Reinfeld. Etwa 250 Foodsaver sind im Kreis im Einsatz und werden von Supermärkten, Restaurants und Wochenmarkthändlern unterstützt.

Zucchini, Bananen, Gurken, eine Aubergine und Paprika befinden sich in dem Korb, den Ines Knoop-Hille im Arm trägt. Es ist Freitag, kurz nach 12 Uhr auf dem Reinfelder Wochenmarkt. Bei dem Gemüse und Obst handelt es sich aber nicht um einen Wochenendeinkauf. Die Ware war vom Händler für den Abfall bestimmt.

Ines Knoop-Hille ist mit Filiz Taskin als Foodsaver für die Foodsharing-Initiative unterwegs, die bundesweit Lebensmittel vor dem Müll rettet. Seit dem Frühjahr sind die beiden Frauen Botschafterinnen des Projektes für Stormarn. „Es geht darum, Essen, das noch genießbar ist, aber nicht mehr den gesetzlichen Bestimmungen für den Verkauf genügt, zu verwerten“, sagt Taskin. Mehr als 95 Tonnen Lebensmittel retteten die Foodsaver im vergangenen Jahr allein in Stormarn. Im Unterschied zur Arbeit der Tafeln steht beim Foodsharing nicht die Unterstützung Bedürftiger im Vordergrund, sondern die nachhaltige Ressourcenverwertung als Beitrag zum Umweltschutz.

Mitglieder informieren sich über App

„Oft wirft man uns vor, wir machten den Tafeln Konkurrenz, nehmen ihnen Lebensmittel weg. Dabei kooperieren wir, ergänzen uns“, sagt Filiz Taskin. „Weil die Tafeln die Lebensmittel an Dritte weitergeben, gelten für sie strengere Hygienevorschriften.“ Abgelaufene Lebensmittel und solche, bei denen die Kühlkette unterbrochen wurde, dürften sie nicht einsammeln. Weil die Produkte beim Foodsharing im Sinne eines privaten Tausches auf eigene Verantwortung weitergegeben würden, sei die Initiative nicht an die Vorgaben gebunden. „Wir sehen, riechen und schmecken, um herauszufinden, ob etwas noch genießbar ist.“ Das Mindesthaltbarkeitsdatum sei meist großzügig gewählt. Taskin: „Wir müssen uns auf unsere Sinne verlassen.“

Athir Al-Kaderi und Kathi Lebek verkaufen Kaffee und Gebäck auf dem Wochenmarkt in Reinfeld.
Athir Al-Kaderi und Kathi Lebek verkaufen Kaffee und Gebäck auf dem Wochenmarkt in Reinfeld. © Filip Schwen | Filip Schwen

Rund 250 Foodsaver sind im Kreis im Einsatz. 17 Betriebe, darunter Supermärkte, Restaurants und Wochenmarkthändler, arbeiten mit der Initiative zusammen. „Zu regelmäßigen Terminen stellen sie ihre Reste bereit“, sagt Taskin. Ihre Arbeit koordinieren die Foodsaver über das Internet. „Eine Smartphone-App liefert eine Übersicht über alle Aktiven“, erklärt Knoop-Hille.

Jeder Betrieb wird von einem Team betreut. Ein Betriebsverantwortlicher leitet die Gruppe und vereinbart die Abholzeiten. Über die App sind die Termine und die abzuholende Menge in Kilogramm einsehbar. „Wir nennen das Slots“, sagt Filiz Taskin. „Jeder aus dem Team kann sehen, welche Slots zu besetzen sind, und sich dann dafür eintragen.“

Hälfte der Reinfelder Markthändler dabei

Ablesbar ist auch die eigene Bilanz, „quasi als Motivation“, sagt Taskin. Es gibt Angaben, wie viele Einsätze bereits absolviert wurden und welche Menge an Lebensmitteln gerettet wurde. Rund fünf Stunden sind Taskin und Knoop-Hille jede Woche unterwegs.

Andrea Stintat betreibt das italienische Feinkostrestaurant Casalinga in der Paul-von-Schoenaich-Straße in Reinfeld.
Andrea Stintat betreibt das italienische Feinkostrestaurant Casalinga in der Paul-von-Schoenaich-Straße in Reinfeld. © Filip Schwen | Filip Schwen

Diesmal steht der Wochenmarkt in Reinfeld auf dem Programm. Käse- und Gemüsehändler Jürgen Wulff erwartet die Frauen bereits. Einen Korb mit rund zwei Kilogramm Gemüse hat er bereitgestellt. „Leider werden Lebensmittel meist im Überschuss angeboten. Wenn sie den Ansprüchen der Kunden nicht mehr genügen, muss ich sie wegwerfen“, sagt Wulff. Seit Beginn des Projekts in Stormarn vor eineinhalb Jahren ist er dabei. Inzwischen beteiligt sich rund die Hälfte der Marktbeschicker in Reinfeld.

Für Restaurantchefin ein Herzensanliegen

Auch Athir Al-Kaderi und Kathi Lebek machen mit. Sie verkaufen an ihrem Wagen Kaffee und Gebäck. „Heute haben wir nichts“, sagt Al-Kaderi. Für Knoop-Hille ist das eine gute Nachricht: „Der beste Fall ist, wenn es nichts abzuholen gibt. Es zeigt, dass die Händler gut kalkuliert haben.“ Und fügt hinzu: „Wir arbeiten quasi dafür, dass unsere Arbeit irgendwann nicht mehr nötig ist.“

Andrea Stintat, die das italienische Feinkostrestaurant Casalinga an der Paul-von-Schoenaich-Straße betreibt, dort selbst gemachte Salate anbietet, ist seit einem Jahr dabei. Sie betont: „Mir ist es ein Herzensanliegen, dass Speisen, die ich mit viel Liebe zubereitet habe, weiterverwertet werden.“

Karte zeigt alle aktuellen Angebote

Über das Internet wird auch die Verteilung der eingesammelten Lebensmittel organisiert. Auf der Seite www.
foodsharing.de sind sogenannte Fair-Teiler auf einer interaktiven Karte markiert. „Es handelt sich dabei um Kühlschränke oder Regale an öffentlichen Orten, beispielsweise in Schulen oder Kulturzentren, in denen wir die Lebensmittel zur kostenfreien Mitnahme ablegen“, sagt Taskin. Leider gebe es in Stormarn bislang keine solcher Punkte. Die nächsten sind in Hamburg und Lübeck. „Wir sind mit Einrichtungen im Gespräch und würden uns auch freuen, wenn Interessenten auf uns zukommen“, sagt sie.

Käsehändler Jürgen Wulff auf dem Markt in Reinfeld.
Käsehändler Jürgen Wulff auf dem Markt in Reinfeld. © Filip Schwen | Filip Schwen

Jeder Teilnehmer kann Lebensmittel anbieten

Derzeit läuft die Verteilung über private Fair-Teiler. „Ich habe einen Schuppen im Garten zum Lagerraum umfunktioniert und informiere Bekannte über eine Whatsapp-Gruppe, welche Waren sie dort abholen können“, sagt Taskin. Essenskörbe seien eine weitere Möglichkeit. „Jeder Foodsaver kann einen Korb auf der Online-Karte erstellen, indem er angibt, um welche Lebensmittel es sich handelt und die Abholadresse markiert“, sagt Knoop-Hille. „Meist sind die Waren innerhalb von Minuten weg.“

Foodsaver könne jeder werden, betont sie. „Auf der Internetseite muss man zunächst ein kurzes Quiz absolvieren, damit wir sichergehen können, dass der Bewerber die Grundsätze und Verhaltensregeln des Foodsharings verstanden hat.“ Die Bezirks-Botschafter der Initiative stimmen der Anfrage zu, und es kann losgehen. Filiz Taskin sagt: „Es ist nicht nur ein unglaublich befriedigendes Gefühl, etwas gegen die Lebensmittelverschwendung zu unternehmen. Beim Kochen mit den Resten entstehen die köstlichsten Gerichte.“

Ein Dokumentarfilmer hatte die Idee

Rund 49.000 Foodsaver sind nach Angaben der Initiative in Deutschland aktiv. Die Idee geht auf den Kölner Filmemacher Valentin Thurn zurück, der sich im Jahr 2012 für seinen Dokumentarfilm „Taste The Waste“ mit der Lebensmittelverschwendung auseinandersetzte. Zeitgleich entwickelte der Berliner Raphael Fellmer eine ähnliche Bewegung, die Foodsaver. Um das verbotene Containern zu vermeiden, fragte er direkt bei den Händlern nach aussortierten Lebensmitteln. 2014 schlossen beide Projekte sich zum Verein Foodsharing zusammen.

Die Ehrenamtler sind in eigenständigen Bezirksgruppen organisiert, denen Botschafter als Koordinatoren vorstehen. Über die Website www.foodsharing.de sind sie vernetzt. Wer sich online bei der Initiative anmeldet, erhält einen Foodsaver-Ausweis. Seit 2015 gibt es eine Kooperation mit den Tafeln.