Trittau. Ein Team von Schutzwarten hat jetzt die Reise von einem Regenrückhaltebecken in die nahe Hahnheide organisiert.

Normalerweise bauen Rote Waldameisen ihre kegelförmigen Nester an ruhigen, sonnigen Waldrändern. Zuweilen gehen Königinnen aber auch ganz eigene Wege. Dann lassen sie von ihrem Volk Haufen bauen, wo man sie eher nicht erwartet. Wie etwa an einem Regenrückhaltebecken in Trittau.

Als Kollegen des Bauhofes dort jetzt Erhaltungsmaßnahmen durchführen wollten, entdeckten sie ein Nest von mehr als einem Meter Durchmesser und fast eben solcher Höhe. Ein Fall für die Ameisenschutzwarte des Landes. Weil regelmäßige Arbeiten am Rückhaltebecken einerseits notwendig sind, die Rote Waldameise andererseits aber eine besonders geschützte Spezies ist, musste die gesamte Kolonie jetzt in die nahe Hahnheide umgesiedelt werden.

Ronald Wischmann ist zertifizierter Ameisenschutzwart

„Das ist aber ein ganz spezieller Fall. Zum einen wegen des ungewöhnlichen Platzes. Zum anderen, weil das Nest zu beiden Seiten einer Spundwand gebaut worden ist“, sagt Ronald Wischmann, zertifizierter Ameisenschutzwart aus dem Herzogtum Lauenburg und zugleich Vorsitzender des norddeutschen Landesverbands.

Der 58-Jährige ist eigentlich Kaufmann und Buchhalter, engagiert sich aber schon Jahrzehnte als Naturschützer. „Irgendwann bin ich mal in die Ameisenrettung gerutscht und geblieben. Weil jede Umsiedlung dieser faszinierenden Tiere anders und immer wieder spannend ist“, erklärt der Mann aus Müssen, einer kleinen Gemeinde zwischen Schwarzenbek und Büchen.

Bevor Erdbrocken des Nests im Transportkasten landen, sucht Ameisenschutzwart Ronald Wischmann nach der Königin.
Bevor Erdbrocken des Nests im Transportkasten landen, sucht Ameisenschutzwart Ronald Wischmann nach der Königin. © HA | Lutz Kastendieck

Dort hat er inzwischen auch seine Nachbarn, das Ehepaar Anke und Stefan Laukien, infiziert. Sie sind an diesem Tag in Trittau mit von der Partie, um Wischmann bei der vierten Rettungsmission dieses Jahres wie immer tatkräftig zu unterstützen. „Wichtig ist vor allem, den Nestkern mit der Königin und ihrer Brut zu lokalisieren und zu entnehmen, da das Volk anderenfalls verloren ist“, erläutert Wischmann.

Wehrhafte Krabbler gehen zum Gegenangriff über

Kaum sind die ersten Schichten abgetragen und in einem Dutzend schwarzer Maurerbütten deponiert, setzt auch schon ein großes Gewimmel ein. Hektisch versuchen Arbeiterinnen die weißen Puppen mit der Brut in Sicherheit zu bringen. Andere stürzen sich zur Verteidigung des Nests auf die drei Schutzwarte. Sie werden von den wehrhaften Krabblern nicht als Schutzengel und Retter gesehen, sondern eher als fiese Eindringlinge.

„Das ist schließlich in etwa so, als würde einem das Haus unter Hintern zusammengeschoben, aufgeladen und an anderer Stelle einfach wieder abgekippt. Frei nach dem Motto, nun sieh mal zu, wie du das wieder geordnet aufgebaut bekommst“, wagt Wischmann einen bildhaften Vergleich zum Menschen.

Also formiert sich die Formica rufa, so der lateinische Name der Roten Waldameise, zum Widerstand. In kürzester Zeit sind Hosen und Hemden der Heger mit Ameisen übersät. Die besonders jene unbedeckten Hautpartien an Hals, Armen und Beinen ansteuern, um dort zu beißen und ihre Säure zu verspritzen. Mit einer großen Gänsefeder versucht das Trio permanent, allzu angriffslustige Ameisen abzustreifen, um das segensreiche Werk fortsetzen zu können. Es ist ein mühsames Geschäft. Auch deshalb, weil zwei Drittel des Nests unterirdisch angelegt sind, wo Steine und Wurzeln das Vorankommen immer wieder erschweren. „So ein Ameisenhaufen ist ein komplexes Gebilde mit zahlreichen Gängen und Kammern“, weiß Stefan Laukien, der im bürgerlichen Leben Garten- und Landschaftsbauer ist.

Damit die Ameisen nicht davonlaufen, streicht Anke Laukien die Ränder der Transportkästen zuvor mit Öl ein.
Damit die Ameisen nicht davonlaufen, streicht Anke Laukien die Ränder der Transportkästen zuvor mit Öl ein. © HA | Lutz Kastendieck

Deshalb sei Ameisen zum Vertreiben mit Giften oder Backpulver auch nur schwer beizukommen, was in aller Regel eh verboten ist. „Für jede Arbeiterin, die der Königin abhandenkommt, macht sie zehn neue“, sagt der 59-Jährige. Deshalb sei es in jedem Fall besser, ein Nest professionell umsetzen zu lassen, sollte das wirklich notwendig sein.

Der Haufen zu beiden Seiten der Spundwand wird von Ronald Wischmann (v.l.), Anke und Stefan Laukien Stück für Stück abgetragen und in Maurerbütten abtransportiert.
Der Haufen zu beiden Seiten der Spundwand wird von Ronald Wischmann (v.l.), Anke und Stefan Laukien Stück für Stück abgetragen und in Maurerbütten abtransportiert. © HA | Lutz Kastendieck

Nach zwei Stunden ist dort, wo der Haufen ehemals die Spundwand einschloss, eine deutlich sichtbare Grube entstanden. Wie viele der rund eine Million Roten Waldameisen letztlich in den 15 schwarzen Bottichen gelandet sind, lässt sich nur schwer schätzen. „Alle bekommt man nie mit, das ist vollkommen klar“, sagt Wischmann. Also deponiert er zum Schluss einen Karton gefüllt mit Futterteig in der Grube, um die Abtrünnigen anzulocken. „Nach solch einer Aktion kommen wir noch zwei-, dreimal zurück, um sie ebenfalls an den neuen Standort bringen zu können“, berichtet Anke Laukien (59), die solche Einsätze ganz gut mit ihrem Job als Physiotherapeutin koordinieren kann.

Eine Königin (r.) wird von einer Arbeiterin gefüttert.
Eine Königin (r.) wird von einer Arbeiterin gefüttert. © HA | Ronald Wischmann

Zur Mittagszeit bricht das eingespielte Team mit seiner besonderen Fracht im Schlepptau auf in Richtung Hahnheide. Am südlichen Rand des Naturschutzgebiets suchen sie in Absprache mit Hannes Koopmann von den Kreisforsten alsbald einen geeigneten Platz, der zum neuen Domizil der Rufakönigin und ihres Gefolges werden soll.

Baumstümpfe sind als Basis besonders geeignet

„Stümpfe von Eichen, Birken, Fichten oder Kiefern abseits der Wege sind als Basis besonders geeignet“, sagt Wischmann. Wichtig seien zudem viel Licht und ein möglichst oft von der Sonne beschienenes Areal, das von den Waldarbeitern nicht als Rückegasse zum Bergen gefällter und umgestürzter Bäume genutzt werde. Nachdem alle drei Schutzwarte das Terrain einige Zeit durchstreift haben, entscheiden sie sich für einen Stubben, der bereits morsch genug ist für die Neubesiedlung des Ameisenvolks. Schnell ist der Inhalt der Maurerbütten, zu dem auch Holzreste der Spundwand, Wurzeln und Grassoden gehören, um den Stumpf verteilt und zu einem Haufen aufgeschüttet.

„Da sich Ameisen durch ihre eigenen Duftstoffe orientieren und verständigen, ist es wichtig, so viel Material des alten Nests wie möglich mitzunehmen. Auf diese Weise haben die Tiere auch an dem neuen Standort etwas, das sie buchstäblich an die alte Heimat erinnert“, erklärt Ronald Wischmann.

Damit sie schnell gestärkt an die Neuordnung des Nest gehen können, hinterlässt er auch hier Futterteig mit vielen Nähr- und Vitalstoffen. Zum Schluss verstreut er noch rund um den Haufen braunen Rohrzucker. Den mögen die Ameisen besonders neben Raupen, Larven, Zecken und anderen Schadinsekten, von denen die Gesundheitspolizisten des Waldes bis zu 150.000 pro Tag vertilgen.