Glinde. Bewohner eines Hochhauses an der Möllner Landstraße sollen für unsanierte Wohnungen mehr zahlen. Politik schaltet sich ein.
Christel (66) und Torsten Schliecker (65) haben sich ihre Bleibe hübsch eingerichtet mit hellen Möbeln. Sie leben seit 2014 in einer 71 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung im sechsten Geschoss eines Hochhauses an der Möllner Landstraße in der Glinder Innenstadt.
Deutliche Mieterhöhung für Wohnungen eines Glinder Hochhauses
Hier fühlen sich die Rentner wohl und wollen, wenn es der Gesundheitszustand erlaubt, nicht mehr umziehen. Also alles paletti? Mitnichten. Das Ehepaar soll zum 1. September rund elf Prozent mehr Miete zahlen, dann 636 Euro kalt pro Monat.
Bereits im Februar 2018 wurde um knapp acht Prozent erhöht. Die Schlieckers wollen das nicht akzeptieren und haben den Mieterverein eingeschaltet. Nachbarn, die ebenfalls drauflegen sollen, sind bei einem Anwalt vorstellig geworden. Womöglich kommt es zu einem Prozess.
Eigentümer ist das Unternehmen Wohnbau
Eigentümer des neungeschossigen Gebäudes mit verglasten Balkons, in dem 63 Parteien ein Zuhause haben und das 1969 erstellt wurde, ist das Unternehmen Wohnbau mit Sitz in Bonn. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wurde 1921 in Berlin gegründet, bewirtschaftet im Bundesgebiet 19.750 eigene Mietwohnungen und mehr als 4000 Eigentumswohnungen für Dritte.
Sie darf die Miete innerhalb von drei Jahren um 20 Prozent erhöhen. Im Fall der Schlieckers bleibt die Firma knapp unter der Marke. Diese lag im vergangenen Jahr noch bei 15 Prozent. Allerdings hat Schleswig-Holstein die Mietpreisbremse als erstes Bundesland vorzeitig abgeschafft und zum 30. November 2019 die Absenkung der Kappungsgrenze für Mieterhöhungen auslaufen lassen.
Bewohnerin: „Es geht hier ums Prinzip“
Das Glinder Ehepaar soll künftig 8,92 Euro statt wie jetzt 8,01 Euro kalt pro Quadratmeter zahlen. Zehn Euro bei Bestandsimmobilien sind normal in der 18.700-Einwohner-Stadt. „Wir können uns das leisten, aber es geht hier ums Prinzip“, sagt Christel Schliecker.
Einen Mietenspiegel wie in Hamburg gibt es nicht. Deswegen hat Wohnbau als Basis für die Erhöhung drei Vergleichswohnungen aus demselben Haus mit identischer Größe herangezogen. Hier zahlen die Mieter zwischen 9,25 und 9,50 Euro kalt. Allerdings sind diese Einheiten saniert. So steht es in einem Schreiben der Firma.
Genau diese Tatsache ist der Knackpunkt für die Schlieckers. „Unsere Wohnung war nicht tapeziert und hatte keinen Fußbodenbelag. Außerdem sind die Heizkörper 40 Jahre alt“, so die Rentnerin, die ihre erste Mieterhöhung in dem Objekt im November 2016 mit rund drei Prozent hatte. Die Küche hat das Paar selbst gekauft.
Die Frist läuft am 21. August ab
Die Eheleute, deren Warmmiete auf 814 Euro steigen würde, haben Widerspruch eingelegt. Die Firma Wohnbau beharrt auf ihrer Forderung, beruft sich darauf, keine Kappungsgrenze zu überschreiten und bittet die Glinder in einem Schreiben, „Ihren Widerspruch zur Mieterhöhung zu überdenken und uns die Zustimmungserklärung unterschrieben zuzusenden“.
Die Frist läuft am 21. August ab, signieren werden die Schlieckers bis dahin nicht. Stattdessen schalteten sie den Mieterverein zu Hamburg ein. Dort sind sie Mitglied.
Dieser bezieht sich in einem Brief an das Bonner Unternehmen auf eine der sanierten Einheiten: „Nach unserer Auffassung sind beide Wohnungen nicht vergleichbar, sodass das Mieterhöhungsverlangen unbegründet ist.“ Bei einer Eskalation des Streits stellt der Mieterverein den Schlieckers einen Rechtsanwalt.
Den hat Nachbar Guido Pätzel, der mit seiner Frau ebenfalls 71 Quadratmeter bewohnt, schon kontaktiert. Der 48 Jahre alte Augenoptiker soll künftig 651 statt 570 Euro kalt zahlen. Er sagt: „Das sehe ich nicht ein, weil bei mir nicht voll saniert ist.“
Mieterhöhung trotz 30 Jahre alter Fenster
Die Fenster seien mindestens 30 Jahre alt. Pätzel hat Angst vor weiteren Mieterhöhungen. „Irgendwann kriegen wir das finanziell nicht mehr hin.“ Auch Adolf Bienentreu (87) will die 85 Euro Mehrkosten im Monat nicht bezahlen.
Von einer Mieterhöhung sind nicht alle Parteien im Haus betroffen. Der zuständige Wohnbau-Mitarbeiter befindet sich im Urlaub. Man könne deshalb nicht binnen eines Tages qualifiziert Stellung zu dem Thema beziehen, hieß es auf Anfrage unserer Redaktion.
SPD-Landtagsabgeordneter hat sich eingeschaltet
Christel Schliecker hat in der Angelegenheit den SPD-Landtagsabgeordneten Martin Habersaat (SPD) aus Reinbek angeschrieben, der sich jetzt die Sorgen der Bewohner vor Ort anhörte. Auch Frank Lauterbach, Chef der Glinder SPD-Fraktion, und seine Stellvertreterin Marlies Kröpke waren dabei. „Ich wäre dafür, dass das Land die Region bei der Erstellung eines Mietenspiegels finanziell unterstützt“, sagt Habersaat.
Er kritisierte die Landesregierung aus CDU, Grünen und FDP für die Abschaffung der Mietpreisbremse wiederholt und verspricht: „Mieterschutz wird sicherlich Thema bei der nächsten Landtagswahl.“
Innenstadtkonzept mit 100 Sozialwohnungen
Das Wohnen im Hamburger Speckgürtel wird immer teurer. Vor allem fehlen in Glinde Einheiten mit günstigen Mieten. Im Rathaus existiert eine Liste mit rund 300 Personen, die eine Sozialwohnung suchen. Die Politik achtet zwar beim Absegnen von Bebauungsplänen für Geschosswohnungen darauf, dass mindestens 30 Prozent öffentlich gefördert sind.
Aktuelle Projekte decken den Bedarf bei Weitem nicht ab. Hoffnung auf Besserung macht das Innenstadtkonzept, das die Parteien auf den Weg gebracht haben. Zentraler Bestandteil ist die Schaffung von 300 Wohnungen, 100 davon mit günstigen Mieten. Allerdings müssen auch die Investoren mitspielen.
Informationen zum Mietenspiegel:
Seine Grundlage hat der Mietenspiegel im Bürgerlichen Gesetzbuch. Er gibt einen Überblick über die ortsübliche Vergleichsmiete für frei finanzierte Wohnungen nach Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage, dient als Begründungsmittel für Mieterhöhungen.
Städte und Kommunen sind nicht verpflichtet, einen Mietenspiegel aufzustellen. Federführend bei der Erstellung sind Behörden, die dabei unter anderem mit Mieter- und Vermieterverbänden zusammenarbeiten. In Hamburg erscheint der Mietenspiegel seit 1976 alle zwei Jahre. Glinde und die Nachbarkommunen Reinbek, Barsbüttel und Oststeinbek sowie Wentorf (Kreis Herzogtum Lauenburg) haben keinen.