Lübeck/Grande. 31-Jährigen aus Hamburg soll die Opfer in Kleingarten in Grande bei Trittau mit K.o.-Tropfen betäubt haben. Freispruch in einem Punkt.
Unscheinbar, umgeben von Feldern und einem Spielplatz, liegt das Gelände des Kleingärtnervereins in Grande bei Trittau. Nur eine Handvoll Parzellen gibt es hier. Doch eine davon wurde für Natalie S. (alle Namen geändert) zu einem Ort des Grauens: Am 13. Februar 2021 wurde die junge Hamburgerin hier Opfer einer Vergewaltigung.
Gemeinsam mit einer Freundin war Natalie S. der Einladung des 31 Jahre alten Eren K., den die beiden über einen Freund kannten, gefolgt und in dessen Gartenlaube gekommen, für einen gemütlichen Abend bei Bier und anderen Getränken. Sie ahnte nicht, dass K. ihr in einem unbemerkten Moment die Substanz Gammabutyrolacton (GBL), umgangssprachlich als K.o.-Tropfen bekannt, in das Glas gegeben hatte.
Freundin eines Opfers wurde misstrauisch und alarmierte den Notarzt
Die Flüssigkeit, die normalerweise zum Entfernen von Graffiti verwendet wird, wird im Körper in das Schlafmittel Gammahydroxybuttersäure (GHB) umgewandelt. Die andere Frau lockte der 31-Jährige weg, um sich an der bewusstlosen Natalie S. zu vergehen. Doch die Freundin wurde misstrauisch, kam zurück, fand Natalie S. unansprechbar auf einem Sofa liegend und alarmierte den Notarzt.
Nur deshalb flog K. auf. Denn, wie sich herausstellte, war die junge Hamburgerin nicht die einzige Frau, die Opfer des 31-Jährigen geworden war. Wegen schwerer Vergewaltigung in vier Fällen stand K. seit zwei Wochen in Lübeck vor Gericht. Am Donnerstag haben die Richter nun das Urteil verkündet: Sieben Jahre und drei Monate muss der 31-Jährige in Haft.
Richterin: „Opfer wissen bis heute nicht, was mit ihnen passiert ist“
„Besonders schlimm ist es für die Opfer, neben der Tat selbst, dass sie bis heute nicht wissen, was mit ihnen passiert ist“, sagte die Vorsitzende Richterin der VII. Großen Strafkammer am Landgericht Lübeck, Helga von Lukowicz, bei der Bekanntgabe des Urteils. Während sie das Urteil verlas, saß auch Natalie S. im Gerichtssaal. Die Hamburgerin tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf. Ein Schmerzensgeld von 5000 Euro, das K.s Anwalt Urs Pause ihr angeboten hatte, hatte S. zuvor ausgeschlagen.
Die Urteilsverkündung verfolgte die junge Frau aufmerksam, aber ohne sichtbare Emotion. Auch Eren K. nahm die Entscheidung des Gerichts zunächst regungslos auf, starrte mit gesenktem Kopf auf den Tisch vor sich. Doch als Justizbeamte dem 31-Jährigen Handschellen anlegten, um ihn aus dem Saal zu führen, brach der Hamburger in Tränen aus.
Staatsanwältin hatte eine deutlich höhere Strafe gefordert
Mit dem Urteil blieb die Kammer deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafmaß. Anklagevertreterin Magdalena Salska hatte acht Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Die Staatsanwaltschaft hatte K. ursprünglich vier Taten desselben Musters zwischen April 2018 und Februar 2021 zur Last gelegt. Verurteilt wurde er nun aber nur wegen zwei.
In einem Punkt wurde der Hamburger freigesprochen, in einem weiteren wurde das Verfahren eingestellt. Der 31-Jährige soll sich im November 2019 auch an einer 53 Jahre alten Bekannten vergangen haben. Die Tat hatte K. gefilmt, das Video wurde von den Ermittlern auf seinem Handy sichergestellt. Diese und die Vergewaltigung von Natalie S. hatte K. zu Prozessbeginn eingeräumt. Die beiden anderen Taten bestreitet er.
Zwei Frauen erhoben Vorwürfe erst nach Vorladung durch die Polizei
In dem einen Fall soll das Opfer eine 22-Jährige aus Hamburg gewesen sein. K. war Patient in der Arztpraxis, in der die junge Frau ihre Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Fachangestellten absolvierte. Die 26 Jahre alte Rebecca T. soll der Hamburger im September 2019 kennengelernt haben, als beide gemeinsam bei einer Tankstelle in Altona arbeiteten. In beiden Fällen hatten die Frauen sich jedoch nicht unmittelbar nach der Tat bei der Polizei gemeldet.
Erst als die Ermittler ihre Kontaktdaten nach der Auswertung des Smartphones von K. entdeckt und die Frauen zur Befragung vorgeladen hatten, gaben sie an, möglicherweise auch Opfer des 31-Jährigen geworden zu sein. Ein Polizeibeamter hatte vor Gericht zugegeben, die beiden schon vor ihrer Aussage, bei der ersten Kontaktaufnahme, über die Vorwürfe gegen K. informiert zu haben.
Verteidiger bezweifelt die Glaubwürdigkeit von zwei Opfern
Das hatte der Verteidiger des 31-Jährigen moniert und gewarnt, dadurch könnte die Aussage der Frauen verfälscht worden sein. Erschwerend kommt hinzu, dass GHB schon nach kurzer Zeit nicht mehr im Blut nachweisbar ist, wie ein Rechtsmediziner erläuterte. Als bekannt wurde, dass die 22-Jährige vor ihrer ersten Vernehmung mit einem Psychologen gesprochen hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft schließlich, das Verfahren in diesem Fall einzustellen. Die Beweislage sei nicht eindeutig, zudem die Tat angesichts der Schwere der übrigen Vorwürfe nicht ausschlaggebend für das Strafmaß. In dem anderem Fall aus dem September 2019 argumentierte K.s Verteidiger nun ähnlich.
„Ich möchte der Zeugin nicht unterstellen, gelogen zu haben, aber die Information, dass bei anderen Fällen K.o.-Tropfen im Spiel waren, können sie suggestiv beeinflusst haben“, sagte Pause. Tatsächlich hatte die 26-Jährige sich nach der angeblichen Tat noch mehrfach mit dem Angeklagten getroffen, konnte sich eigenen Angaben zufolge auch eine Beziehung mit dem 31-Jährigen vorstellen.
Richter sprechen den 31-Jährigen in einem Fall frei
„Ich konnte mich nicht erinnern und dachte, ich hatte zugestimmt, dass wir Sex haben“, begründete die Hamburgerin das. Erst nach der Vorladung durch die Polizei sei ihr der Gedanke gekommen, dass K.o.-Tropfen im Spiel gewesen sein könnten. „Bis zu ihrer Vorladung hat sie meinem Mandaten sein Verhalten offensichtlich nicht übel genommen“, argumentierte Pause. Der Verteidiger hielt drei Jahre und neun Monate Haft für angemessen.
Das Gericht folgte Pause schließlich, indem es K. in dem Fall der 26-Jährigen freisprach. Es sei nicht auszuschließen, dass die Frau tatsächlich ihr Einverständnis zum Geschlechtsverkehr gegeben habe, ohne sich zu erinnern. Von Lukowicz wies darauf hin, dass die Hamburgerin nach eigener Aussage zuvor gemeinsam mit dem 26-Jährigen „eine große Menge Alkohol“ getrunken hatte, worauf der Gedächtnisverlust ebenfalls zurückgeführt werden könne. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Binnen einer Woche kann K. Revision einlegen.