Bad Oldesloe. DRK-Modellprojekt: Anna Jankowski (15) erhält Stipendium. Wird bald allen Schülern ein Auslandsaufenthalt ermöglicht?

Es war dieses Funkeln in ihren Augen. Das hob Anna Jankowski von den anderen Schülerinnen und Schülern ab. Daran erinnert sich Volker Dankers von der gemeinnützigen Gesellschaft Deutsches Rotes Kreuz (DRK) Hessen Volunta noch genau. Im Januar stellte der Austauschexperte an der Theodor-Storm-Schule in Bad Oldesloe ein Modellprojekt von DRK Volunta vor. Dieses ermöglicht es Schülerinnen und Schülern mit einem Stipendium ein Auslandsjahr in den USA, Kanada, Irland oder Spanien zu verbringen.

Rund 80 Schülerinnen und Schüler hörten sich damals den Vortrag an. Anna Jankowski bewarb sich, konnte überzeugen und ergatterte schließlich tatsächlich das Stipendium im Wert von rund 20.000 Euro. Damit ist die 15 Jahre alte Zehntklässlerin eine von 17 jungen Menschen in Deutschland, die im Zuge des Modellprojekts im kommenden Schuljahr kostenlos ein Auslandsjahr absolvieren werden. Für die Oldesloerin geht es nach Kanada.

Auslandsaufenthalte können sich normalerweise nur wohlhabende Familien leisten

Das Besondere: Normalerweise kosten schulische Auslandsaufenthalte viel Geld, sind fast immer Schülerinnen und Schülern aus wohlhabenden Familien vorbehalten. Die durchschnittlichen Kosten für ein Auslandsschuljahr in den USA liegen bei 12.000 Euro, auch Beträge bis zu 30.000 Euro sind möglich. Fehlen den Eltern die finanziellen Mittel, bleibt dieser Blick über den Tellerrand vielen Jungen und Mädchen verwehrt. Laut DRK Volunta machen nur 26 Prozent aller Jugendlichen eine Austauscherfahrung, obwohl sich sehr viel mehr dafür interessieren.

Genau dagegen möchte das Modellprojekt von DRK Volunta vorgehen. „Wir organisieren seit vielen Jahren Freiwilligendienste und Schüleraustausche“, so Bernhard Kühn von der Geschäftsführung. Dabei fiel den Verantwortlichen jedoch eines auf: „Meistens holen wir mit solchen Angeboten eher junge Menschen aus dem klassischen Bildungsbürgertum ab“, so Kühn. Diese Exklusivität wolle man aber ganz entschieden nicht. „Einerseits beklagen wir Fachkräftemangel, andererseits ist eine Teilhabe an solchen potenziell berufsorientierenden Angeboten für viele nicht möglich.“

Modellprojekt schickt Jugendliche aus einkommensschwachen Familien ins Ausland

Aus diesem Grund nahmen die Verantwortlichen Kontakt zur Ruhr-Universität in Bochum auf. Im Auftrag von DRK Volunta erstellte Prof. Wolfram Cremer, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht und Europarecht, ein Gutachten. Ergebnis: „Die Gesetze geben es her, dass alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zu einem Auslandsaufenthalt haben könnten“, so Kühn. In einem im November 2022 veröffentlichten Beitrag plädiert Cremer für ein Gastschulaufenthaltsgesetz und macht Vorschläge für eine vollumfängliche staatliche Finanzierung des langfristigen individuellen Schüleraustauschs.

Unterfüttert wird dies nun von dem Modellprojekt von DRK Volunta, das bis Ende 2027 60 Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien kostenfrei ins Ausland schickt und den Nutzen dokumentiert. Die Oldesloer Theodor-Storm-Schule ist Partnerschule, wird wohl auch in den kommenden Jahren Schülerinnen und Schüler ins Ausland entsenden. „Das passt gut zu unserer Schule, denn auch wir legen großen Wert auch Chancengleichheit“, so Schulleiter Martin Nirsberger. Die Kosten des Projekts liegen bei rund 1,8 Millionen Euro. Einen großen Teil übernimmt die Lottostiftung Berlin. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und am Ende ausgewertet. Das Ziel ist ambitioniert. Kühn: „Wir wollen die Gestaltung eines Bundesgesetzes erreichen, das allen Schülerinnen und Schülern unabhängig von den finanziellen Mitteln einen Auslandsaufenthalt ermöglicht.“

Auslandsaufenthalte verhelfen junge Menschen zu Reife und Selbstständigkeit

Denn, das macht Projektbetreuer Volker Dankers deutlich: „Der Nutzen sowohl für die jungen Menschen als auch für die Gesellschaft ist immens hoch.“ Seit vielen Jahren vermittelt und organisiert er Auslandsaufenthalte, hat viel Kontakt zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. „Am Ende steigt immer ein anderer Mensch aus dem Flugzeug als ich losgeschickt habe.“ Viele Jungs und Mädchen seien vor der Erfahrung ängstlich, introvertiert, hätten keinen Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.

Das ändere sich im Ausland zu 99 Prozent der Fälle. „Die Schülerinnen und Schüler reifen, gewinnen Selbstvertrauen, werden selbstständig und erlernen soziale Schlüsselkompetenzen.“ Außerdem lernen sie Menschen und Kulturen kennen, verbessern ihre Sprachkenntnisse, haben Spaß, erleben Unvergessliches und knüpfen Freundschaften. Nicht selten bringe die Erfahrung auch Klarheit in der Berufswahl. Freiwilligendienste motivieren immer wieder junge Menschen, beruflich in die soziale Richtung zu gehen – eine Win-Win-Situation, von der auch die Gesellschaft profitiert.

Teilnehmer sollen sich während des Auslandsjahres sozial engagieren

Auch im Zuge des schulischen Auslandsjahres sollen die Teilnehmer sich sozial engagieren. Das kann im Altersheim, in der Kirche, in Kleiderkammern oder in der Arbeit mit Jugendlichen sein. Was genau Anna Jankowski machen wird, entscheidet sich, wenn sie vor Ort ist. „Am 6. September fliege ich nach Kanada“, sagt die 15-Jährige. Dort wird sie auf der Insel Neufundland bei einer Gastfamilie leben und zur Schule gehen.

Etwas aufgeregt ist sie schon, dass sie bald ein Jahr von zu Hause weg sein wird. „Ich könnte mir schon vorstellen, dass es erst einmal komisch ist“, so die 15-Jährige. Dennoch ist die Vorfreude riesig. „Ich war schon immer sehr an fremden Ländern interessiert“, sagt Anna. „Als ich von dem Programm erfahren habe, war mir eigentlich sofort klar, dass ich mich bewerben möchte.“

Ohne das Stipendium wäre der Austausch für Anna Jankowski nicht möglich gewesen

Und: „Ohne das Stipendium wäre der Auslandsaufenthalt nicht möglich gewesen“, so Mutter Katja Jankowski. „Ich bin alleinerziehend und habe zwei Kinder, denen ich beiden gerecht werden möchte“, sagt die Podologin. Deshalb sind Mutter und Tochter dankbar, dass durch das Modellprojekt trotzdem ein Traum in Erfüllung geht.

„Ich freue mich darauf, die Kultur und das Schulsystem kennenzulernen“, sagt Anna. In Deutschland seien ihre Lieblingsfächer Mathe und Technik. „Für meine Schule in Kanada musste ich schon Wahlfächer wählen, da war viel dabei, was es zu Hause nicht gibt.“ Zum Beispiel Karriereplanung hat die 15-Jährige gewählt. Ob der Auslandsaufenthalt die Schülerin auch in der Berufswahl weiterbringt, ist noch abzuwarten, hat sie doch schon ziemlich genaue Vorstellungen. In den medizinischen Bereich soll es gehen. „Im Moment schwanke ich zwischen Herz-Thorax-Chirurgie und Neurochirurgie“, sagt sie. In einer Sache ist sie sich indes sehr sicher: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, später im Ausland zu leben“, sagt sie. „Vielleicht in Ostasien.“