Ahrensburg. Neuerscheinung präsentiert 20 Krimis, die in Ahrensburg spielen. Die Geschichten stammen ausschließlich von Stormarner Verfassern.
Ein Schrei in der Dunkelheit, ein vermisstes Kind, eine Truhe mit einem Inhalt, dessen Anblick das Blut in den Adern gefrieren lässt. Dass Ahrensburg den passenden Schauplatz für allerlei mörderische oder düstere Umtriebe bietet, mag manche überraschen. Nicht so jedoch die Autoren einer neuen Anthologie, die am 1. September unter dem vielsagenden Titel „Ahrensmord“ in die Buchläden kommt.
Auch Bestseller-Autoren machen bei dem Projekt mit
Initiator des Buchprojekts ist der Ahrensburger Nils Meyer-Selbach. Im Dezember 2020 berichtete das Abendblatt über sein Vorhaben, für das er zehn bis maximal 15 Krimiautoren aus Stormarn suchte. Die Vorgabe: Alle Geschichten sollten einen Bezug zur Schlossstadt haben. Seine Idee stieß auf große Resonanz, sogar Bestseller-Autoren wie Christian Kraus und Klaus E. Spieldenner fanden Gefallen daran.
„Ich hatte bis Februar 2021 die Frist zur Vorstellung eines groben Exposés gesetzt.“ Viele hätten gleich Texte geschickt. „Ende April hatte ich 28 fertige Geschichten auf dem Tisch.“ 20 haben es ins Buch geschafft. Darunter der erste Krimi des Hobbyschriftstellers, der zudem als Herausgeber fungiert.
Der ältester Verfasser ist 95, die jüngste 9 Jahre alt
Aufgrund von Corona sei die Kommunikation vorwiegend über E-Mail gelaufen. „Bis auf Jens Westermann. Er ist mit 95 Jahren der Älteste. Ich habe ihm das Ganze per Post zugeschickt.“ Die jüngsten Verfasser sind Meyer-Selbachs Töchter Mia und Emma. Neun und 15 Jahre waren sie alt, als sie sich die spannende Geschichte ausgedacht haben. „Es geht um einen Mord im Bücherkeller des Eric-Kandel-Gymnasiums“, erläutert ihr Vater. Er habe angenommen, „dass alles Fiktion ist“, dann aber erfahren, „dass es den Bücherkeller wirklich gibt“. Mia habe die meiste Zeit geschrieben, während Emma vor allem Ideen geliefert habe.
Schwieriger stellt sich Meyer-Selbach die permanente Abstimmung bei erwachsenen Autorenduos wie dem Mutter-Sohn-Gespann Philipp und Marlis Schwanenberg vor, das parallel am selben Skript arbeitete. Da müsse man bereit sein, Kompromisse einzugehen und auch mal eigene Ideen zu begraben.
Skulptur vor dem Rathaus inspirierte zu Vermisstenfall
Apropos begraben: Nicht alle Autoren haben Leichen im Keller. Manche verzichten bei ihren Kriminalfällen ganz darauf, andere mögen’s drastisch und plakativ. „Es gibt den seichten Krimi, den mit einer gespaltenen Persönlichkeit, einen, bei dem die Täter sehr grausam vorgehen und vereinzelt sehr blutige Geschichten“, so Meyer-Selbach, „aber auch amüsante oder eine rührende, richtig nette.“ Seine eigene spielt in der alten Klinik an der Manhagener Allee am letzten Abend vor der Schließung. Das Einbeziehen bekannter Orte und realer Ereignisse verleiht den Geschichten Authentizität – und manches Detail, das man bei der Lektüre erfährt, dürfte selbst Ortsansässigen neu sein.
Wie im Krimi der Ahrensburgerin Sybille Röhrl. Sie berichtet, dass er aus einem „Corona-Blues“ heraus entstanden ist. „Ich habe mich tierisch gelangweilt. Also habe ich mich hingesetzt und geschrieben.“ Auf die Idee, „ein Kind verschwinden zu lassen“, hat sie ausgerechnet eine Marmorskulptur vor dem Ahrensburger Rathaus inspiriert. Dass diese ein Kind darstellt, „das sehr unglücklich schaut und in Fesseln ist“, hat sie erst kürzlich entdeckt.
Das Kopfkino spielt auch beim Lesen eine wichtige Rolle
In ihrer Geschichte dreht sich alles um den fünfjährigen Niko, der spurlos verschwunden ist. Seine Mutter zeigt sich erst kooperativ, als sich eine junge Polizistin des Falls annimmt. „An der Überraschung der Polizistin sah sie deutlich eine gewisse Fassungslosigkeit und den unausgesprochenen Gedanken: Wie konnte es sein, dass ein so junges Kind verschwand und die Mutter es bis zum nächsten Morgen nicht merkte.“ Das fragt sich auch der Leser, der sich gemeinsam mit der Polizistin auf Spurensuche begibt.
„Wir sind sehr schnell dabei, über die Schuld von anderen zu reden“, meint die 73-Jährige, die früher von Beruf Lehrerin war. Doch manchmal sei es gar nicht so einfach auszumachen, wer welche Schuld an dem Geschehen trägt. Oder wer Böses im Schilde führt. Wie in Fritz Eickenscheidts Krimi „Der Bücherfreund“, der ganz harmlos beginnt. Drei gelangweilte Jugendliche entdecken im Alten Speicher auf dem Marstall-Gelände eine Truhe. Dass sie den Wert des Inhalts nicht einzuschätzen vermögen, mag daran liegen, „dass es eine Zäsur bei der Vorliebe junger Leute für Literatur gibt“, so Eickenscheidt, Teil des Teams des Literarischen Cafés im Marstall und Verfasser von Bühnenstücken
Alten Speicher wird zum Schauplatz eines Verbrechens
Vom Inneren des Alten Speichers habe er einmal kurz einen kleinen Einblick erhalten und bei der Beschreibung „von außen nach innen geschlossen“. Die Marstall-Mitarbeiter im Krimi „sind an reale Menschen angelehnt, aber ich habe sie abstrahiert und mit neuen Eigenschaften ausgestattet“. Die Vorbilder dürften sich trotzdem in seinen Figuren wiedererkennen, vermutet er schmunzelnd. Wie bei Willy, der bei den Theaterproben hilft und sich auf die Suche nach dem Hausmeister Freddy macht. „Das Tor zum Speicher war nur angelehnt, Willy öffnete es, ging hinein, rief nach Freddy, bekam aber keine Antwort. Nichts. Totenstille.“ Ob der Stille auch ein Toter folgt, müssen die Leser allerdings selbst herausfinden.
Auch beim Krimi von Magda Sorour aus Reinfeld kommt eine Truhe vor. Ihre existiert tatsächlich, und zwar im Keller von Schloss Ahrensburg. Sie hat sie bei einer Führung entdeckt und in den Stoff eingebaut. Ein Mörder verbringt nach der Tat die Nacht im Schloss, wird dann aber mit eigenem Kopfkino konfrontiert – oder ist die Bedrohung real? Das Kopfkino spielt auch beim Lesen eine wichtige Rolle. „Vieles entsteht in der Vorstellungskraft“, sagt Meyer-Selbach. Damit die der Leser nicht zu sehr strapaziert wird, findet sich im Buch eine Karte als kleine Orientierungshilfe.
Für den Verlag ist es ein Experiment mit Potenzial
Die Stärke der Sammlung liegt laut Florian Kubas von den CW Niemeyer Buchverlagen, bei denen die Anthologie erscheint, „in der Ungewöhnlichkeit“. „Es ist ein interessantes Experiment, das gut funktionieren kann“, meint Kubas. Es gebe klar Unterschiede zwischen langjährig professionell agierenden und Laienautoren, doch das Resultat überzeuge durch Unterschiedlichkeit bei gleichzeitig homogener Qualität, spreche so verschiedene Geschmäcker an. „Es hat uns gereizt, dass es auf den Ort gemünzt ist. Es gibt eine Vielzahl von Hamburg-Krimis, aber nur ein einziges Buch mit Ahrensburg-Krimis.“
Ein Alleinstellungsmerkmal – für den Herausgeber zugleich sein Debüt als Krimiverfasser und Herzensangelegenheit. „Ich bin froh, dass ich das Projekt durchgezogen habe“, sagt er. „Es gehört aber auch viel Glück dazu, die Autoren zu finden und den passenden Verlag, der Lust hat, eine solche Anthologie zu veröffentlichen.“ Eine Lieblingsgeschichte hat er nicht. „Ich finde alle großartig“, sagt Meyer-Selbach, der bereits neue Pläne schmiedet. Sein Ziel: eine gemeinsame Stormarn-Lesetour mit anderen „Ahrensmord“-Autoren.