Bargteheide. Premiere in Bargteheide: Warum der Streifen „Es gibt Tage...“ ein sehenswertes Zeitdokument ist, vom Fernsehen aber ignoriert wird.

Armin Mueller-Stahl, dieser Name zieht noch immer. Obwohl der 92 Jahre alte Schauspieler, Musiker, Maler und Autor sich inzwischen aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen hat, ist er der Einladung zur offiziellen Premiere des Films „Es gibt Tage…“ über sein letztes Konzert ins Kleine Theater Bargteheide gefolgt. Mehr als 300 Zuschauer feierten das künstlerische Multitalent mit langanhaltenden, stehenden Ovationen. „Das war doch nun wirklich nicht nötig“, wehrte Mueller-Stahl die Huldigungen bescheiden ab. „Ich habe doch heute auch nur hier gesessen und zugeschaut“, beschied der Mime mit seinem ihm eigenen, verschmitzten Lächeln.

Dass es dem Trägerverein des Kleinen Theaters gelungen sei, den Weltstar zur Filmpremiere nach Bargteheide zu holen, bezeichnete Bürgermeisterin Gabriele Hettwer als „gelungenen Coup“. Er wurde vor allem deshalb möglich, weil Mueller-Stahl momentan im nur 60 Kilometer entfernten Ostseebad Sierksdorf wohnt und arbeitet, wo sich auch sein Atelier befindet. „Als ich hörte, dass die Premiere ausverkauft sein würde, konnte ich doch gar nicht mehr anders“, so der weltweit gefeierte Schauspieler.

Film wird vom Fernsehen verschmäht

Der Film verknüpft Ausschnitte seines Konzerts am 16. Oktober 2018 im Berliner Varietétheater Wintergarten mit Sequenzen aus einem Interview an gleicher Stelle. „Eigentlich waren bei der Tournee noch weitere Auftritte geplant, unter anderem in Wien und Linz. Doch dazu ist es wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie nicht mehr gekommen“, erzählt Musikmanager Hans Jochen Hübenthal.

Norbert Ohl (l.) vom Kino-Team des Kleinen Theaters im Gespräch mit Musikmanager Hans Jochen Hübenthal.
Norbert Ohl (l.) vom Kino-Team des Kleinen Theaters im Gespräch mit Musikmanager Hans Jochen Hübenthal. © HA | Lutz Kastendieck

Ursprünglich war der Film fürs Fernsehen produziert worden. Dort ist er allerdings nie gezeigt worden. „Die großen Sender haben reihenweise abgewunken. Unter anderem mit dem Hinweis darauf, man hätte genug eigenes Filmmaterial mit Mueller-Stahl“, berichtet dessen langjähriger Wegbegleiter Hübenthal. Daraufhin habe er selbst die Rechte gekauft und vermarkte den Film nun ohne Verleih direkt an Lichtspielhäuser. Wo er demnächst unter anderem in Regensburg und Weimar gezeigt wird.

Überzeugt auch als Musiker und Maler

Für Hübenthal ist der Film „Es gibt Tage…“ ein Zeitdokument über einen der namhaftesten Künstler Deutschlands, der es in Ost und West zu großer Popularität gebracht habe. „Der Film zeigt, dass Mueller-Stahl nicht nur ein großartiger Schauspieler ist, sondern auch ein hervorragender Musiker und Poet“, so der Künstleragent. Tatsächlich ist das Konzert mit dem Komponisten und Bandleader Günther Fischer (Piano, Saxofon und Klarinette), Tobias Morgenstern (Akkordeon, Piano) und Tom Götze (Bass und Tuba), das auf dem gleichnamigen Album basiert, sehenswert eingefangen.

„Musik war meine erste große Leidenschaft“, gesteht Mueller-Stahl in dem Film. Aufgewachsen in einer ostpreußischen Kaufmannsfamilie erlernte das dritte von fünf Kindern früh das Geigespielen. Er studierte in West-Berlin Violine und Musikwissenschaft und hätte durchaus als Musiklehrer arbeiten können. Doch der Drang zum Theater war stärker.

Als „James Bond des Ostens“ bekannt geworden

An der berühmten Berliner Volksbühne spielte er über 20 Jahre lang, bis es ihn immer öfter vor die Kamera zog. Dort verkörperte Mueller-Stahl unter anderem einen Agenten in der DDR-Erfolgsserie „Das unsichtbare Visier“. Das brachte ihm den Ruf als „James Bond des Ostens“ ein. Doch irgendwann seien die Drehbücher so absurd geworden, dass er ausstieg.

Olaf Nehls, Vorsitzender des Trägervereins, und Bürgermeisterin Gabriele Hettwer.
Olaf Nehls, Vorsitzender des Trägervereins, und Bürgermeisterin Gabriele Hettwer. © HA | Lutz Kastendieck

„Zum endgültigen Bruch mit der DDR kam es, als ich 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolfgang Biermann unterzeichnete“, so Mueller-Stahl. Plötzlich habe es nach 38 Filmen keine Angebote mehr gegeben. Und ehemals gute Bekannte hätten sogar die Straßenseite gewechselt. „Da schrieb ich einen Brief an Honecker und stellte einen Ausreiseantrag“, erzählt Mueller-Stahl.

Von Fassbinder für den Film „Lola“ verpflichtet

1979 konnte er dann die DDR verlassen. Um im Westen gleich wieder durchzustarten. Rainer Werner Fassbinder verpflichtete ihn 1980 für seinen Film „Lola“. Das sei für seine weitere Karriere ein wichtiger Schritt gewesen. Bis er sich mit 58 Jahren entschloss, auch noch Hollywood zu erobern. Ohne ausreichende Englisch-Kenntnisse.

„Der Grad zwischen Dummheit und Mut war fließend“, sagt Mueller-Stahl. Anfangs habe er nur so getan, als verstehe er, was die Regisseure von ihm wollten. Letztlich hätten sie aber respektiert, dass er sein Handwerk von der Pike auf gelernt habe. Nachdem Autorenfilmer Jim Jarmusch ihn in „Night on Earth“ besetzt hatte, folgten Angebote anderer Hollywood-Größen wie David Cronenberg, Brian de Palma und William Friedkin. Und zwei Oscar-Nominierungen.

In den vergangenen Jahren hat sich Mueller-Stahl altersbedingt vor allem auf die Malerei verlegt. „Alles, was mich berührt, will Wort oder Bild werden“, sagt er. Sein Talent zur Malerei habe er bereits in seiner Zeit am Theater entdeckt. „In den Probepausen skizzierte ich gern meine Kollegen auf Bierdeckeln“, so Mueller-Stahl. Dass die „stets geklaut“ worden seien, wertete er schon früh als gutes Zeichen. „Während man als Schauspieler durch das Drehbuch und die Wünsche des Regisseurs oft gefesselt ist, kann ich mich in der Malerei völlig frei ausleben. Da sind nur ich und das Bild“, erklärt er.

Heute lebt der Weltbürger abwechselnd in Los Angeles, Berlin und Sierksdorf. Und wo fühlt er sich wirklich zu Hause? „Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl“, hat Armin Mueller-Stahl geantwortet. Der sich noch immer als Brückenbauer versteht. „Krieg ist das Schlimmste, was Menschen anderen Menschen antun können“, sagt er mit Blick auf die Ukraine. Deshalb helfe es nicht, sich abzuwenden. „Weil Frieden nun mal nicht vom Himmel fällt“, sagt er.