Glinde. Brandschutzmängel in 58-Parteien-Haus an Möllner Landstraße. Spindeltreppen müssen bald gebaut sein. Termin ist nicht zu halten.
Carmen (71) und Werner Schwanbeck (81) leben seit 1978 in ihrer Zwei-Zimmer-Eigentumswohnung auf 56 Quadratmetern an der Möllner Landstraße in Glinde. Das Haus mit der Nummer 121 a bis c hat drei Eingänge sowie bis zu sechs Geschosse und befindet sich im Zentrum neben dem Mühlencenter. Ob das Ehepaar auch im neuen Jahr noch Zugang zur Bleibe haben wird, ist ungewiss. Der Kreis droht den Rentnern mit Rauswurf. Aber nicht nur ihnen, sondern mehr als zwei Dutzend Parteien. Grund ist mangelnder Brandschutz.
Behörde informierte Hausverwaltung über Mängel
„Es herrscht helle Empörung im Haus“, sagt Carmen Schwanbeck. Sie werde das Gebäude auf gar keinen Fall verlassen und sich an einen Anwalt wenden. Dann zeigt sie ein Schriftstück. Es umfasst zwei DIN-4-Seiten und ist mit dem Datum 19. November versehen. Absender ist der Fachdienst Bauaufsicht des Kreises Stormarn. Das Brisante steht im vierten Absatz: „Sollten die Baugenehmigungen nicht umgesetzt und die zweiten Rettungswege nicht bis zum 31. Dezember 2019 hergestellt sein, beabsichtige ich, die Nutzung sämtlicher Wohneinheiten ab dem dritten Obergeschoss zu Wohn- und Aufenthaltszwecken zu untersagen.“
51 der 58 Wohnungen sind für die Feuerwehr im Falle eines Brandes auch mit der Drehleiter über die Vorderseite der Immobilie zu erreichen – also auf dem ersten Rettungsweg. Bei den anderen Einheiten müssten die Einsatzkräfte von der Rückseite auf die Balkone gelangen, um Menschen zu befreien. Allerdings gibt es keine Zufahrt. Und die ist im Nachhinein auch nicht umzusetzen, weil dort eine Garage den Platz einnimmt. Auf Mängel beim Brandschutz hatte die Glinder Wehr den Kreis vor rund eineinhalb Jahren aufmerksam gemacht, worauf sich die Behörde mit Sitz in Bad Oldesloe ein Bild vor Ort machte und die Hausverwaltung über den Zustand informierte.
Eigentümer klagte gegen Bau der Treppen
Auf Eigentümerversammlungen wurde über das Thema gesprochen und zwei Varianten diskutiert, um Abhilfe zu schaffen. Schließlich erging der Beschluss, drei sogenannten Spindeltreppen außerhalb des Gebäudes für rund 300.000 Euro zu errichten. Hinzu kommen 200.000 Euro für eine breitere Zufahrt auf der Hauseingangsseite. Die Summe wird auf alle Parteien umgelegt. Jene mit größeren Wohnungen zahlen am meisten. Die Schwanbecks haben 9000 Euro überwiesen, Baugenehmigungen sind erteilt. Und in Sachen Zufahrt sind bereits Experten am Werk.
Allerdings klagte ein Eigentümer gegen den Bau der Treppen. Ein Urteil steht noch aus, eine aufschiebende Wirkung hat der Protest jedoch nicht. Das war auch Gegenstand der Eigentümerversammlung in der vergangenen Woche. „Die Hausverwaltung wollte wissen, ob sie den Startschuss für die Spindeltreppen geben soll. Sie hat uns aber mitgeteilt, sollte der Kläger erfolgreich sein, müssten die Treppen abgebaut werden. Dann wäre unser Geld weg“, sagt Carmen Schwanbeck. Deswegen habe man keine Zustimmung erteilt. Einen Tag später bekam sie Post von der Kreisverwaltung. Dass die Behörde auch vor einer Nutzungsunterlassung nicht scheut, ist übrigens in einem Beschlussprotokoll der Hausverwaltung vom 21. August dieses Jahres vermerkt.
76-jähriger Anwohner hält Spindeltreppen für unsinnig
Otto und Marlies Ninnemann sind sogar mit 14.000 Euro für die Beseitigung der Brandschutzmängel dabei, weil ihre Wohnung 78 Quadratmeter groß ist. Sie leben im zweiten Obergeschoss. Damit droht ihnen kein Rausschmiss. Sollte es im Gebäude brennen, könnte die Wehr das Paar über die Vorderseite in Sicherheit bringen. Dahin sind zwei Zimmer ausgerichtet.
Der 76 Jahre alte Rentner sagt, er halte die Spindeltreppen für unsinnig. „Diese Maßnahme ist völlig überzogen, das sehen die meisten Bewohner genauso.“ In den vergangenen vier Jahrzehnten seien einige Brandschutzübungen ohne Beanstandungen durchgeführt worden. Ninnemann hat deswegen das Innenministerium eingeschaltet. Das Antwortschreiben aus Kiel liegt dem Abendblatt vor. Auch darin wird die Sicherstellung des zweiten Rettungsweges bis zum 31. Dezember angemahnt. Weiter heißt es: „Diese Forderung ist aus Gründen des Brandschutzes notwendig und unverzichtbar.“
In dem Haus leben überwiegend ältere Menschen
Die Ninnemanns haben vor einiger Zeit neue Fenster für die Balkonseite bekommen. Sie wurden per Kran vom Parkplatz des Mühlencenters aus nach oben befördert. „Die Feuerwehr müsste es über diesen Weg mit ihren Leitern auch schaffen“, vermutet der Glinder. Dem ist nicht so. Ein Feuerwehrsprecher sagt: „Wir haben eine Stellprobe gemacht, kommen nicht an die Wohnungen ab dem dritten Obergeschoss heran.“
Die Eigner werden derzeit kräftig zur Kasse gebeten, denn für rund eine Million Euro stehen auch noch Arbeiten an Fahrstuhl, Heizung, Dach und Tiefgarage an. In dem Haus leben überwiegend ältere Menschen.
Hausverwalter schlägt Gerüst als Übergangslösung vor
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass einige von ihnen tatsächlich nicht mehr in ihre Wohnung dürfen? „Wenn nichts passiert, wird die Nutzung untersagt. Das dauert alles schon viel zu lange“, sagt Kreisbauamtsleiter Thilo Scheuber. „Wir müssen handeln, denn das Schutzgut Menschen steht im Vordergrund.“ Es habe in der Vergangenheit zwar etliche Novellierungen bei der Brandschutzverordnung gegeben. „Diese haben aber mittelbar mit unserem Einschreiten nichts zu tun“, so Scheuber.
Laut David Hempel von der gleichnamigen Hausverwaltung sind die Spindeltreppen frühestens in vier Monaten umsetzbar. „Unsere Idee ist es, kurzfristig ein Gerüst als Notfallmaßnahme aufzustellen und gleichzeitig eine Fristverlängerung beim Amt zu erwirken“, sagt der Unternehmer.