Bad Oldesloe. Kreisweit gibt es noch 153 der Warngeräte. Jahrelang ist die Infrastruktur zur Alarmierung der Bürger vernachlässigt worden.
Am Sonnabend, Punkt 12 Uhr mittags, werden in Stormarn die Warnsirenen ertönen. Eine Minute lang soll dann ein auf- und abschwellender Heulton zu hören sein. Zur Entwarnung ist ein einminütiger Dauerton um 12.05 Uhr geplant. „Hierbei handelt es sich allerdings nur um einen Probealarm“, betont Carsten Horn, Chef der Integrierten Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe. Der Test diene lediglich der technischen Überprüfung der im Kreisgebiet noch vorhandenen Sirenenanlagen.
Viele Sirenen gehören jetzt den Kommunen
Erinnerungen an den 10. September des Vorjahres werden wach. Da hat es eine ähnliche Überprüfung im Rahmen des ersten bundesweiten Warntags gegeben. Mit einem durchwachsenen Ergebnis, das den Verantwortlichen monatelange Nacharbeiten beschert hat. Denn der technische Zustand der jahrelang vernachlässigten Infrastruktur zur Alarmierung der Bevölkerung in Krisen- und Katastrophensituationen war zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannt.
„Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Sirenen in der Regel ins Eigentum der Kommunen übergegangen, die fortan auch für die Wartung verantwortlich waren“, erklärt Horn. Viele Gemeinden hätten die Geräte vornehmlich ihren Freiwilligen Feuerwehren zur Alarmierung ihrer Mitglieder zur Verfügung gestellt. Als Teil eines zentral gesteuerten Warnsystems wurden die Sirenen aber nicht mehr überall betrachtet.
Moderne Fabrikate sind mit Akku ausgestattet
So nahm der Fachbereich Sicherheit und Gefahrenabwehr der Kreisverwaltung den Warntag 2020 zum Anlass, eine grundlegende Analyse des Sirenenbestands und dessen Zustands vorzunehmen. „Wir haben in allen Gemeinden und Feuerwehren eine Abfrage gestartet, wo es überhaupt noch Warnsirenen gibt, wo genau sie sich befinden und ob sie noch funktionstüchtig sind“, sagte Fachbereichsleiter Andreas Rehberg dieser Redaktion.
Die Umfrage ergab, dass zwischen Reinfeld im Norden und Reinbek im Süden noch 153 Sirenen existieren, allerdings in äußerst unterschiedlichem Zustand. „Es gibt noch uralte Modelle, die bei einem Stromausfall nicht mehr funktionieren, aber auch welche, die gar nicht mehr genutzt worden sind“, weiß Horn. Modernere Fabrikate seien indes mit einem Akku ausgestattet, der sie vollkommen unabhängig von einer externen Stromquelle macht.
Feuerwehren sollen Probealarm protokollieren
„Am wichtigsten war bei der Überprüfung aber die Frage, ob die Sirene das von der Integrierten Regionalleitstelle ausgelöste Signal überhaupt noch empfangen kann“, erklärt Horn. Das funktioniere nicht über eine feste Leitung, sondern mittels eines so genannten RICs, eines Radio Identification Codes. Dabei handelt es sich um ein digitales Signal, dass von der Sirene empfangen wird und dann automatisch den Warnton auslöst.
„Im besten Fall werden dann alle Sirenen zeitgleich ausgelöst. Anderenfalls müssen alle Sirenen, die stumm bleiben, nachgesteuert oder ersetzt werden“, erläutert Horn. Dazu hätten alle Gemeindeverwaltungen und Feuerwehren erneut Fragebögen bekommen, in denen sie am Sonnabend den Verlauf des Probealarms protokollieren sollen.
Warn-Apps alarmierten halbe Stunde zu spät
Auf diese Weise sollen Lücken im System aufgedeckt werden, um es wieder effizient aufzustellen. Doch ist solch ein antiquiertes Netzwerk angesichts von Funk und Fernsehen und digitaler Warn-Apps wie „Nina“ und „Katwarn“ überhaupt noch zeitgemäß? Carsten Horn hat dazu eine klare Position. „Aus meiner Sicht gibt es keine effektivere Maßnahme, um die Menschen in Krisensituationen und Katastrophenfällen rechtzeitig zu warnen“, sagt er. „Erst dann sollten sie das Radio einschalten, um weitere Handlungsempfehlungen zu empfangen“, ergänzt Andreas Rehberg. Sirenen seien auch deshalb sicherer und effektiver, weil in Bereichen mit ausgedehnten Funklöchern Apps in Ausnahmesituationen entweder nur eingeschränkt oder womöglich gar nicht mehr funktionieren würden. Bei einem massiven Stromausfall könnten schnell auch sämtliche Handynetze zusammenbrechen.
Wie katastrophal Deutschland auf einen flächendeckenden Ernstfall vorbereitet ist, hatte der bundesweite Warntag im September vergangenen Jahres offenbart. In vielen Bundesländern war der Probealarm nur verspätet oder gar nicht ausgelöst worden. Teilweise waren die Meldungen der Warn-Apps „Nina“ und „Katwarn“ erst mit einer halben Stunde Verspätung auf den Smartphones angekommen.
Für 88 Millionen Euro soll System ertüchtigt werden
Der Verlauf des Warntags wurde letztlich als einziges großes Desaster bilanziert. Für die Panne machte Christoph Unger, der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), anschließend verschiedene Leitstellen verantwortlich. Sie hätten zeitgleich zur zentral ausgegebenen Warnung 30 weitere veranlasst und somit das System zum Absturz gebracht. Dennoch musste Unger seinen Hut nehmen.
Die aufgezeigten Defizite sollten eigentlich bis zum Warntag 2021 am 9. September ausgemerzt sein. Das ist offenbar nicht gelungen. Nach Informationen dieser Zeitung ist er bereits jetzt abgesagt worden. Zur Ertüchtigung des gesamten Systems sollen 88 Millionen Euro investiert werden. Den nächsten Warntag wird es wohl frühestens im September 2022 geben.