Bargfeld-Stegen. Im Haus der Kinder gibt es die Idee, Elektro-Autos für Mitarbeiter zu leasen und Wohnungen zu mieten. Die Gemeinde prüft.
Extremer Fachkräftemangel bringt Kindertagesstätten im Kreis Stormarn an ihre Grenzen. Ein Hilferuf erreichte das Abendblatt jetzt aus Bargfeld-Stegen. In der evangelischen Kita Haus der Kinder sind derzeit sechs Erzieherstellen ausgeschrieben, drei weitere Stellenvakanzen kommen durch das neue Kitagesetz im August dazu. Bereits jetzt mussten Gruppen durch Krankheitsfälle in der Belegschaft tageweise geschlossen und Eltern zur Unterstützung eingesetzt werden. Im Wettstreit um neues Personal überlegt die Einrichtung nun, neue Wege zu gehen.
Es sei schwer, Fachkräfte anzuwerben
Wenn um sieben Uhr morgens Krankmeldungen von Mitarbeitern auf dem Anrufbeantworter zu hören sind, startet der Tag denkbar schlecht für Melike Milz, die im Januar die Kita-Leitung im Haus der Kinder übernommen hat. „Dann mache ich mir einen Plan, was wir an dem Tag überhaupt leisten können und fange an, Eltern abzutelefonieren“, sagt die 29 Jahre alte Erzieherin. Konkret bedeutet dies, Mütter und Väter zu bitten, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. „In Einzelfällen müssen wir Gruppen schließen“, sagt Milz. „Für Eltern, die auf die Betreuung angewiesen sind, ist das natürlich mehr als ärgerlich.“
Sieben Gruppen mit insgesamt 106 Jungen und Mädchen hat die Kita in Bargfeld-Stegen. Durch Personalmangel gebeutelt sei sie schon lange, so die Leiterin. In den vergangenen Monaten habe sich das Problem weiter zugespitzt, was zu einem permanenten Spagat zwischen dem Team, den Kindern, aber auch Eltern führe. Doch obwohl sie die Not der Eltern verstehe, sei es schwierig, eine Lösung zu finden. Von der Heimaufsicht im Kreis Stormarn gebe es klare Vorgaben, wie der Erzieherschlüssel umgesetzt werden müsse. Eltern und andere Hilfskräfte dürften – wenn überhaupt – stundenweise Sozialpädagogische Assistenten ersetzen, jedoch keine Erzieher. Gleichzeitig sei es schwer, Fachkräfte anzuwerben. Selbst bei Zeitarbeitsfirmen seien Springerkräfte derzeit rar. „Permanenter Wechsel belastet unser Personal zusätzlich, da neue Mitarbeiter zunächst eingearbeitet werden müssen“, sagt Milz. „Dies passt mit unserem gesetzlichen Bildungsauftrag und Anspruch, Beziehungsarbeit zu leisten, nicht überein.“
Aktuell sind drei Stellen ausgeschrieben
Ähnliche Probleme kennt auch Sylvia Klafack, Leiterin der Kita Regenbogen in Hamberge. Sechs Schwangerschaften hatten im Sommer 2019 ein großes Loch in die Personaldecke gerissen, zwei Erzieher waren zusätzlich erkrankt. Weil die ausgeschriebenen Stellen nicht sofort besetzt werden konnten, mussten Betreuungszeiten reduziert und Gruppen tageweise geschlossen werden. „Dies trifft vor allem größere Kitas, die den Mangel nicht ausgleichen können“, sagt Klafack. „Bei so vielen Mitarbeitern gibt es immer Fluktuation.“ Durch Empfehlungen und öffentliche Berichterstattung konnten die Stellen besetzt werden. Ihren Anteil beigetragen habe auch die Gemeinde und zusätzliches Geld für Abwerbesummen neuer Mitarbeiter in die Hand genommen.
Aktuell sind drei Stellen ausgeschrieben. Ein Grund sei die anstehende Kita-Reform, die den Mitarbeitern durchaus Sorge bereite, berichtet die Kita-Leiterin. Während Krankheitsfälle zuvor flexibel ausgeglichen werden konnten, darf der gesetzliche Schlüssel von zwei Erziehern pro Gruppe ab August nicht mehr unterschritten werden. „Wenn es dadurch vermehrt zu Schließzeiten kommt, kann die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern verloren gehen“, befürchtet Klafack. „Klar ist, dass sich der gefühlte Druck auf die Mitarbeiter noch erhöhen wird.“
Träger plant, eine eigene Kampagne zu starten
Um freie Stellen schnellstmöglich zu besetzen, wollen Eltern und Kita-Leitung in Bargfeld-Stegen künftig an einem Strang ziehen. Die Situation sei für alle Beteiligten eine große Herausforderung, sagt Elternvertreterin Melanie Prosch. Trotz Verständnis könnten nicht alle Eltern auf familiäre Puffer zurückgreifen und Schließzeiten leicht überbrücken. Für den Monat Dezember sei die Hälfte des Essensgeldes erstattet worden. Dies sei eine nette Geste, doch auch die Eltern kämen langsam an ihr Limit, so Prosch.
Neben einem Notfallplan und Handflyern geht es nun darum, zusätzliche Anreizmöglichkeiten für neue Mitarbeiter zu schaffen. Sie seien eng mit der Gemeinde im Gespräch, sagt Prosch. Der Träger plant zudem, eine eigene Kampagne zu starten, um das Berufsbild des Erziehers zu stärken. Informationsstände auf Messen und eine Kooperation mit der Berufsschule in Bad Oldesloe seien ein Muss, deren Ertrag durch die Ausbildungsdauer jedoch nicht sofort ausgeschöpft werden könne, sagt Marion Dose vom Kirchenkreis Plön-Segeberg.
In der heutigen Zeit müsse kreativ gedacht werden
„Obwohl das Engagement hoch und das Miteinander in unserem generationsübergreifenden Kita-Team besonders gut ist, kommen wir als Träger derzeit jedoch nicht weiter. Durch die große Auswahl an freien Stellen haben kleine Orte mit schlechter Anbindung das Nachsehen.“
Von Eltern wurde daher die Idee eingebracht, E-Autos für die Kita zu leasen. Diese könnten neuen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, die keine Möglichkeit haben, den Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. „Vergangene Woche ist eine Zeitarbeitskraft eine Stunde zu Fuß zu uns gelaufen“, berichtet Melike Milz. „In der heutigen Zeit müssen wir kreativ denken, um Personal zu finden.“ Der Vorschlag wird derzeit von der Gemeinde geprüft, ebenso die Idee, Wohnungen für neue Mitarbeiter anzumieten. Eine andere Möglichkeit ist, Tagesmütter einzusetzen, die sozialpädagogische Assistenten ersetzen könnten. Das ist im Kreis Stormarn bisher nicht erlaubt.
Verband Bildung und Erziehung: Oft ist nur Minimalbetreuung möglich
Alarmstufe Rot hatte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) bereits im März 2019 ausgerufen. Eine Umfrage bei den Leitungen von 2600 Kitas hatte ergeben, dass rund 90 Prozent der Kitas im vergangenen Jahr mit zu wenig Personal gearbeitet haben. 86 Prozent ihrer Angebote mussten die Einrichtungen mindestens vorübergehend reduzieren. Betroffen sind aktuell vor allem Einrichtungen mit 100 Kindern und mehr, da die Fluktuation dort höher ist. In manchen Regionen ist der Fachkräftemarkt komplett leergefegt, weshalb Stellen mancherorts für Monate unbesetzt bleiben. Auswirkungen habe dies nicht nur auf die Quantität, sondern auch die Qualität der Betreuung. In fast 38 Prozent der Kitas ist eine Fachkraft für zwölf Kinder zuständig. Bei Kindern im Alter unter drei Jahren konnte der wissenschaftlich geforderte Schlüssel von 1:3 zu 96,5 Prozent der Einrichtungen nicht erreicht werden. Laut der Studie ist unter diesen Umständen mehr als eine Minimalbetreuung der Kinder kaum denkbar.