Todendorf. Todendorferin initiiert kostenfreien bundesweiten Notruf. Überforderte Tierbesitzer können sich dort Rat von Experten holen.

Das Telefon klingelt, der Anrufer hat die Nummer des Hundehalter-Notrufs gewählt. Die Todendorfer Hundetrainerin Nadine Seeger nimmt den Anruf entgegen. Die Frau am anderen Ende schildert die immensen Probleme, die sie mit ihrer Hündin hat, und schließt mit den Worten: „Ich bin kurz davor, sie abzugeben, aber ich möchte das nicht.“

Stormarn: Ausgesetzte Tiere häufen sich zur Ferienzeit

Das möchte auch Seeger nicht. Mit dem von ihr ins Leben gerufenen Notruf will sie dazu beitragen, dass weniger Hunde abgegeben oder ausgesetzt werden. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn der Hund schnell und unauffällig „entsorgt“ werden soll. Beispiele gibt es zur Genüge, in der Ferienzeit häufen sie sich. Manche Hunde, die irgendwo angeleint im Wald zurückgelassen werden, verhungern und verdursten jämmerlich, andere können sich befreien und laufen im schlimmsten Fall vor das nächste Auto.

Im Juni hatte unsere Redaktion erst wieder über einen Schäferhundmischling berichtet, der mit einer schwarz-rot-gelben Leine aus geflochtener Kordel an einem Leitpfosten im Bereich eines Feldweges in Braak angebunden worden war. Als es Passanten entdeckten, lag das verängstigte Tier zitternd auf dem Boden, harrte vermutlich schon seit Stunden oder Tagen an der Stelle aus, wo es zurückgelassen worden war. Solche traurigen Schicksale gehen Seeger ans Herz. Und wären vielfach vermeidbar.

Denn fast immer steckt eine Geschichte dahinter, die damit beginnt, dass sich die Halter schlicht überfordert fühlen und nicht wissen, wie sie zugleich den Bedürfnissen des Hundes und ihren eigenen gerecht werden können.

Ein halb wilder Mischlingshund reißt Hühner

An der Stelle kommen Seeger und ihr Notrufteam ins Spiel. Die Experten hören zu, geben Tipps, erläutern, was in dem Hund vorgeht und was er braucht, damit sich sein Verhalten ändert. Wie das im Fall besagter Anruferin aussieht, schildert Seeger so: „Der Dame ist eine Mischlingspodenco-Hündin zugelaufen, die sich aus allem herausknabbert. Sie ist halb wild und hat die Hühner des Nachbarn gerissen.“

Sie habe der Anruferin ein Sicherheitsgeschirr empfohlen, aus dem sich der Hund nicht so leicht befreien könne. Sie solle es mit Zitronensaft einreiben, um dem Hund das Zerbeißen zu verleiden. „Sie muss die Chance haben, ihn zu führen.“

Für Podencos sei es normal zu jagen. In ihrem Ursprungsland Spanien werden die Hunde vorwiegend in der Kaninchenjagd eingesetzt, sie jagen und apportieren alles, was sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen kann – wie die erwähnten Hühner.

Da das nicht erwünscht sei, müsse der Hund auf andere Art beschäftigt werden. „Es muss sich für ihn lohnen, mit Menschen zusammenzuarbeiten.“ Zwölf Anrufe gehen an diesem Tag ein. Es ist der letzte von dreien, die zeigen sollen, wie gut das Angebot angenommen wird und ob es Sinn macht, es weiterzuführen. Die Anrufer kommen aus ganz Deutschland. Um die Experten zu finden, habe sie hauptsächlich auf ihr eigenes Trainernetzwerk zugegriffen, so Seeger.

Zu Weihnachten werden viele Tiere verschenkt

Die Todendorferin betreibt eine Hundeschule und eine Hundebetreuung mit 35 Plätzen. Manche Menschen bringen ihr Tier für ein paar Stunden zu ihr, damit es Sozialkontakte hat, andere benötigen eine Betreuung über längere Zeit. Initialzündung für das Notruftelefon sei eine Bemerkung einer Kollegin gewesen. Diese hätte mitbekommen, dass sich viele Leute bei ihr nach einem kurzfristigen Betreuungsplatz für die Ferien erkundigt hätten. Doch wie viele andere Pensionen war ihre längst ausgebucht. „Diese Hunde landen dann angebunden im Wald“, habe ihre Kollegin kommentiert. „Da erschien uns der Notruf als eine Lösung, die auf die Schnelle aus der Not geboren ist.“

In der Urlaubszeit würden die meisten Hunde ausgesetzt. „An Weihnachten werden viele verschenkt, die im Sommer darauf am Rastplatz landen.“ Letztendlich sei die Ferienzeit nur das Tüpfelchen auf dem i. Denn viele Menschen hätten sich in der Pandemie ein Tier ins Haus geholt. „Doch dann ist der Hund nicht zu händeln.“ Eine weitere Anruferin an diesem Tag hat ein ganz anderes Problem: Sie ist schwer erkrankt und muss ihren Hund aus gesundheitlichen Gründen abgeben.

Seeger sagt: „Das ist ein großer deutscher Schäferhund mit einer Futteraggression, deswegen hat sie es nicht leicht, ihn unterzubringen. Ich konnte sie auf Portale hinweisen, wo sie gezielter suchen und vielleicht fündig werden kann.“

Sie könne am Telefon jedoch keine auf den jeweiligen Hund zugeschnittenen, sondern mehr allgemeingültige Empfehlungen geben.

Großer Hütehund lässt niemanden ins Haus

„Dann hatten wir einen Herrn am Telefon, der einen Herdenschutzhund hat, einen Kangal, der lässt keinen Besucher ins Haus.“ Keine Überraschung bei einem Kangal, möchte man meinen, eine Hunderasse, die eine Herde zur Not auch gegen einen Wolf verteidigt.

Doch kaum jemand dürfte bereit sein, sich extra für den Hund eine Schafherde in den Garten zu stellen – wenn es überhaupt einen Garten gibt. „Dem Hund muss suggeriert werden, danke, dass du aufgepasst und Bescheid gesagt hast, ich übernehme die Situation jetzt“, sagt Seeger. Es sei gut, ihn an die Leine mit an die Tür zu nehmen, vielleicht sei auch ein Kindergitter hilfreich. In jedem Fall müsse der Hund in einem sicheren Raum zur Ruhe kommen, am besten gebe man ihm noch einen Kauknochen.

Jahrtausendelang hätten die Menschen mit den Hunden in Symbiose zusammengelebt. „Das heißt, wir Menschen haben Hunde zu dem gemacht, was sie sind, haben sie für bestimmte Aufgaben gezüchtet.“ Das Ergebnis: „Jetzt haben wir hübsche arbeitslose Spezialisten.“ Wenn Hunden keine Aufgaben gegeben würden, suchten sie sich eine. „Es geht darum, neue Jobs für sie zu finden, die ihren Fähigkeiten entsprechen.“

Von aversiven Trainingsmethoden, bei denen mit Druck und Strafen gearbeitet wird, hält die Trainerin nichts. „Es gibt immer noch Hundetrainer, die mit der Peitsche arbeiten, doch wenn man keine Ersatzhandlung anbietet, kann man etwas anderes auch nicht verbieten.“ Schläge führten nur dazu, dass der Hund Angst vor seinem Besitzer habe. „Ich kann nur was verlangen, wenn ich vorher die Bedürfnisse des Tieres erfüllt habe.“

Schamgefühl verzweifelter Besitzer ist groß

Sie wolle niemanden, der mit seinem Hund nicht zurechtkomme und ihn abgeben wolle, an den Pranger stellen. „Bei vielen Leuten ist Verzweiflung und Hilflosigkeit da, weil sie nicht mehr weiterwissen.“ Vielfach überwiege die Scham, weil man sich das nicht eingestehen könne oder sich selbst die Schuld an der Situation gebe. Auch der Druck von außen könne stark sein. Für manche sei es schon eine Hilfe, über die Probleme reden zu können. Eine Dame habe beim letzten Mal sogar geweint. „Es ist keine schlechte Entscheidung, den Hund abzugeben, wenn ich nicht zurechtkomme“, meint Seeger.

Bezüglich des Testlaufs zieht Seeger ein positives Fazit: „Die Leute haben das Angebot dankend angenommen.“ Daher will sie den Notruf als Institution fortführen. Am Sonnabend, 6. August, ist das Team von 10 bis 12 Uhr unter der Telefonnummer 04534/299 08 57 erreichbar. Weitere Infos sind unter https://pet-training.de/hundehalter-notruf/ zu finden.