?

Die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt biete ebenfalls großes Potenzial, das noch weiter ausgeschöpft werden solle. Grunert: „Wir sind da sehr offen und haben auch schon gute Erfahrungen gemacht.“ Ein junger Syrer, der in der Bäckerei als Aushilfe eingestellt wurde, hat in dem Betrieb mittlerweile eine Bäckerausbildung absolviert.

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„In der Pflege haben wir das Thema Fachkräftemangel seit 15 Jahren auf dem Zettel“, sagt Mathias Steinbuck, Geschäftsführer des Unternehmens Pflegeeinrichtungen Steinbuck, das in Stormarn mehrere Einrichtungen betreibt. „Seitdem predigen wir, dass die Lawine kommt, dass es so nicht geht, dass wir etwas tun müssen. Und jetzt, wo das Thema andere Branchen trifft, erkennt man: Oh, man muss was tun.“

Was die Pflege angeht, müsse man nicht nur von einem Fachkräftemangel, sondern auch einem daraus resultierenden Angebotsmangel sprechen. „Wir können nur das abarbeiten, was mit dem Personal, das zur Verfügung steht, möglich ist“, so Steinbuck. „Das, was wir nicht erledigen können, fällt den Menschen zu Hause auf die Füße.“ Die müssen sich im Zweifel um ihre Eltern kümmern, wenn entsprechendes Pflegepersonal nicht zur Verfügung steht.