Ahrensburg/Bad Oldesloe. Rechtsmedizinerinnen der Uniklinik Eppendorf wollen landesweites Projekt für vertrauliche Spurensicherung in Stormarn ausweiten.
Es sind Höllenqualen, soviel steht fest. Was Frauen allerdings tatsächlich durchmachen, die vergewaltigt, geschlagen und/oder missbraucht werden, wissen letztendlich nur die Betroffenen selbst. Für die meisten gilt: Was ihnen angetan wurde, lässt sie oft ein Leben lang nicht mehr los. So tief sitzen Schmerz, Scham und Angst vor Demütigung, dass viele sich nicht einmal trauen, Hilfe bei der Polizei zu suchen. Genau hier setzt die Arbeit von Daniela Fröb (35) und Antonia Fitzek (28) an. Sie sind Ärztinnen am Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Eppendorf (UKE) und wollen Opfern von sexualisierter Gewalt helfen, indem sie die Spuren sichern – vertraulich, kostenfrei, ohne bürokratische Hürden.
Landesweites Projekt zum Opferschutz
Die Rechtsmedizinerinnen verantworten für den Kreis Stormarn das landesweite Projekt mit dem sperrigen Titel „Vertrauliche Spurensicherung bei häuslicher und sexualisierte Gewalt“, das es bereits seit 2015 gibt. „Aber es ist noch viel zu wenig bekannt“, sagt Daniela Fröb. Denn während sie und Antonia Fitzek mit Unterstützung ihrer Kollegen in Hamburg jedes Jahr rund 2000 solcher Fälle dokumentieren, waren es in Schleswig-Holstein lediglich 736 Menschen (333 Erwachsene, 403 Kinder), deren Verletzungen sie dokumentierten. Im Kreis Stormarn, genauer in der einzigen Partnerklinik in diesem Gebiet, dem Krankenhaus St. Adolf-Stift, wurden hingegen nur zwei Opfer untersucht – seit Projektbeginn. „In Stormarn hinken wir noch weit hinterher“, sagt Gisela Bojer vom Verein „Frauen helfen Frauen“, die die beiden UKE-Rechtsmedizinerinnen jetzt in die Frauenberatungsstelle in Bad Oldesloe eingeladen hatte, um einmal mehr darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, den Schutz und das Selbstbestimmungsrecht von Opfern zu verbessern. Dass bislang nur zwei Frauen Hilfe bei dem Projekt suchten, zeigt nach Auffassung der Ärztinnen lediglich, dass die Dunkelziffer hoch ist.
Tatsächlich wurden allein bei der Polizeidirektion Ratzeburg, zuständig für die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg, im vergangenen Jahr 130 Fälle, im offiziellen Sprachgebrauch der Polizei handelt es sich um „Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung“, angezeigt (2017: 129). Im Kreis Stormarn wurden 2018 zudem 22 sogenannte Wegweisungsverfahren (2017: 18) eingeleitet. Wegweisung bedeutet, dass derjenige, von dem eine Gefahr ausgeht, zwei Wochen lang die gemeinsame Wohnung nicht betreten und auch sonst keinerlei Kontakt zum Opfer aufnehmen darf. Dem soll auf diese Weise Luft verschafft werden, um in Ruhe zu überlegen, wie es weitergehen soll und kann.
Meist sind Frauen betroffen
Dass Opfer – meist sind es Frauen, in einigen wenigen Fällen aber auch Männer – in Ruhe und selbstbestimmt entscheiden können, was als Nächstes geschen soll, das ist auch das Ziel der Rechtsmedizinerinnen Daniela Fröb und Antonia Fitzek mit ihrem Projekt für besseren Opferschutz. „Geht eine Frau zur Polizei, läuft automatisch ein Verfahren an, das nicht mehr zu stoppen ist“, sagt Daniela Fröb. Denn in solchen Fällen handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt, also eine Straftat, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgt wird. Genau das wollen viele Betroffene aber nicht, etwa weil sie Angst vor einem Gerichtsverfahren haben, in dem das traumatische Geschehen eventuell wieder und wieder aufgerollt und abgefragt wird. Oder auch, weil sie Angst haben, dem Täter zu begegnen.
Deshalb bieten die Ärztinnen Fröb und Fitzek sowie landesweit acht Partnerkliniken (Reinbek, Geesthacht, Henstedt-Ulzburg, Bad Segeberg, Pinneberg, Elmshorn, Itzehoe, Heide) vertrauliche und kostenlose Hilfe an. Die Klinikärzte und niedergelassenen Kollegen, die sich am Projekt beteiligen, werden vom UKE-Institut mit allen notwendigen Untersuchungsmaterialien ausgestattet und während einer Fortbildung geschult. „Neben einer gründlichen Untersuchung und Fotos zur Beweissicherung müssen auch DNA-Spuren gesichert sowie Blut- und Urinproben genommen werden, weil ja vielleicht auch Drogen oder K.0.-Tropfen im Spiel sein könnten“, sagt Daniela Fröb. Die Befunde und gesicherten Spuren werden dann für 20 Jahre im Eppendorfer Institut für Rechtsmedizin pseudonymisiert gelagert. Wichtig sei, dass die Untersuchungen möglichst schnell, maximal 72 Stunden nach der Tat vorgenommen werden. „Verletzungen können nur dann dokumentiert werden, solange sie auch sichtbar sind“, sagt Antonia Fitzek.
Spuren gehen nur nach Rücksprache an Behörden
Generell gilt: Die archivierten Befunde und Spuren können auf Wunsch des Opfers jederzeit an Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden. Schließlich beträgt im Falle von Vergewaltigung (oder schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern) die Verjährungsfrist 20 Jahre. Um Opfern sexualisierter und häuslicher Gewalt besser helfen zu können, wünscht sich das Duo vom Rechtsmedizinischen Institut, dass sich nicht nur noch mehr Kliniken bereit erklären, sich an dem Projekt zu beteiligen, sondern auch niedergelassene Ärzte.
Dass dieses Engagement mit einigem Aufwand verbunden ist, wissen Daniela Fröb und Antonia Fitzek selbst am besten. Denn auf Wunsch und nach Terminabsprache nehmen auch sie Untersuchungen und Spurensicherungen vor. „Das dauert mindestens eine Stunde, meistens länger“, sagt Ärztin Fröb. Hinzu komme, dass Betroffene so kurz nach der Tat oft noch schwer traumatisiert seien: „Das braucht Zeit.“
Dass unabhängig davon der Opferschutz verbessert werden muss, ist unumgänglich. Denn seit 2018 ist die „Istanbul-Konvention“ in Deutschland in Kraft getreten und damit geltendes Recht. Diese Konvention ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ – und nicht zuletzt Fundament des Projektes von Daniela Fröb und Antonia Fitzek.
Hilfe und Beratung finden Opfer von Gewalt beim Institut für Rechtsmedizin am UKE; Telefon 040/741 05 21 27 (Mail: vertrauliche.spurensicherung@uke.de); www.uke.de/hilfe-bei-gewalt