Ahrensburg/Reinbek. Kaufleute im Kreis beklagen rechtliche Unklarheit. Versprochene Hilfskredite sehen sie wegen bürokratischen Aufwands kritisch.

Ab sofort sind fast alle Geschäfte in Schleswig-Holstein geschlossen. Das hat die Landesregierung in Kiel angeordnet, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Nur Supermärkte, Apotheken und einige andere für die Grundversorgung unverzichtbare Geschäftszweige sind ausgenommen. Auch in Stormarn muss die Mehrheit der Einzelhändler schließen. Zahlreiche Ladeninhaber fürchten um ihre Existenz.

Stetige Informationsflut verunsichert die Kaufleute

Anke Harder mus ihre Boutique Chic-Chic an der Bahnhofstraße in Bargteheide vorläufig schließen und fürchtet um ihre Existenz.
Anke Harder mus ihre Boutique Chic-Chic an der Bahnhofstraße in Bargteheide vorläufig schließen und fürchtet um ihre Existenz. © Pia Rabener

Anke Harder ist geschockt. „Ich bin noch nicht lange in der Branche tätig, habe kein finanzielles Polster und muss bereits einen Kredit abbezahlen“, sagt die 53-Jährige mit Tränen in den Augen. Einen Hilfskredit zu beantragen ist für sie keine Option. Die Quereinsteigerin ist Inhaberin der Boutique Chic-Chic an der Bargteheider Bahnhofstraße. Da sie schon im Vorfeld der Corona-Pandemie wetterbedingt wenig Umsatz gemacht habe, sitze sie auf Lagerware im Wert von mehreren Tausend Euro. Hinzu kämen die monatlich anfallenden Fixkosten von rund 1600 Euro. Einen Lieferservice könne sie nicht auf die Beine stellen. Und eine Sache macht die Ladenbesitzerin wütend: „Wenn öffentlich auch noch Werbung für Online-Händler wie Amazon gemacht wird, haben wir Kleinen keine Chance.“

„Die Schließung bedeutet für uns einen massiven Umsatzausfall“, sagt auch Andreas Werning, Juwelier in Ahrensburg. „Ein kompletter Monat an Einnahmen bricht einfach weg.“ Gleichzeitig liefen die Kosten weiter. So müsse er während der Schließung für seine beiden Ladenflächen am Rondeel und an der Großen Straße die Miete bezahlen. Andreas Werning hat immerhin einen Fallschirm, wie er sagt: „Unser Online-Versandhandel läuft weiter und wir können Reparaturen und Werkstattarbeiten nach Vereinbarung anbieten.“ Händler, die diese Möglichkeiten nicht hätten, treffe es härter.

Ladenschließung bedeute Einbußen bis zu 80 Prozent

Corinna Friedrich (l.) und Heike Lamprecht vom Modegeschäft Pro-Secco in Reinbek wollen ihre Kundinnen per Post beliefern.
Corinna Friedrich (l.) und Heike Lamprecht vom Modegeschäft Pro-Secco in Reinbek wollen ihre Kundinnen per Post beliefern. © Pia Rabener

Auf schnelle Hilfe der Bundesregierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mag Werning nicht setzen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die KfW in kurzer Zeit zigtausende Anträge bearbeiten kann.“ Abgesehen von der Existenzangst mache die Ungewissheit Händlern zu schaffen, sagt Werning, der auch Mitglied in der Ahrensburger Kaufleutevereinigung Stadtforum ist. „Es wird ein dramatischer Einschnitt für den Einzelhandel, den es so noch nicht gegeben hat“, betont er. Niemand wisse, wie lange die Schließung andauern werde, daher könnten Ladeninhaber nicht planen. „Ich stelle mich vorerst auf vier bis fünf Wochen ein“, so Werning.

„Die Ladenschließung bedeutet für uns Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent“, sagt Anja Paysen, Geschäftsführerin des Bekleidungsgeschäftes Pro-Secco in Reinbek. Dass sie ihren Laden schließen muss, habe sie aus den Medien erfahren. „Die Frühlingssaison schreitet voran und unsere Lieferanten wollen in sechs Wochen schon die nächste Kollektion an den Markt bringen“, so Paysen.

Vor allem nicht systemrelevante Dienstleister betroffen

Ihrer Kundschaft, gut situierte Frauen aus dem Umkreis, will Paysen jetzt anbieten, ihnen eine Auswahl per Post zu schicken. „Das ist aber nicht zu vergleichen mit dem Kauferlebnis, das eine Kundin bei uns im Laden erfährt“, sagt die Geschäftsführerin. Gerade der Textil-Einzelhandel sei auf Kundenkontakt angewiesen. Ihre Mitarbeiterinnen Corinna Friedrich und Heike Lamprecht haben Verständnis für die Schließung. „Gesundheit geht vor“, sagen sie.

Als nicht systemrelevanter Dienstleister ist auch der F. S. S. Foto-Schnell-Service an der Hude in Bad Oldesloe von der Schließung betroffen. „Die Sicherheit geht vor und da müssen wir alle zusammenhalten“, sagt Fotografin Ilona Figur. Sie versucht, sich so gut wie möglich an die Empfehlungen der Behörden zu halten. „Es ist nicht einfach, sich die höflichen Umgangsformen wie Händeschütteln abzugewöhnen“, sagt sie.

Kaufleute-Vereinigung stellt online Informationen bereit

Die letzten Bilder vor der Schließung : Ilona Figur (r.) vom Foto-Schnell-Service in Bad Oldesloe mit Kundin Laura Weidemann.
Die letzten Bilder vor der Schließung : Ilona Figur (r.) vom Foto-Schnell-Service in Bad Oldesloe mit Kundin Laura Weidemann. © Finn Fischer

„Für einige Einzelhändler kann eine wochenlange Zwangsschließung existenzbedrohend sein“, sagt Nicole Brandstetter von der Wirtschaftsvereinigung Bad Oldesloe. In der Kreisstadt gebe es Betriebe, die die Krise nicht ohne finanzielle Hilfen überstehen könnten. Die Reaktionen auf die strikten Öffnungsverbote seien gemischt. Vereinzelt würden Inhaber auch mit Unverständnis reagieren, wie Brandstetter sagt: „Das kann ich schon verstehen. Wer seine Existenz bedroht sieht, handelt schnell irrational.“ Die Wirtschaftsvereinigung versorge die Geschäftsleute über einen Mailverteiler mit Informationen.

Ähnlich geht das Ahrensburger Stadtforum vor. Götz Westphal, der Vorsitzende, fordert Klarheit von der Politik. Bis es die gebe, wolle die Kaufleute-Vereinigung auf ihrer Internetseite stetig aktuelle Informationen bereitstellen. Westphal sagt gegenüber dem Abendblatt: „Gerade kleine Betriebe werden von der Informationsflut geradezu überschwemmt.“ Westphal und sein Team sammeln alle Meldungen, filtern sie und halten die Händler auf dem Laufenden. Westphal sagt: Es ist ein enormer Koordinationsaufwand.“

Wolfgang Sarau, Vorsitzender des Rings Bargteheider Kaufleute (RBK), hat wenig Vertrauen in die Zusagen der Politik für Hilfskredite, sagt: „Die Grundaussage, das kein Arbeitsplatz verloren gehe, reiht sich in die Reihe leerer Versprechungen ein, wie auch ,Die Rente ist sicher’.“ Solche Garantien bewiesen nur, „dass die Politik nicht weiß, was an der Front abgeht.“

Wer hat noch geöffnet, wer muss schließen?

Die Landesregierung hat wegen des Coronavirus mit weiteren drastischen Maßnahmen für Einzelhandel, Tourismus und Gastronomie reagiert. Seit Mittwoch, 18. März, dürfen im Land nur noch Geschäfte öffnen, die zur Grundversorgung beitragen. Lebensmittelläden zählen dazu, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Post, Friseure, Reinigungen, Waschsalons, Zeitungsverkäufer, Bau- und Gartenmärkte, Geschäfte für Tiernahrung, der Großhandel und Lebensmittelausgabestellen wie die Tafeln. Ihrer Tätigkeit weiter nachgehen können Dienstleister und Handwerker. Gastronomiebetriebe dürfen nur noch außer Haus bedienen (mehr auf Seite 25), Hotels sind geschlossen.