Bargteheide. Die aktuelle Lage hat schon nach kurzer Zeit gravierende Auswirkungen auf viele Unternehmen in der Region. Viele plagen Zukunftssorgen.
Die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft im Norden sind massiv: Aufträge werden storniert, Betriebe müssen vorerst schließen, die Umsätze sind eingebrochen. Entsprechend verheerend ist die Stimmung bei den Unternehmen. Von einem regelrechten Telefon-Tsunami spricht man bei den Handelskammern in Schleswig-Holstein. „Bei den drei Kammern gehen täglich etwa 1000 Anrufe ein“, sagt Nils Thoralf Jarck, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK zu Lübeck. Die Not der Betroffenen sei unbeschreiblich. „Die Anrufer sind in akuter Not, fast die Hälfte von ihnen weint und weiß nicht weiter“, so der Diplom-Volkswirt, der auch die IHK-Geschäftsstelle in Ahrensburg leitet.
IHK fürchtet Insolvenzwelle ungekannten Ausmaßes
Im Unterschied zur Finanzkrise habe die jetzige Situation die Menschen über Nacht betroffen – und zu schwersten Liquiditätsproblemen geführt. „Die Not breitet sich unheimlich schnell und unheimlich breit aus“, sagt Jarck. Die langwierigen Darlehensprogramme seien nicht das richtige Medikament, um die Corona-Schäden zu heilen. „Solange halten die Unternehmen nicht mehr durch. Wir brauchen ein schnelles und schlankes Zuschusspaket“, fordert er. Wichtig sei jetzt Geschwindigkeit: „Sonst sterben uns die Unternehmen weg. In nahezu allen Bereichen“, sagt Nils Thoralf Jarck. Die Folge wäre eine Insolvenzwelle ungekannten Ausmaßes.
Stephanie Mallien ist erst seit 15 Monaten Besitzerin der Boutique „Die Sternschnuppe“ an der Rathausstraße in Bargteheide, konnte bisher eigenen Angaben zufolge kein Polster für schwere Zeiten ansparen. Wenn die Menschen nun bei großen Online-Händlern wie Amazon einkauften, sei das für ihren Laden vernichtend, sagt die 50-Jährige. Für sie selbst komme ein Online-Shop vorerst nicht infrage, weil die Einrichtung weitere Kosten verursachen würde. Schon jetzt müsse sie in den kommenden Monaten bis zu 1300 Euro laufende Kosten stemmen. „Die Kunden rufen mich zu Hause an, fragen, ob ich nicht trotzdem öffnen kann“, sagt Mallien. „Auch wenn es mir schwer fällt, sage ich ihnen, dass wir hoffen, im Mai wieder öffnen zu können.“
Stark von der Krise betroffen sind auch Gebäudereiniger
Auch Autohäuser sind betroffen. „Bei uns ist die Nachfrage unter 50 Prozent von dem, was wir eingeplant hatten“, sagt Philip Leuchtenberger, Geschäftsführer des Autohauses Stadac in Norderstedt. Intensiv habe er sich damit beschäftigt, ob er komplett schließen müsse. Immerhin: Die Werkstatt darf weiterlaufen. „Wir sind auch in der Lage, Notfälle zu bearbeiten“, sagt Leuchtenberger. Theoretisch wäre ein Online-Autoverkauf möglich, Testfahrten und Flanieren im Showroom sind verboten. Doch den meisten Kunden ist aktuell nicht nach einem neuem Fahrzeug. Bald wird Leuchtenberger vermutlich für die ersten Mitarbeiter Kurzarbeit beantragen. Ohne Kredite werde es nicht gehen, sagt er – und befürchtet Insolvenzen, etwa bei Lackierern und Autoaufbereitern.
Stark von der Krise betroffen sind auch die Gebäudereiniger. Sie hoffen auf schnelle finanzielle Hilfe. „Sonst werden viele Unternehmen die Krise nicht überstehen“, sagt Marcus Papist, Geschäftsführer von ES-Gebäude-Service in Ellerau. Das Unternehmen mit 300 Mitarbeitern reinigt vor allem Gewerbeflächen. „Da viele Firmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt haben und ihre Büros dicht machen und der Einzelhandel komplett schließt, brechen viele Aufträge jetzt weg“, sagt Papist, der ebenfalls über Kurzarbeit nachdenken muss. „Angesichts von Personalkosten von mehr als 80 Prozent wird vielen Unternehmen nichts anderes übrig bleiben.“ Papist glaubt, dass sich die Branche nur schwer von der Krise erholen wird.
Unternehmer startet eine Online-Petition für Hilfe
In einer gemeinsamen Erklärung haben Jörn Arp, Präsident der Handwerkskammer Flensburg, Ralf Stamer, Präsident der Handwerkskammer Lübeck, und Thorsten Freiberg, Präsident des Vereins Handwerk Schleswig-Holstein, umfangreiche Hilfe gefordert. „Viele Firmen sind existenziell gefährdet.“ Deswegen soll die Regierung eine Soforthilfe für in Not geratene kleine Unternehmen auszahlen, zwischen 5000 und 25.000 Euro als nicht rückzahlbaren Zuschuss, damit die Betriebe ihren Verpflichtungen nachkommen können. Kurzarbeitergeld müsse an alle Handwerksunternehmen fließen, außerdem die Liquidität durch flexible Kredite, Darlehen und Bürgschaften gesichert werden. Daneben wird unnötige Bürokratie kritisiert: „Es kann nicht sein, dass die Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein 15 verschiedene Allgemeinverfügungen zur Beschränkung von Kontakten für ihre Arbeit berücksichtigen müssen.“
Kleinunternehmer wie der Norderstedter Veranstalter Thomas Will mit seinen zwei Angestellten haben jetzt alle Hände voll zu tun, das Hier und Jetzt zu bewältigen. Seine Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Die Existenz vieler Agenturen und der Firmen im Technikverleih, beim Messebau und auch der Freelancer sei extrem gefährdet. „Mir brechen alle Messen in Norderstedt und Hamburg weg. Manche sagen auch schon Termine im Sommer ab.“ Will hat eine Online-Petition ins Leben gerufen, fordert unter chng.it/9vCZjVT8c8 Hilfe für kleine Betriebe und Freelancer mit einer Grundsicherung für vier bis sechs Monate.
Bei Messebauern könnte es langfristig zu Engpässen kommen
Finanzielle Unterstützung fordert auch Torsten Schumacher, Chef der Brauerei in Grönwohld. „Sonst werden es viele regionale Unternehmen sehr schwer haben, die Krise zu überstehen – auch wir“, sagt der 60-Jährige. Als Zugehöriger zur Getränkeindustrie dürfe er sein Geschäft zwar noch öffnen, dennoch bemerke er einen deutlich spürbaren Kundenrückgang. Er musste für seine Auszubildende Kurzarbeit anmelden, sagt: „Wir leben von unseren Bierevents, die aktuell nicht mehr möglich sind.“
Sebastian Goers von Lüco Messebau befürchtet, dass viele Messebauer die Krise nicht überstehen und es langfristig zu Engpässen kommen wird. „Wenn so viele Unternehmen aufgeben müssen, werden die Verbleibenden die Auftragsflut nach Ende von Corona nicht bewältigen können.“