Lübeck/Travenbrück. Vor Gericht erzählt der sichtlich bewegte 20-Jährige, wie der Angeklagte die Frau aus Schlamersdorf unter Druck setzte.
„Ich hatte sofort das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert ist. Meine Mutter wäre nie einfach so abgehauen – ohne ihren Hund“, sagt Max (Name geändert) über das rätselhafte Verschwinden seiner Mutter Ivonne Runge vor zwei Jahren. Die Hände des 20-Jährigen zittern stark, seine Augen wirken leer und erschöpft. Am dritten Prozesstag vor dem Landgericht Lübeck haben am Mittwoch erstmals nahe Angehörige und Freunde der getöteten Frau aus Schlamersdorf ausgesagt.
Angeklagter nannte einen Streit als Grund für seine Tat
Angeklagt ist ihr Ex-Freund. Stefan B. hat gestanden, die Frau am späten Abend des 25. Oktober 2017 an einer Bushaltestelle in ihrem Heimatort Schlamersdorf erwürgt und ihre Leiche dann in einem Waldstück nahe dem Autobahnkreuz Bargteheide abgelegt zu haben. Als Grund nannte er einen Streit. Sie habe ihn verhöhnt, da sei eine Sicherung bei ihm durchgebrannt. Die Staatsanwaltschaft wirft Stefan B. Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Er habe die Trennung nicht akzeptieren wollen und auch nicht, dass sie eine Beziehung mit einem anderen Mann führen wollte.
Rund eineinhalb Jahre hatten Verwandte, Freunde und die Polizei vergeblich nach der Vermissten gesucht, erst im Frühjahr 2019 waren ihre sterblichen Überreste entdeckt worden. Stefan B. habe nach dem mysteriösen Verschwinden der Frau immer wieder betont, dass er nichts damit zu tun habe, erzählen mehrere Zeugen vor Gericht.
Stefan B. soll bereits früher handgreiflich geworden sein
Ivonne Runges Schwester kann sich noch gut daran erinnern, ihn darauf angesprochen zu haben, obwohl sie ihn eigentlich nicht verdächtigen wollte. „Ich habe immer gedacht, das kann nicht wahr sein. Ich wollte es nicht wahrhaben“, sagt die 50-Jährige. Denn die Beziehung zwischen ihrer Schwester und Stefan B. habe sie als positiv empfunden. „Ich hatte das Gefühl, dass Ivonne endlich aufblüht. Sie wirkte so glücklich“, sagt sie. Auf Familienfeiern sei Stefan B. liebevoll und bemüht gewesen.
Ivonne Runge habe oft traurig gewirkt, sagt der Sohn vor Gericht
Auch Sohn Max beschreibt die Beziehung als harmonisch – zumindest am Anfang. Er hat bis zu seinem Ausbildungsbeginn im August 2016 mit dem Paar zusammen in Rümpel gelebt. Erst 2017 habe sich die Stimmung verändert, sagt der 20-Jährige. Er habe nach seinem Auszug fast täglich mit seiner Mutter telefoniert. „Ich hatte das Gefühl, sie steht unter Druck, kann am Telefon nicht offen mit mir reden“, sagt Max, der aus einer früheren Beziehung stammt und vor Gericht als Nebenkläger auftritt. Sie habe oft eine sehr traurige Stimme gehabt, auf Nachfragen aber behauptet, alles sei gut. Im Juli 2017 habe er einen heftigen Streit der beiden miterlebt. Stefan B. habe versucht, seiner Mutter das Handy wegzunehmen, um es zu kontrollieren. Zuvor soll der Mann ein Telefongespräch zwischen Ivonne Runge und deren späteren Freund belauscht haben, in dem es auch um ein Baby ging.
20-Jähriger ist krankgeschrieben, wird psychologisch behandelt
Ich weiß nicht, ob meine Mutter sich eines gewünscht hat oder schwanger war“, sagt Max. Sie habe ihn an diesem Abend mehrfach aufgefordert, die Polizei zu rufen, was er aber nicht getan habe. Später habe er einen lauten Knall aus dem Schlafzimmer gehört. Seine Mutter habe ihm anschließend erzählt, Stefan B. habe sie gegen einen Schrank gestoßen. Am Arm seiner Mutter habe er blaue Flecke gesehen. Während seiner Aussage meidet Max jeglichen Blickkontakt zu dem Angeklagten. Der junge Mann leidet sichtlich unter dem Verlust seiner Mutter, ist in psychologischer Behandlung und seit Monaten krankgeschrieben. „Ich möchte das hier einfach nur hinter mich bringen“, murmelt er auf die Nachfrage des Richters, ob er bei seiner Aussage eine kurze Pause brauche.
Nachbarin berichtet von Annäherungsversuchen des Mannes
Wenige Wochen vor dem Vorfall hatte Ivonne Runge erfahren, dass Stefan B. sie jahrelang mit verschiedenen Frauen betrogen hatte. Ihre Sorgen vertraute sie damals einer Nachbarin an. Auch diese ist am Mittwoch als Zeugin geladen. Ivonne Runge habe ihr erzählt, dass sie sich von ihrem Ex-Freund verfolgt fühle.
„Er ist immer da, wo ich bin“, soll sie der 36-Jährigen im Sommer vor ihrem Tod erzählt haben. Aus diesem Grund habe sie sich ab und zu einen Mietwagen besorgt, um unbeobachtet sein zu können. Der Nachbarin hat Ivonne Runge auch erzählt, dass der Angeklagte ihr Ende Juli oder Anfang August 2017 noch einen Heiratsantrag gemacht habe, den sie aber abgelehnt habe. Per WhatsApp-Nachrichten soll Stefan B. auch versucht haben, die Nachbarin anzubaggern. Sie sei darauf aber nicht eingegangen, sagt die 36-Jährige.
Als sie von dem Verschwinden der Schlamersdorferin erfahren habe, habe sie sofort Stefan B. gefragt, was los sei. „Er wirkte erstaunlich gefasst – dafür, dass alle anderen in heller Aufregung waren“, erinnert sich die 36-Jährige. Immer wieder habe er seine Version des Abends stoisch wiederholt. „Wie eine Tonaufnahme. Auf mich wirkte das sehr kalt. Ich hatte das Gefühl, er testet meine Reaktion, ob ich ihm glaube.“
Stefan B. hatte auch Affäre mit Arbeitskollegin seiner Freundin
Auch eine Arbeitskollegin der Getöteten ist als Zeugin geladen. Sie habe eine Affäre mit Stefan B. gehabt, sagt die 22-Jährige vor Gericht. Dieser hatte früher als Aushilfe in dem Geschäft in Bad Oldesloe gearbeitet. 2014 oder 2015 sei das gewesen. „Es ging ein paar Wochen lang.“ Als Ivonne Runge dort angefangen habe zu arbeiten, habe sie die Affäre beendet. „Zu ihr ist schnell eine recht gute Freundschaft entstanden“, sagt die junge Frau, die Ivonne Runge nach der Trennung bei ihrem Umzug nach Schlamersdorf half. Von dem Verhältnis habe sie nie etwas erfahren.
Der Prozess wird in Lübeck am Freitag, 29. November, fortgesetzt.