Grossensee. Elmar Klemm hat mehr als 100 Jahre alten Fischerkahn mit seinem Team dokumentiert und 3D-Modell erstellt. Ausstellung für 2021 geplant.
Bekannt und beliebt ist der Großensee vor allem bei Badetouristen, die in den Sommermonaten Erfrischung im kühlen Nass suchen. Doch was viele nicht wissen: Unter der Oberfläche schlummern Relikte längst vergessener Zeiten. Darunter ist auch ein Bootswrack, dessen Alter Wissenschaftler auf mehr als 100 Jahre datieren. Der Großenseer Unterwasserarchäologe Elmar Klemm hat es im Auftrag des Archäologischen Landesamtes untersucht – und ist seinem Ursprung auf die Spur gekommen.
Holzprobe weist auf Baujahr 1901 hin
„Bei dem Wrack handelt es sich um einen Fischerkahn, einen sogenannten Nachen“, sagt Klemm. Jene Boote seien früher häufig zum Fischfang genutzt worden. „Bewegt wurde es mutmaßlich durch Rudern oder Staken, auf ein Segel gibt es keine Hinweise“, so der Experte. Es handele sich um eine Holzkonstruktion, die mit 9,65 Metern Länge und 1,45 Metern Breite deutlich größer als ein gewöhnliches Ruderboot sei. Der Rumpf sei kupferbeschlagen.
„Die Untersuchungsergebnisse einer Holzprobe weisen auf das Baujahr 1901 hin“, so Klemm. Wie lange der Kahn genutzt worden sei lasse sich damit nicht sagen. Auch, warum das Boot sank, sei unklar. „Der Rumpf weist keine Kollisionsspuren auf, mutmaßlich wurde es absichtlich versenkt, als es nicht mehr gebraucht wurde“, so der Experte. Für diese These spreche auch, dass das Wrack relativ nah am Ufer liege.
Das Großenseer Wrack war bereits vor mehreren Jahrzehnten von einer Tauchsportgruppe aus Ahrensburg entdeckt worden. 2012 war es erstmals von Wissenschaftlern untersucht worden, allerdings wurde die Erforschung damals vorzeitig abgebrochen, weil das Landesamt anderen Projekten höhere Priorität beimaß.
Team aus 14 Sporttauchern und Hobby-Archäologen
Klemm, der selbst im vergangenen März von Hamburg nach Großensee gezogen ist, setzte sich dafür ein, dass die Untersuchung wieder aufgegriffen wurde. „Ich habe den Forschungsbericht im Internet entdeckt, da war meine Neugier sofort geweckt“, sagt er.
„Es war die letzte Chance, bevor das Wrack vollständig zerfallen sein wird.“ Schon jetzt habe sich der Zustand des Kahns gegenüber 2012 drastisch verschlechtert. „Ich habe dann ein Team aus Bekannten und verfügbaren Ehrenamtlern zusammengestellt“, so der Großenseer. Letztlich sei ein Team aus 14 Sporttauchern und Hobby-Archäologen im Einsatz gewesen.
Klemm selbst war rund 20 Mal unter Wasser
„Die ungefähre Position kannte ich aus dem Bericht zur ersten Untersuchung“, sagt Klemm. „Am 15. September 2019 bin ich mit einem Kollegen erstmals runter getaucht, nach 25 Minuten haben wir das Wrack in 7,5 Metern Tiefe gefunden.“ Die Sicht im Großensee sei schlecht. „Das Wasser ist trüb und das Sediment äußerst dunkel“, so der Unterwasserarchäologe. Die Taucher hätten nie mehr als drei Meter Sicht gehabt, zu Jahresbeginn während der Algenblüte sogar nur wenige Zentimeter.
Bis zum letzten Tauchgang am 20. September war Elmar Klemm rund 20 Mal unter Wasser, ausgerüstet mit Trockenanzug, Sauerstoffgerät, Kameraausrüstung, einem speziellen Scooter, mit dem sich die Taucher im Wasser fortbewegen. Aus Sicherheitsgründen wurde er immer von einem Partner begleitet. „Jeder Tauchgang hat zwischen 45 Minuten und einer Stunde gedauert“, sagt Klemm.
Forscher erstellen anhand von Fotos 3D-Modell des Wracks
Das Team habe mehr als 600 Fotos von dem Wrack gemacht und mit dem Computer im sogenannten Structure-from-Motion-Verfahren zu einem 3D-Modell zusammengesetzt. „Dadurch bleibt das Wrack bis ins Detail dokumentiert, auch nachdem es vollständig zerfallen ist“, sagt der Großenseer. Geborgen werden solle es nicht. „Nicht nur es zu heben wäre mit großem Aufwand verbunden, die Kosten für die Konservierung und den Erhalt wären immens.“ Gearbeitet hat das gesamte Team ehrenamtlich. „Das Landesamt kooperiert immer wieder gern mit Sporttauchern für Forschungsprojekte“, sagt Klemm.
Der Großenseer hat nie Archäologie studiert, arbeitet hauptberuflich im kaufmännischen Bereich. „Ich habe den Sporttaucherschein und verschiedene Fortbildungen zum Thema Unterwasserarchäologie gemacht“, erzählt Klemm, der auch im Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) aktiv ist. Der Großensee sei eine neue Herausforderung. „Meist arbeite ich in der Ostsee“, sagt Klemm. Im Verhältnis zu dem nur 73 Hektar messenden Großensee sei das Wrack überraschend groß. „Wahrscheinlich wurden von dem Boot aus Netze gelegt“, sagt der Experte. Dafür spreche die Länge des Wracks. „Die langen Seiten sind ideal, um darüber ein Netz einzuholen.“
Von angeblichem zweiten Wrack fehlt bislang jede Spur
Eigentümer des Kahns sei wahrscheinlich ein Fischereibetrieb gewesen, der bis ins 20. Jahrhundert auf der Insel in der Mitte des Sees ansässig gewesen sei. „Darauf deuten auch Reste eines Stegs im Wasser hin“, so Klemm. Der Trittauer Pastor Alfred Jessen (1845-1912) erwähne in seiner 1914 veröffentlichten Chronik ebenfalls einen Fischereibetrieb am Großensee. Bis 1935 sei dort nachweislich Fischfang betrieben worden, dann habe der Letzte seiner Zunft aufgegeben: Hein Levermann. „Ihm oder seinen Vorgängern gehörte sehr wahrscheinlich der Nachen“, sagt Klemm.
Während der Ursprung des Kahns somit wohl geklärt ist, bereitet ein anderes Rätsel Elmar Klemm Kopfzerbrechen: „Die Tauchsportgruppe, die damals das Wrack entdeckt hat, hat angegeben, dass es noch ein zweites gibt.“ Einen Anker und Waffenarsenale aus dem Zweiten Weltkrieg hätten sie gefunden, aber von einem zweiten Wrack fehle jede Spur. Der Experte mutmaßt: „Entweder ist es eine Legende oder inzwischen vollständig zersetzt.“
Klarheit soll nun ein sogenanntes Sidescan-Sonar bringen. „Wir fahren den gesamten See per Boot ab, dabei sendet ein spezielles Gerät Schallimpulse aus“, erklärt der Großenseer. Anhand der Echosignale erstelle das Gerät eine präzise Grundkarte. „Darauf ist jede Unebenheit erkennbar und wir können sehen, ob es am Grund irgendwo Spuren eines Wracks gibt.“ Seine Forschungsergebnisse will Klemm im kommenden Jahr in einer Ausstellung in Großensee präsentieren. Auch Fachvorträge von Experten soll es geben. Klemm: „Einen Termin gibt es mit Blick auf die Entwicklung der Coronapandemie noch nicht.“