Bargteheide. Grünen-Bundestagskandidat Nils Bollenbach bei Insta-Talk massiv beleidigt – mit rechten und homophoben Parolen.

Dass die Hemmschwelle für Verbalattacken rüdester Art in den sozialen Netzwerken rasant sinkt, ist spätestens seit den sexistischen Hasstiraden offenbar geworden, die Grünen-Politikerin Renate Künast auf Facebook entgegenschlugen. Jüngst sah sich nun auch deren Bargteheider Parteifreund Nils Bollenbach mit herabwürdigenden Äußerungen konfrontiert. Während eines Instagram-Livegesprächs mit der Europa-Abgeordneten Katrin Langensiepen bezeichnete ihn ein Zuhörer als „schwulen Hund“, der in anderen Ländern aufgehängt würde.

„Für mich war hier eine rote Linie überschritten“, sagt der 20 Jahre alte Jungpolitiker, der vor allem als Initiator und Sprecher der Initiative Fridays For Future in Bargteheide bekannt geworden ist. Er lasse in der Sache gern mit sich diskutieren. „Doch wenn es unsachlich wird und ich als Person massiv beleidigt und diskreditiert werde, kann das nicht unwidersprochen bleiben“, sagte er.

Gespräch drehte sich um das Thema Vielfalt

Besondere Brisanz bekam der Vorgang, weil es in dem Gespräch mit Lan­gensiepen um das Thema Vielfalt in Parlamenten ging. Nach Ansicht der Grünen sollten Minderheiten, etwa Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderte, stärker in Parteigremien und Parlamenten vertreten sein. Idealerweise entsprechend ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung.

In diesem Sinne engagieren sich Bollenbach und Langensiepen bereits seit Jahren. Nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst mit Behinderungen leben müssen. Bollenbach mit dem Asperger-Syndrom, einer speziellen Form des Autismus, Langensiepen mit einem angeborenen körperlichen Handicap.

Störfeuer mit provokativen Kommentaren

Umso verwerflicher erschien es beiden, dass es bereits nach sechs Minuten ihres knapp einstündigen Insta-Talks zu den ersten provokativen Kommentaren gekommen ist. „Los ging es mit Forderungen wie ,Syrer raus‘ und ,Deutschland den Deutschen‘ und ähnlichen Parolen“, erinnert sich Bollenbach. Auf diese Weise hätten sich fünf bis sechs der insgesamt 70 Zuhörer bemerkbar gemacht.

Aufforderungen, das zu unterlassen, seien aber ignoriert worden. Selbst dann, als mehrere andere Zuhörer forderten, solche Störversuche zu unterlassen. „Erklärtes Ziel war wohl, dass wir das Gespräch abbrechen“, schätzt Bollenbach. Doch diesen Gefallen habe man den Provokateuren nicht tun wollen. Was diese offenbar umso mehr aufstachelte.

Mobbing schon in der Schulzeit erfahren

Als Katrin Langensiepen berichtete, dass sie zum Glück noch keine Morddrohungen erhalten habe, wurde unverhohlen darauf hingewiesen, dass Rechte eher Handeln als Reden. „Dass haben wir beide als indirekte Drohung interpretiert. Ich habe daraufhin drei Profile von Störern noch während des Talks gesperrt“, erzählt Bollenbach. In der Folge hätten sich dann offenbar auch die anderen Provokateure abgemeldet.

Bollenbach ist laut eigener Aussage Schmähungen und Beleidigungen gewohnt, sie gehörten seit Langem zu seinem Alltag. Bereits während seiner Schulzeit in Bargteheide sei er wegen seiner Homosexualität nicht selten gemobbt und ausgegrenzt worden. Seit er im vergangenen Herbst seine Kandidatur für die nächste Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres bekanntgegeben habe, hätten die persönlichen Angriffe aber deutlich zugenommen.

Provokateure nutzen oft Fake-Accounts

„Ich bin schwul, behindert und ein Grüner, damit biete ich offenbar viel Angriffsfläche, das hat die krasse Ablehnung meiner Person spürbar potenziert“, sagt der junge Mann, der im vergangenen Jahr erfolgreich sein Abitur am Eckhorst Gymnasium absolviert hat und demnächst ein Studium an einer Kunsthochschule aufnehmen will.

Obwohl er auf verbale Attacken nie konfrontativ reagiere, spüre er aber sehr wohl den Hass, der ihm insbesondere von Rechten immer wieder entgegenschlage. Die würden sich aber gern hinter Pseudonymen und Fake-Accounts verstecken, statt sich offen zu positionieren. „Es ist ja auch viel leichter, in der Anonymität des Netzes zu hetzen, als seine Ansichten in einer öffentlichen Präsenzveranstaltung mit viel Publikum zu vertreten“, sagt Bollenbach.

Anonymität des Netzes erschwert Strafverfolgung

Die Anonymität des Netzes erschwere aber auch die juristische Verfolgung von Drohungen und Schmähkritik. Das musste er gerade erst wieder auf der Bargteheider Polizeiwache erfahren, wo er Anzeige erstatten wollte. „Ich fühlte mich mit meinem Anliegen dort alles andere als ernstgenommen“, berichtet er. Die Beamten hätten den Vorfall eher bagatellisiert und Nachforschungen per se als aussichtslos eingestuft.

Das allerdings ist auch kein Wunder. Seit der juristischen Aufarbeitung der Hasskommentare im Fall Künast durch das Landgericht Berlin weiß der irritierte Bürger, dass Zuschreibungen wie „Stück Scheiße“, „Schlampe“ und „Geisteskranke“ zulässige Meinungsäußerungen sind und sich selbst die Formulierung „Drecks Fotze“ laut Urteilsbegründung „haarscharf an der Grenze des (...) Hinnehmbaren“ bewege.

„Aus meiner Sicht werden solche verbalen Übergriffe durch Staatsanwaltschaften und Gerichte völlig unzureichend verfolgt und geahndet und in fataler Weise verharmlost“, sagt Bollenbach. Hass und Hetze sollten in einer aufgeklärten Gesellschaft keine Platz haben, seien aber offenkundig tief verwurzelt.

Grüne haben im Vorjahr Vielfalt-Statut verabschiedet

Deshalb will der Jungpolitiker den Kampf für mehr Vielfalt und Toleranz in allen Lebensbereichen weiter mit Entschlossenheit führen. In diesem Sinne sieht er auch seine Kandidatur für den heiß umkämpften Platz sechs auf der Landesliste der Grünen.

„Die Konkurrenz ist groß und prominent“, weiß Nils Bollenbach. Völlig chancenlos sieht er sich aber nicht. Wenn es die Partei mit ihrem im Vorjahr verabschiedeten Vielfalt-Statut ernst meine, dann müsse sie eben auch queere und behinderte Kandidaten nominieren. „Sonst bleiben solche Beschlüsse reine Symbolpolitik ohne jegliche Verbindlichkeit“, sagt er.