Lübeck/Travenbrück. Ex-Freundinnen beschreiben den Angeklagten Stefan B. vor dem Landgericht. Dabei zeigt sich ein widersprüchliches Bild.

„Ja, ich bin’s noch mal. Wollte dir nur Bescheid sagen: Treffe mich kurz mit Stefan wegen der Unterlagen. Nur, dass du Bescheid weißt, falls ich kurz nicht zu erreichen bin. Tschüs, bis später.“ Es ist 22.02 Uhr am Abend des 25. Oktober 2017, als David M. (Name geändert) diese WhatsApp-Sprachnachricht erhält. Es sind die letzten Worte, die der 42-Jährige von seiner Freundin Ivonne Runge gehört hat. Etwa eine Stunde später ist die Frau aus dem Travenbrücker Ortsteil Schlamersdorf tot – ermordet von ihrem Ex-Freund. Stefan B. hat vor dem Landgericht Lübeck gestanden, die 39-Jährige nach einem Streit an der Bushaltestelle ihres Heimatortes erwürgt zu haben. Die Leiche hat er danach in einem Waldstück bei Hammoor versteckt, sie wurde erst eineinhalb Jahre später entdeckt.

Am sechsten Verhandlungstag erzählt David M., wie er Ivonne Runge im Sommer 2017 bei einem Zeltausflug mit Freunden kennengelernt hat. Die Schlamersdorferin hatte kurz zuvor herausgefunden, dass Stefan B. sie mit anderen Frauen betrogen hat. Am Lagerfeuer schüttete sie David M. ihr Herz aus. In den folgenden Wochen trafen sich die Stormarnerin und der Berliner immer wieder, entwickelten Gefühle füreinander. „Wir haben uns fast täglich per WhatsApp geschrieben und auch telefoniert“, sagt der Freund vor Gericht. Er spricht schnell und starkem sächsischen Akzent. Immer wieder muss ihn der Richter unterbrechen, weil er den Ausführungen nicht folgen kann.

Angeklagter folgte Ivonne Runge heimlich nach Berlin

Mit diesem Foto suchte die Polizei damals nach Ivonne Runge.
Mit diesem Foto suchte die Polizei damals nach Ivonne Runge. © Polizei

„Ich hatte keinen Zweifel, dass Ivonne sich trennen wird und eine Beziehung mit mir führen will“, sagt der Berliner. Allerdings habe sie sich in dieser Zeit auch immer wieder für „Aussprachen“ mit Stefan B. getroffen. David M. erzählt zudem von einem Besuch in Berlin, zu dem der Angeklagte Ivonne Runge heimlich gefolgt sei. In einem Gewerbegebiet am Rande der Hauptstadt sei es dann zu einem Streit zwischen beiden gekommen, der sich immer weiter hochgeschaukelt habe. David M. habe die Auseinandersetzung versteckt beobachtet und schließlich die Polizei gerufen, weil der Ex-Freund immer lauter geworden sei.

Der Angeklagte würdigt den Mann, der laut Staatsanwaltschaft ein Grund für den Mord gewesen sein soll, bei dessen Aussage keines Blickes. Die Behörde geht davon aus, dass Stefan B. nicht akzeptieren wollte, dass Ivonne Runge eine neue Beziehung hatte.

Eine Ex-Freundin beschreibt ihn als „liebevoll, fürsorglich und hilfsbereit“

Am sechsten Prozesstag hat das Gericht zudem die Ex-Freundinnen des Angeklagten gehört. Sie zeichneten ein widersprüchliches Bild des 40-Jährigen. Als „liebevoll, fürsorglich und hilfsbereit“ beschreibt ihn eine Frau, die von 2005 bis 2012 mit Stefan B. zusammen war. „Er ist nie handgreiflich geworden“, sagt die heute 34-Jährige, spricht von einer „vernünftigen Beziehung“.

Ganz andere Erfahrungen hat eine Ex-Freundin gemacht, die Anfang der 2000er-Jahre eine dreijährige Beziehung mit Stefan B. geführt hat. Sie habe schon relativ früh den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte untreu war. Er habe Frauen wie Trophäen gesammelt, sagt die heute 40-Jährige. „Aber er war mein erster Freund. Ich war jung und unerfahren, habe deshalb an der Beziehung festgehalten.“ Und das, obwohl Stefan B. sie bei einem Streit mal hochgehoben und dann fallengelassen habe.

Seine Eltern mussten die Polizei rufen

Am Ende ihrer Beziehung sei die Situation eskaliert. Stefan B. habe an ihren Haaren gezogen, sie auf ein Sofa gestoßen und sich dann mit dem Hintern auf ihr Gesicht gesetzt. „Ich hatte Schwierigkeiten, Luft zu bekommen“, sagt die Frau. Sie habe versucht, um Hilfe zu schreien. Schließlich hätten seine Eltern, die damals im selben Haus wohnten, die Rufe gehört und die Polizei alarmiert. Die junge Frau flüchtete nach der Tat in ein Frauenhaus. „Er hat mich weiterhin angerufen, ist dort aufgetaucht und hat auch gedroht, meinen Hund mit Bauschaum auszuspritzen“, sagt die Zeugin. Stefan B. könne zwar nett sein, sei aber „ein Blender“ und jemand, „der gut Geschichten erzählen kann“.

Letzteres berichtet auch eine Ex-Freundin, die 2004 bis 2005 ein halbes Jahr mit Stefan B. zusammen war. Beide haben eine gemeinsame Tochter (14). Sie sagt: „Er konnte immer gut reden. Wenn er etwas wollte, konnte er Menschen für sich einnehmen.“ Sie habe aber auch andere Seiten an dem Mann kennengelernt. „Er ist unberechenbar gewesen“, sagt die 36-Jährige. „Einmal hat er mich in unserer Wohnung eingesperrt.“ In einem Tunesien-Urlaub habe er zudem aus Eifersucht ihren Reisepass und andere Dokumente zerrissen, weil er dachte, sie habe mit einem Kellner geflirtet. Sie sei schließlich zu ihren Eltern geflüchtet. „Ich schäme mich dafür, dass er der Vater meiner Tochter ist“, sagt die Frau.

Kollegen haben vor dem Angeklagten gewarnt

Ein weiterer Zeuge, der mit Stefan B. jahrelang an der Raststätte Buddikate zusammengearbeitet hat, sagt: „Die Kollegen haben Ivonne Runge zu Beginn der Beziehung gewarnt, dass Stefan ,ein schlimmer Finger’ sei und jede Frau nehme.“ Der 42-Jährige sollte später für Stefan B. lügen, um dessen Affären vor Ivonne Runge geheimzuhalten.

„Einmal waren wir mit zwei Ukrainerinnen auf dem Hamburger Dom“, erzählt der Zeuge. „Da hat Ivonne mich angerufen und gefragt, wo Stefan sei.“ Der Angeklagte habe seine Freundin dann am Telefon „zusammengefaltet und angebrüllt“, weil sie ihm nachspioniere. „Er war richtig aggressiv.“ Auch der Zeuge hat solche Situationen bereits mit dem Angeklagten erlebt. Er sagt: „Ich bin immer in Rückendeckung gegangen, weil man teilweise echt Angst bekommen hat, wenn er so laut geworden ist.“ Nach dem Verschwinden von Ivonne Runge habe er sich bei Stefan B. erkundigt, weil sie eigentlich für eine Arbeitsschicht an der Buddikate eingeteilt war. Die WhatsApp-Antwort des Angeklagten: „Es wäre besser, jemand anderen einzuplanen.“