Wesenberg. Zwergteckel „Bootsmann“ wird als Assistenzhund ausgebildet. Er kann riechen, wenn sein junges Herrchen niedrige Blutzuckerwerte hat.

Zweimal schon hat „Bootsmann“, der anderthalb Jahre alte Zwergteckel von Familie Lindenau aus Stubbendorf, nachts laut bellend an Jarons Tür gekratzt, um zu dem sechs Jahre alten Jungen zu gelangen. Was der Hund bereits gespürt hatte, bevor der Sensor an Jarons Arm mit Warnsignalen reagierte, war das Absinken von Jarons Blutzucker. Jaron ist seit zwei Jahren Diabetiker Typ 1. Ein Sensor an seinem Arm misst den Glukosewert, eine mobile Pumpe am Bauch versorgt den Jungen durch einen Katheter mit dem für ihn lebensnotwendigen Insulin, weil Jarons Bauchspeicheldrüse nur noch schwach funktioniert und dieses Hormon nicht mehr in ausreichender Menge selbst produzieren kann.

Trainierter Hund kann Unterzuckerung erschnüffeln

„Nachdem Bootsmann im Wohnzimmer angeschlagen hatte, während mein Sohn oben schlief, haben wir den Blutzuckerwert überprüft und festgestellt, dass er tatsächlich zu niedrig war“, sagt Jarons Mutter, Janina Lindenau, die den Zwergteckel seit einem Jahr gemeinsam mit Hundetrainerin Jessica Spehr zum Assistenz- und Begleithund ausbildet. Bootsmanns Aufgabe: Der Hund soll riechen, wenn Jaron „unterzuckert“ und darauf aufmerksam machen. Denn Janina Lindenaus größte Sorge ist es, dass nachts, wenn alle schlafen, niemand bemerkt, wenn Jarons Blutzuckerspiegel gefährlich absinkt. „Der Sensor piept im Fall eines Absinkens nur so laut, dass ein Mensch, der nicht im Tiefschlaf schläft, es im selben Raum hören kann.“ Bei starker Unterzuckerung droht Jaron ohnmächtig zu werden. „Eine schwere Unterzuckerung kann sogar lebensbedrohlich sein“, sagt sie.

Als bei ihrem Sohn Diabetes, auch bekannt als Zuckerkrankheit, diagnostiziert wurde, änderte sich das Leben der zweifachen Mutter von einem Tag auf den anderen. Seitdem muss sie darauf achten, was ihr Sohn isst und trinkt und seine Blutzuckerwerte überwachen, um die nächste Insulingabe entsprechend zu dosieren und seine Unterzuckerung zu verhindern.

Ein Fachartikel brachte die Mutter auf die Idee

Als sie in einem Fachartikel von sogenannten „Dia-Hunden“ las, die bei Menschen feststellen, wenn sie unterzuckern und dann anschlagen, kam ihr die Idee, einen solchen Assistenzhund für Jaron auszubilden. „Wir wollten nachts ruhiger schlafen können“, sagt die 40-Jährige. Hundezüchterin Sandra Finnern aus Klein Rönnau war von der Idee begeistert und vermittelte den Kontakt zu Jessica Spehr aus Selmsdorf, die bereits Erfahrung mit der Ausbildung von Diabetiker-Warnhunden hatte. Gemeinsam suchten Lindenau und Spehr in Klein Rönnau einen Zwergteckel für die Ausbildung aus. „Es sollte ein Hund sein, mit dessen Größe Jaron gut zurecht kommt und der von seinem Naturell gut in die Familie passt“, sagt Lindenau. Die Wahl fiel auf „Bootsmann“.

Er ist Jessica Spehrs sechster Klient, den sie zum Diabetes-Warnhund ausbildet. Mindestens zwei Jahre dauere eine solche Ausbildung, sagt sie. Am Ende muss der Hund eine Prüfung ablegen, die vom Verband für das Deutsche Hundewesen abgenommen wird. Noch arbeitet die 40-Jährige mit Bootsmann an der Geruchsbindung. Dafür nahm Lindenau bei ihrem Sohn, wenn er unterzuckert war, Speichelproben mit Wattestäbchen, die sie anschließend fürs spätere Training einfror. „Das Stäbchen mit dem Speichel kommt in eine Plastikdose mit löchrigem Deckel. Der Hund wird spielerisch mit Schlüsselworten trainiert, um den Geruch wahrzunehmen und belohnt, wenn er sie anstupst oder seine Pfote darauflegt“, erklärt Spehr. „Das wird weiter verfeinert bis zum Betätigen einer Klingel, auf die später die Eltern im Unterzuckerungsfall reagieren können.“

Hund schenkt Kind Normalität und Entlastung

Seit acht Jahren bildet Spehr Hunde als Assistenzhunde aus. „Die Ausbildung ist nicht rassebedingt. Ich habe auch Labradore, Golden Retriever- und Schäferhund-Mischlinge ausgebildet. Es hilft für die Geruchsbindung und die Bindung zum Patienten, wenn der Hund jung ist.“ Für einen jungen Patienten wie Jaron sei es toll, mit Hund groß zu werden. „Denn ein Diabetikerkind ist ständig unter Beobachtung. Das ist für viele Kinder eine Belastung“, so Spehr. „Der Hund schenkt Normalität und Entlastung. Das Kind kann dem Tier auch Sorgen oder Frust anvertrauen.“

Für Jaron ist der Zwergteckel vor allem ein willkommener Spielgefährte und Kuschelpartner, wie der Erstklässler sagt. Dass sein Hund bereits jetzt ein wichtiger Signalgeber für Jarons Gesundheitszustand ist, hat vor allem für die Erwachsenen in seinem Umfeld Bedeutung. „Eine hundertprozentige Sicherheit kriegen wir trotz intensiver Ausbildung nicht hin“, sagt Spehr. „Aber die Riechzellen eines Hundes sind sehr sensibel und verlässlich.“

„Bootsmann“ muss noch eine Prüfung bestehen

Seit Dezember 2019 trainiert sie einmal pro Woche die Geruchsprägung bei Bootsmann, der darüber hinaus täglich mit der Familie übt. „Man darf nicht so viel Druck aufbauen. Für das Training müssen alle in guter Verfassung sein. Im Welpenalter waren es nur kurze Sequenzen, weil das Training für den Hund sehr anstrengend ist. Er muss erst Kondition aufbauen“, sagt Spehr, die vor acht Jahren mit der Ausbildung von Diabetiker-Assistenzhunden begann und in ganz Schleswig-Holstein dafür im Einsatz ist.

„Ich bin über den Hundesport mit meinem Hund zur Ausbildung von Personenspürhunden gekommen. Das Können der Hunde hat mich fasziniert.“ Die Einsatzmöglichkeiten von Hunden zur Frühwarnung seien vielfältig, sagt Spehr. Schließlich habe ein Hund Riechzellen in der Größe eines zusammengefalteten Fußballfelds in der Nase, während Menschen nur über Riechzellen in Waschlappengröße verfügten. Trainierte Hunde könnten bei Epileptikern auch zwei bis drei Tage vorher einen Anfall „vorhersagen“. Bootsmann habe nach neun Monaten Ausbildung große Fortschritte gemacht. Wahrscheinlich kann er 2021 seine Prüfung als „Dia-Hund“ ablegen.