Trittau. Die neue Stipendiatin der Sparkassen-Kulturstiftung, Simone Karl, will vor allem die Gewalt gegen Frauen thematisieren.
Wenn Künstlerinnen sich darüber freuen, dass es am temporären Ort ihres Schaffens gleich zwei gut ausgestattete Baumärkte gibt, dann lässt sich schon erahnen, dass ihnen Leinwand und Pinsel bei weitem nicht genug sind. Auf die beiden Stipendiatinnen der Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn in der Wassermühle Trittau trifft das jedenfalls vollumfänglich zu, auf die scheidende Despoina Pagiota ebenso wie auf die neue, Simone Karl. Die verfremdende (Wieder-)Aneignung verschiedener Materialien sind fundamentale Bestandteile ihrer Werke in Form raumgreifender Skulpturen und Installationen.
Die gebürtige Griechin Pagiota schaut jedenfalls auf ein schaffensreiches und erfülltes Jahr zurück. Sie habe am Mühlenteich in den vergangenen zwölf Monaten gut und gern gearbeitet, den wilden Garten hinterm Atelierhaus und die nahe Hahnheide sehr genossen und aus ihrem Zuhause auf Zeit viel Inspiration gezogen, versicherte die 29-Jährige: „Es war wirklich ein tolles, produktives Jahr.“
Gegenentwurf zur postmodernen Konsumästhetik
40 Gemälde und Zeichnungen sowie zwölf Künstlerbücher seien in dieser Zeit entstanden und auch manch dreidimensionales Werk. Ausgangsmaterial waren oft decollagierte Plakate, deren Fragmente sie mit markanten Reißspuren und Druckrastern zum Teil großflächig durch Übermalungen und Beklebungen neu arrangierte, bis in den Ausstellungsraum hinein.
„Mit ihrer Verwertung von Resten urbaner Werbung hat sie die Grenzen zwischen abstrakter und konkreter Kunst verwischt und auf diese Weise einen Gegenentwurf zur postmodernen Konsumästhetik geschaffen“, sagt Katharina Schlüter, Geschäftsführerin der Sparkassen-Kulturstiftung. Davon zeugt auch Pagiotas 122 Seiten starker Katalog „framed“, der ihr Jahr in Trittau in Wort und Bild nachzeichnet und am Sonnabend, 13. Mai, ab 15 Uhr bei einem Gespräch mit ihr in der Galerie der Wassermühle präsentiert wird.
Geschlechterspezifische Gewalt als Hauptthema
Ihre Nachfolgerin Simone Karl ist derweil schon in das großzügige Atelier mit zwei Arbeitsebenen eingezogen und hat bereits erste Elemente einer begehbaren Installation mit dem Arbeitstitel „zum dornenbaum werden“ fertiggestellt. An einem Holzgestell hängen weiß gestrichene Holz- und Gummistangen, in die die 33-Jährige Hunderte Nägel getrieben hat.
Seit geraumer Zeit setzt sich die gebürtige Oberpfälzerin, die an der TH Nürnberg und der HAW Hamburg studierte und inzwischen in der benachbarten Hansemetropole lebt, mit dem Thema geschlechterspezifischer Gewalt auseinander. Die Corona-Pandemie habe ihr geholfen, sich auf dieses Spannungsfeld zu fokussieren und als Künstlerin Position zu beziehen.
Einzelschicksale auf 70 Meter Stoffbahnen gebannt
Erster Ausdruck dessen sind Stofflagen, auf denen mittels stilisierter Strichlisten die Zahl an Femiziden, also die Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts, visualisiert werden. „Als ich dazu recherchiert habe, ist mir bewusst geworden, dass es Tausende Fälle gibt, überall“, berichtet Simone Karl. Inzwischen bekomme sie verlässliche Zahlen von Stiftungen und Instituten aus Deutschland, Italien, Großbritannien, Argentinien und der Türkei. Dabei geschehen solche Taten de facto in allen Ländern der Welt, Tag für Tag.
In einem fortlaufenden Prozess bearbeitet die Künstlerin bereits die siebte Bahn und ein Ende sei nicht abzusehen. Aneinandergefügt ergeben die Bahnen eine Länge von 70 Metern und die Striche stehen schon für viele Tausend Einzelschicksale.
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„Nun beobachte ich in meinen eigenen Werken eine Gegenreaktion, die sich aus einem wachsenden Interesse an den Themen Sicherheit, Intimität und Körperlichkeit speist“, erklärt die 32. Kunststipendiatin der Kulturstiftung. So überrascht es nicht, dass zu den hauptsächlich verwendeten Materialien neben Nägeln und Stacheln, Gummi und Kunstfell, auch Geflechte aus Stahl und Metall gehören.
„Es geht in meinen Installationen um Schutz und Wehrhaftigkeit, um Ungleichheit und Verletzbarkeit“, sagt Simone Karl. Das alles reflektiert unter anderem die frühere Installation „Wachen“, bestehend aus der Stechschutzschürze einer Schlachterei, Drähten, Haken, Schrauben und Ketten, die jetzt im Atelier der Wassermühle hängt. Man darf gespannt sein, mit welchen Werken das künstlerische Schaffen Simone Karls in den kommenden zwölf Monaten seine Fortsetzung finden wird.